Theater„Wovon man nicht sprechen kann, darüber kann man lachen“ – Das HAU-Projekt am Kasemattentheater

Theater / „Wovon man nicht sprechen kann, darüber kann man lachen“ – Das HAU-Projekt am Kasemattentheater
Das Schauspiel-Trio (Nickel Bösenberg, Pitt Simon und Dominik Raneburger) hat sichtlich Freude daran, in immer wieder neuen Variationen den größten Unfug von sich zu geben (C) Boshua

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Jacques Schiltz beschwört den Geist einer erfundenen Geistesgröße: Arnold Hau war ein Meister auf allen Gebieten – vor allem dem des Nonsens. Dieser urkomische Abend legt Zeugnis davon ab.

Fiktive Schriftsteller scheinen in Luxemburg ein besonderes Interesse zu genießen. Kaum ist der Fall Tomas Bjørnstad offiziell gelöst, widmet sich das Kasemattentheater einem der ganz Großen unter denen, die es nie gab. Unter dem Titel „Das HAU-Projekt“ präsentierte man am vergangenen Samstag den Ratzeburger Universalgelehrten Arnold Hau (1900–?), den die Autoren und Zeichner der Satire-Gruppe Neue Frankfurter Schule in den 1960ern „wiederentdeckt“ hatten.

Dafür organisierte Regisseur Jacques Schiltz eine Mischung aus Symposion, Lesung und Werkschau, bei der Prof. Dr. Arnold Hau von der HAU-Universität (Dominik Raneburger), Prof. Dr. Dr. Arnold Hau vom HAU-Museum (Nickel Bösenberg) und ein nicht näher genannter Experte – vermutlich heißt er Arnold Hau (Pitt Simon) – dem Bildungsbürgerpublikum l’homme et l’œuvre näherbrachten.

In Reih und Glied saßen die drei Schauspieler – fast zur Gänze in Jeanshosen, -hemden und -jacken gekleidet – vorne auf der Bühne an einem zu kleinen Tisch, blätterten synchron die Seiten ihres Skripts um und griffen in regelmäßigen Abständen gleichzeitig zum Wasserglas. Bereits die Choreografie verriet, dass man „Das HAU-Projekt“ auch als Selbstparodie des für seine Leseabende bekannten Kasemattentheaters verstehen kann.

Die Künste vereint wider den heiligen Ernst

Da Arnold Hau aber nicht nur schrieb, sondern ebenfalls zeichnete, komponierte und Filme drehte, war die Vorstellung auch ein multimediales Spektakel. In nicht einmal 90 Minuten wurden einem neben lyrischen Ergüssen mehrere Filme, eine Fernsehserie, ein Drama, ein Live-Hörspiel, ein Singspiel sowie eine Diavorführung mit Zeichnungen geboten. Und weil jeder, der Goethe nacheifert, sich auch außerhalb der Kunst profilieren muss, gab es zusätzlich Auszüge aus dem Tractatus logico-humoristicus sowie aus einem religiösen Gebotskatalog von Hau.

Worum geht es nun in den Werken dieses verkannten Genies? Vorgeblich stets um die Frage „Was ist der Mensch?“, in Wahrheit natürlich um eine Fortschreibung des Nonsens, mit dem man sich jenseits der Mosel seit Morgenstern und Ringelnatz gegen den allgegenwärtigen Ernst der bürgerlichen Gesellschaft wehrt. Dass der Band „Die Wahrheit über Arnold Hau“ mit den entsprechenden Texten von Robert Gernhardt, F. W. Bernstein und F. K. Waechter zurzeit vergriffen ist, zeigt, dass es der anarchische Humor immer noch schwer hat in einer literarischen Tradition, die es mit der Gattungsbezeichnung „ernstes Lustspiel“ tatsächlich ernst meint.

Das Schauspiel-Trio hatte jedenfalls sichtlich Freude daran, in immer wieder neuen Variationen und Arrangements den größten Unfug von sich zu geben, und behielt dabei stets die Contenance. Im Publikum – das, zugegebenermaßen, gefühlt zur Hälfte aus Kolleg*innen aus der Theaterszene bestand – wurde hingegen nicht nur herzhaft gelacht, es gab sogar mehrfach Szenenapplaus.

Fischstäbchen, Milchkännchen und ein Papst mit Supernase

Zu den Höhepunkten zählte zweifellos die „Rekonstruktion“ von Haus Kurzfilm „Milchkännchen und Fischstäbchen in der Antarktis“, einer tragischen Expeditionsgeschichte. Von einer Kamerafrau unterstützt, deren Aufnahmen live projiziert wurden, stellten Bösenberg, Raneburger und Simon den tatsächlich existierenden Film auf einer Tischdecke nach, mit einem Fischstäbchen, mehreren an Holzstangen befestigten Milchkännchen und einer Reihe Spielzeugfiguren. Sie schlüpften dabei auch in die Hauptrollen. Eine vergleichbare darstellerische Leistung im Bereich des Puppentheaters hat man seit Harald Schmidts Playmobil-„Hamlet“ vermutlich nicht gesehen.

Auch die Serie „Der Schnüffler“, deren drei Teile den Abend gewissermaßen punktierten, bewies nicht nur die Genialität Arnold Haus, sondern auch die Qualität der Inszenierung. Als Detektiv mit untrüglichem Geruchssinn macht niemand anderes als Johannes Paul II. hier nach dem Vorbild alter Fernsehkrimis Bösewichte dingfest. Zu Bildern des Papstes, der Kinder hochhält, Böden küsst und Menschen umarmt, steuerten die drei Schauspieler Schnüffelgeräusche und eine Off-Stimme bei, die Humphrey Bogarts Synchronsprecher wohl auch nicht besser hinbekommen hätte.

Mit seiner gelungenen Dramaturgie, die für die nötige Abwechslung sorgt und sich keine wirklich schwachen Momente erlaubt, seinem gut gelaunten Ensemble und natürlich den unschlagbaren Texten von Gernhardt und Kollegen liefert Jacques Schiltz’ Hau-Projekt eine rundum gelungene Vorstellung ab. Wer hier nicht lacht, ist wirklich auf ewig an die Ernsthaftigkeit verloren.

Übrigens, was hat man in der Pandemie nicht über die mangelnde Nachhaltigkeit von Theaterproduktionen geklagt und geschworen, nachher alles besser zu machen? Dass Arnold Hau zu Unrecht vergessen wurde, mag unverzeihlich sein, aber dass vom „HAU-Projekt“ keine weiteren Vorstellungen angekündigt sind (nicht einmal am Berliner HAU!), ist der wahre Skandal des Abends.

Info

Das HAU-Projekt. Nach Texten, Zeichnungen und Filmen von Arnold Hau, Robert Gernhardt, F. W. Bernstein, F. K. Waechter, u. a. Mit Nickel Bösenberg, Dominik Raneburger und Pitt Simon. Regie: Jacques Schiltz. Kasemattentheater. Keine weiteren Vorstellungen.