Alain spannt den BogenVon Suchen und Finden

Alain spannt den Bogen / Von Suchen und Finden
Das Takacz-Quartett in der Philharmonie Foto: Eric Devillet

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Es war ein vom Konzert her absolut stimmiges Programm, was das Takacz-Quartett am vergangenen Montag im großen Saal der Philharmonie vorstellte. Die beiden Eckwerke, nämlich das kurze Streichquartett Nr. 35 von Josef Haydn und das 3. Streichquartett von Johannes Brahms, umrahmten das als zentrales Werk erscheinende Quartett „Ainsi la nuit“ von Henri Dutilleux, auf das sich die übrige Musik zu- und fortzubewegen schien.

Bereits der langsame Kopfsatz des Haydn-Quartetts, ein Andante ed innocentemente, deutete mit seinen schwebenden Klängen auf Dutilleux’ Nachtbilder an. Und auch das Brahms-Werk endete nicht wie üblich mit einem Presto, sondern mit einem eher bedächtigen Poco allegretto con variazione. Damit spannten sich ein konsequenter Ausdrucksbogen und ein sehr natürlicher Atem über das ganze Konzert, das von seiner großen musikalischen Einheitlichkeit lebte.

Besonders interessant war das Dutilleux-Quartett mit seinen sieben kurzen, stimmungsvollen und bildhaften Sätzen, das, 1976/77 komponiert, eine ganz eigene Sprache zeigte, die sich stilistisch nicht einordnen ließ. Die Musik schien in die Tiefen der Psyche zu tauchen und dort unbewusste (Traum)bilder loszulösen, die musikalisch schwer greifbar blieben und eigentlich nur vorbeihuschten, ohne wirkliche Gestalt anzunehmen.

Das klare, zurückhaltende Spiel des Takacz-Quartetts legte die Musik quasi scheibchenweise offen und ließ sie sich vertikal immer wieder selbst schichtweise überlagern, sodass sie permanent in Bewegung, äußerst präsent und trotzdem undefinierbar und nicht greifbar blieb.

Diesem Konzept der Überlagerung der Musikschichten unterwarfen die vier Musiker dann auch die Quartette von Haydn und Brahms. Das Resultat war erstaunlich, denn durch die atemberaubende Präsenz erlebte man diese beiden Quartette dann auf einer ganz anderen Wahrnehmungsebene.

Das Takacz-Quartett übte Zurückhaltung in beiden Werken, um sie der Stimmung des Dutilleux-Quartetts anzupassen. Das funktionierte hervorragend, allerdings muss man sich fragen, ob dieses Konzept dabei den Quartetten von Haydn und Brahms als solchen gerecht wurde. Denn in der Interpretation des Takscz-Quartetts bleiben beide Werke, jedes für sich genommen, doch hinter den Erwartungen zurück. Durch das zurückhaltende, fast impressionistisch gefärbte Spiel fehlte dem Haydn-Werk seine Ursprünglichkeit.

Die Weichzeichnerei ließ keine Akzente aufkommen, Dynamik war kaum existent und die routinierte, technisch absolut brillante Interpretation ließ durch ihre Zurückhaltung weder richtige Spielfreude noch musikalischen Witz durchscheinen.

Auch das Brahms-Quartett wirkte durch die individuelle und konzeptuelle Interpretation der Musiker irgendwie geschwächt. Auch hier keine markanten Akzente, keine wirklichen Dialoge. Brahms’ Musik wirkte nur wenig griffig und recht fantasielos. Trotz dieses interessanten und in jedem Punkt logischen Gesamtkonzepts empfand ich demnach insbesondere Haydn und Brahms als eher langweilig und eindimensional, wenn auch absolut fantastisch gespielt.

Dass ich das so erlebt habe, mag natürlich auch an den akustischen Verhältnissen gelegen haben. Der große Saal der Philharmonie ist in der Tat eher problematisch für Kammermusikkonzerte, weil sich der Klang in diesem großen Raum und mit nur wenigen Zuhörern einfach verliert. Fazit: Ein Konzert mit Experimentcharakter, über das man gerne diskutieren darf und soll. Und auch das ist ja ein Teil eines lebendigen Konzertlebens und es gehört schon Mut und Initiativgeist dazu, sich auf solche Wege zu begeben. Das Takacz-Quartett hat es getan, der Hörer darf entscheiden.

Kontrollierte Virtuosität

Weitaus besser kamen am Dienstagabend Frank Peter Zimmermann und Martin Helmchen mit der Akustik des Saales aus. Auf dem Programm standen die beiden Violinsonaten Nr. 7 c-moll op. 30/2 und Nr. 10 G-Dur op. 96 von Ludwig van Beethoven. In diesem zweiten Konzert mit Beethoven-Sonaten boten die beiden Musiker auch diesmal wieder eine hochkarätige Performance. Der Zugriff war packend, die Interpretation direkt und wohl ausbalanciert.

Keine Schnörkel, keine Experimente, kein Suchen, sondern Finden und einfach nur Spielen. Das klassische Interpretationskonzept ging somit hundertprozentig auf. Zimmermann und Helmchen boten dem Publikum wirkliches Teamwork, bei dem Kommunikation und Expressivität großgeschrieben wurden. Virtuos sind dann auch die beiden Sonaten ausgerichtet, op. 30 vorwärtsdrängend, brillant und wild, op. 96, schlicht, heiter und temperamentvoll.

Jeweils kurz unterbrochen von wunderschön ausgeloteten langsamen Sätzen. Beethoven zeigt sich in beiden Sonaten innovativ und voller neuer und überraschender Ideen. Diese Innenspannung und Unvorhersehbarkeit machten sich die beiden Solisten dann auch zunutze und fegten regelrecht durch das Programm, dies aber mit höchster Konzentration, Perfektion und ungebremster, wenn aber kontrollierter Virtuosität. Die Balance zwischen Zimmermanns Violine und Helmchens Flügel war optimal, die Interpretationen demnach hundertprozentig ausgeglichen und lebendig. Besser geht es kaum. Das Publikum bedankte sich mit begeistertem Applaus, sodass Frank Peter Zimmermann und Martin Helmchen ihrem Konzert das Adagio aus der 1. Sonate von Johannes Brahms hinzufügten.