Von Mücken und Macken

Von Mücken und Macken
(Tageblatt/Hervé Montaigu)

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2011 feiert das Steinforter Festival sein 20-jähriges Bestehen. Für die diesjährige Ausgabe wird vom Autor und Schauspieler Jean-Paul Maes das Theaterstück „Wat d’Mécken denken“ uraufgeführt – eine Familiengeschichte, die die Eigenheiten der Luxemburger unter die Lupe nimmt.

Tageblatt: Das Steinforter Festival feiert in diesem Jahr sein 20-jähriges Bestehen. Erinnern Sie sich an die Anfänge?
Jean-Paul Maes:
„Natürlich! Ich habe das Festival ja gegründet. Zusammen mit unserem jetzigen Außenminister. Vor 20 Jahren war Jean Asselborn noch ein junger Abgeordneter und Bürgermeister von Steinfort. Ich kam zu dieser Zeit aus Deutschland zurück und wollte mir hier etwas aufbauen. Ich habe einen Spielort gesucht, der dezentral ist, also weder in Luxemburg-Stadt noch in Esch. Vor 20 Jahren war die Situation hier eine ganz andere. Gerade im Sommer gab es nicht viel kulturelles Angebot. Ein Freund von mir, Marc Linster, stellte die Verbindung zwischen mir und Jean Asselborn her. Irgendwann bekam ich dann einen Anruf von Jean Asselborn, der mir die Al Schmelz als Kulturzentrum anbot.“

„Ich kenne kein anderes Land, in dem das Selbstwertgefühl so gering ist wie hier in Luxemburg“

„T“: War Jean Asselborn sofort begeistert, in seiner Gemeinde ein Theaterfestival auszurichten?
J.-P.M:
„Jean Asselborn war ein sehr dynamischer Bürgermeister, was ja nicht so häufig vorkommt, besonders in so ländlichen Gemeinden. Er hat sich sehr bemüht und sich gekümmert. Mein Eindruck war, dass es für ihn schon sehr exotisch war, ein Festival auszurichten, schließlich ist er kein Theatermensch. Aber zwischen uns ist seit der Gründung bis zum heutigen Tag, obwohl ich ihn jetzt kaum noch sehe, eine Art Freundschaft entstanden. Ich habe mich von ihm immer sehr respektiert gefühlt. Er hat mich immer ernst genommen.“

„T“: Nach welchem Konzept haben Sie damals das Steinforter Festival ausgerichtet?
J.-P.M.:
„Gerade in den ersten Jahren war unser Konzept, dass wir die luxemburgischen Klassiker aufführen wollten. Im ersten Jahr zum Beispiel haben wir ‚Aarme Pierrot‘ von Batty Weber aufgeführt. Nach etwa zehn Jahren ging uns dann die Luft aus. So viel dramatische Literatur in luxemburgischer Sprache gibt es ja auch nicht. Außerdem hatte ich das Gefühl, das Publikum wünscht sich auch etwas Neues. Deshalb haben wir uns dann auf zeitgenössische Autoren konzentriert. 1991 sind wir mit ‚Leschten Enns kee Liewen‘ von Nico Helminger gekommen, eine Uraufführung. Das schlug ein und hat die Zuschauerzahlen noch mal gehoben.“

„T“: Ist das Steinforter Festival ein Festival für die Steinforter?
J.-P.M.:
„Überhaupt nicht. Ich stelle fest, dass in der Al Schmelz das Publikum nur zu einem kleinen Prozentsatz aus Steinfort selbst kommt. Einerseits haben wir dieses gewisse Theaterpublikum, das man auch aus anderen Theatern kennt. Andererseits gibt es auch sehr viele Leute, die eigentlich keine typischen Theatergänger sind, die im Sommer aber gerne nach Steinfort kommen. Außerdem haben wir mittlerweile auch ein Stammpublikum. Unsere Zuschauer kommen von überall aus dem Land.“

„T“: Was ist heute das Besondere am Steinforter Festival?
J.-P.M.:
„Wir haben mittlerweile zwei Spielstätten. Eine kleinere, die bis jetzt überwiegend Stücke von Jay Schiltz zeigt. Und dann die Al Schmelz, wo wir versuchen, uns mit einer sehr aktuellen luxemburgischen Thematik auseinanderzusetzen, und ausschließlich Stücke von Luxemburger Autoren zeigen. Weil es ein Sommerfestival ist, möchten wir unseren Zuschauern auch nicht die ganz schwere Kost zumuten. Auch wenn wir sicherlich in die Tiefe gehen, ist uns der Unterhaltungswert sehr wichtig. Natürlich versuchen wir auch unseren Standard zu halten.“

„T“: Am Donnerstagabend hat Ihr Stück „Wat d’Mécken denken“ Premiere. Worum geht es?
J.-P.M.:
„Es ist mein dreizehntes Stück, das aufgeführt wird. Es handelt sich um eine Familiengeschichte. Die Ehefrau möchte nicht mehr in der Enge leben, die ihr Mann geschaffen hat. Beide fühlen sich verkannt. Er als Schriftsteller, sie als Keramikkünstlerin. Beide meinen, der andere hätte ihre Karriere verhindert. Die Frau tröstet sich, hat einen Promoter, einen Immobilienhai kennen gelernt, der ihr Liebhaber wird. Das ganze Stück spielt an dem Abend, an dem der Liebhaber zu dem Ehepaar zu einer Aussprache nach Hause kommt. Dem Ehemann geht es aber allein darum, die Beziehung zwischen den beiden zu zerstören. Dann kommt der Alkohol hinzu und es kommen viele Wahrheiten und Unwahrheiten ans Licht. Nie Ausgesprochenes platzt plötzlich heraus.“

„T“: Wie kamen Sie auf den Titel?
J.-P.M.:
„Der fiel mir einfach ein. Eigentlich sind die drei Protagonisten wie Fliegen. Der Ehemann hat eine Fliegenphobie und in der ganzen Wohnung Fliegenfänger aufgehängt. Das Stück beginnt damit, dass die Frau mit den Haaren an solch einem Fliegenfänger hängen bleibt. Im Laufe des Abends vergleicht der Mann seine Frau ständig mit einer Fliege. Außerdem wird auch Luxemburg als solches thematisiert.“

„T“: Können Sie das näher erklären?
J.-P.M:
„Ich kenne kein anderes Land, in dem das Selbstwertgefühl so gering ist wie hier. Ein Land, in dem Menschen ihre Sprache verleugnen. Doch die Sprache ist der Aufhänger der Seele. Eine Seele denkt in der Sprache, schwebt in der Sprache. Doch in Luxemburg schämen sich viele Leute für ihre Sprache. Das ist zumindest mein Eindruck. Man hört sehr oft den Satz ‚Naja, für Luxemburg ist das nicht schlecht‘. Dagegen muss man sich wehren. Meine Protagonisten haben dieses Problem auch. Ihnen fehlt der Mut, sie haben, wie viele Luxemburger, dieses Sicherheitsdenken, das es unmöglich macht, Künstler zu sein. Der Luxemburger übernimmt sehr ungern Verantwortung. Schon in unserer Nationalhymne preisen wir einen Gott, der uns an die Hand nimmt und führt. Die Luxemburger haben immer einen Führer gesucht und auch gefunden. Wir haben drei große Führer: Es ist die Mutter Gottes, war früher der Charly Gaul und jetzt ist es der Juncker. Irgendwann werden es mal die Schleck-Brüder sein. Denn sie zeigen dem Ausland, dass es uns gibt. Und das braucht der Luxemburger…“

„T“: Es lebt sich dennoch gut in Luxemburg …
J.-P.M.:
„Das ist es ja gerade. Andererseits fühlen sich die Luxemburger nämlich auch als etwas Besseres, weil sie mehr Geld haben als andere Länder. Wenn man sich nur anschaut, was hier für Autos herumfahren. Da fragt man sich nur noch, wo die Ranch ist … Aber ich kann mich doch nicht durch ein Auto identifizieren. Schließlich ist der Besitz eines Autos ja nicht mein eigenes Verdienst. Wenn ich versuche, mich über solche Statussymbole zu identifizieren, dann habe ich ein Problem. Und das ist das Problem vieler Luxemburger. Wir stellen ja nichts her hier in Luxemburg. Unsere Banken können auch mal wegbrechen. Das kann schon morgen passieren. Und dann? Da wird mir angst und bange …“

„T“ Deswegen braucht es Theaterautoren …
J.-P.M.:
„Ja. Und wir haben hier das Glück, dass wir schreiben dürfen, was wir wollen. Wenn es denn etwas bringt …“

„T“ Sie sind aber nicht nur Autor, sondern auch Schauspieler. Auch für „Wat d’Mécken denken“ stehen Sie selbst auf der Bühne. Ist es nicht schwierig, gleichzeitig Autor und Schauspieler des selben Stückes zu sein?
J.-P.M.:
„Ich lerne bei den Proben viel für meine Arbeit als Autor. Ich merke, dass es Stellen gibt, die ich heute anders schreiben würde. Ich kann nicht sagen, dass es ein Nachteil ist, dass ich meinen eigenen Text spiele. Ganz im Gegenteil. Ich habe einen Vorsprung vor den anderen Kollegen, was das Textlernen betrifft. Ich denke so, wie ich schreibe, deshalb fällt mir das Textlernen deutlich leichter. Aber ich funke der Regisseurin nicht in ihre Arbeit hinein. Das wäre ein Fehler. Die Aufgaben sind klar verteilt.“