F wie Frühling

F wie Frühling
(dpa)

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Man könnte sich den pragmatischen Blick eines Ludwig Uhland zu eigen machen und einen wesentlichen Vorteil des Frühlings darin erblicken, dass man spazieren gehen kann, ohne sich gleich zu erkälten.

Man könnte sich den pragmatischen Blick eines Ludwig Uhland zu eigen machen und einen wesentlichen Vorteil des Frühlings darin erblicken, dass man spazieren gehen kann, ohne sich gleich zu erkälten. Oder in die Nörgelei Bertolt Brechts einstimmen, der nichts Besseres zu tun hatte, als auf die gefeierte Jahreszeit seinen mit Erdöl, Eisen und Ammoniak angereicherten Hohngesang anzustimmen.
Das ist aber – ehrlich gesagt – meine Sache nicht. Ich halte es eher mit dem immer noch unübertroffenen Meistersänger der vier Jahreszeiten und Virtuosen im Feld des Frühlings, der wie kein anderer die Höhen und Tiefen des steigenden Jahres ausgelotet hat. Hätte man noch Gelegenheit, Joseph Freiherrn von Eichendorff zu fragen, wie er denn selbst sein Verhältnis zum Frühling einschätzen würde, würde er vermutlich in aller Bescheidenheit, aber ebenso entschieden den wandernden Dichter an seiner Stelle antworten lassen: „Der lust’ge Frühling merkt es gleich, / Wer König ist in seinem Reich.“
Mit dem Reichsverweser des Frühlings will ich es daher erst gar nicht aufnehmen. Dieses Amt gebührt Eichendorff historisch und für alle Zeiten. Er hatte jedoch noch den Vorteil, ein wenig Abwechslung in seine Frühlingslitanei zu bringen. Wenn er das Wort nicht mehr hören oder sehen konnte, stellte er einfach auf Lenz um. In der Romantik war das noch möglich, ohne dass man Gefahr lief, sich dem Gelächter des Publikums auszusetzen. Schade, dass man es heute nicht mehr oder nur noch in der Bütt gelten lässt. Ich halte nämlich viel auf Lenz, zumal sich Lenz auch klanglich gut mit Flöz verträgt. Auf Frühling kann man sich bei Flöz dagegen so recht keinen Reim machen, da mag der April machen, was er will. Wenn der Lenz uns aber grüßen würde, dann würde wohl auch Flöz ein Liedchen singen, das Sinn macht und gefällt.
Ich will aber nicht ungerecht werden, nur weil Frühling über Lenz sprachlich den Sieg davongetragen hat. Man könnte es in dieser Hinsicht allemal schlechter getroffen haben. „Spring“ empfinde ich beispielsweise als eine Zumutung. Ich denke dann immer an Sackhüpfen oder Gummitwist, aber nicht an eine laue Luft, die „blau geflossen“ kommt. Schon Frühling ist mit diesem Bild überfordert. Hätte ich die Wahl, ich würde mich in diesem Fall für „Printemps“ oder mehr noch für „Primavera“ entscheiden: „Quell’è Primavera, / e quell’ha nome Amor, sì mi somiglia.“ (Die eine heißt Frühling, die andere trägt den Namen Liebe, so gleicht sie mir.)
Man muss freilich nicht wie Dante Alighieri von einer Muse geküsst werden, damit sich der Frühling in eine Beziehung mit weitreichenden Folgen einlässt. Wenn der Frühling kommt, dann bringt er neben Tulpen aus Amsterdam auch eine emphatische Sicht auf die Dinge und einen mit Hormonen gesättigten Überschuss an Energie, die selbst dem Alter Flügel verleiht. Das nennt man dann den dritten Frühling, der sogar demjenigen, der als Zauderer gilt und sich in Zurückhaltung übt, den Mut zu sagen gibt, was gesagt werden muss und bislang verschwiegen worden ist. „Weil gesagt werden muß, / was schon morgen zu spät sein könnte“. Statt Schwanengesang ein nobles Frühlingserwachen? Wer der Zwiebel beim Häuten zusieht, dem verschwimmt auf Dauer erfahrungsgemäß die Sicht. Allen Unkenrufen zum Trotz schadet es aber den Betroffenen nicht. Solange man etwas zu berichten hat und die Zwiebel in aller Munde bleibt, darf man sich darüber freuen, dass gute Freunde sich nicht trennen lassen.
Und was sagt der Frühling dazu? Er bedankt sich innig für das in ihn gesetzte Vertrauen und den Einsatz aller Beteiligten, die wieder einmal ihr Bestes geben, um sich anlassgemäß zu verhalten und dem Frühlingsgenius des Freiherrn von Eichendorff widerspruchslos und aus vollem Herzen beizupflichten: „Spatzen schrein und Nachtigallen, / Nelke glüht und Distel sticht, / Rose schön durch Nesseln bricht, / Besser noch hat mir gefallen / Liebchens spielendes Augenlicht; / Aber fehlte auch nur eins von allen, / ’s wär eben der närrische Frühling nicht.“

Dieter Heimböckel ist Professor für Literatur und Interkulturalität an der Uni Luxemburg. Seine Beiträge erscheinen im Tageblatt (samstags) und an dieser Stelle im Zwei-Wochen-Takt.

Die Kolumne trägt den Namen Flöz und lädt zu einer Suchbewegung durch das ABC gedanklicher Rohstoffe ein. Was dabei genau herauskommt, liegt wie im Flöz allerdings noch im Verborgenen.