KinoA Sweet Movie: „The Sweet East“ von Sean Price Williams

Kino / A Sweet Movie: „The Sweet East“ von Sean Price Williams
Debütfilm von Sean Price Williams: „The Sweet East“ Quelle: imdb.com

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Wenn Henry David Thoreau einen Hipster-Filmemacher-Ururenkel hätte, dann wäre es Sean Price Williams, der sich mit „The Sweet East“ in einer Art Walden-Update für die zeitgenössischen Vereinigten Staaten versucht. Der transzendentalistische Aspekt hinter dem Schreiben des US-Autors wird in diesem Debütfilm mit einer analogen „Couldn’t give a shit“-Attitüde gegenüber allen ideologischen Grundsätzen formuliert. Ein heidnischer Spaß.

Wir begegnen Lillian, einer schwerpubertierenden jungen Frau, die gerade auf Klassenfahrt in Washington DC ist. Die Klasse und Lillian „fuck around“ – im wortwörtlichen wie auch im umgangssprachlichen Sinne – und man ist sich nicht ganz sicher, ob man im falschen Film sitzt und sich nicht doch eine bräsige debile Sexkomödie der 1990er reinzieht. Ehe man sich aber eingrooven kann, geht alles Schlag auf Schlag. Wie in einem Fiebertraum stürmt ein junger Mann mitsamt Gewehr in ein Pizzalokal und hat vor, unter Kugelhagel den Pädophilenring im Keller des Restaurants zu durchlöchern – Pizzagate is real! Lillian versteckt sich auf dem Klo, wo sie von linksradikalen Anarchisten aufgegabelt und gerettet wird. Während einer schönen Musicalnummer, über die der Filmvorspann läuft, verliert Lillian jedoch ihr Smartphone und so startet für sie eine episodenhaft überraschende Odyssee entlang der Ostküste der USA. Auf diesem Roadtrip trifft sie – Roadmovie oblige – auf ein Sammelsurium an exzentrischen Figuren, die allesamt die modernen gesellschaftlichen Abgründe der USA personifizieren sollen.

Akuter Fall von Hipsteritis

Es mag Sean Price Williams’ erste Regiearbeit sein, doch seine Handschrift ist in den Filmen einer ganzen Reihe von Filmemachern zu erkennen. Den Safdies und Alex Ross Perry (der diesen Film jetzt produziert) hat Price Williams sein Handwerk als Kameramann zur Verfügung gestellt und damit das US-amerikanische Independentkino der letzten 15 Jahre maßgeblich mitgeprägt. Dass er sich jetzt selbstständig macht, überrascht kaum. Seine pastellfarbenen, verwaschenen 16mm-Bilder – Achtung, Diagnose: schwere Hipsteritis! – werden mit der ebenfalls chaotischen Dramaturgie des süßen Ostens ein großes Ganzes. Woraus dieses Ganze jedoch besteht, ist dabei nicht ganz klar. Das Spiegelbild, welches „The Sweet East“ von seinen Zeitgenoss:innen wirft, hat keinen Bock auf irgendwelche Lektionen. „No fucks given“ bis zum Ende.

Ob Lillian, irgendwie Alice irgendwo zwischen dem Wunderland und den Städten, bei ihren Wanderungen und Begegnungen – wie z.B. dem super eloquenten und sensiblen rechts-reaktionären white supremacist, dem woken Filmemacherduo aus New York oder den EDM-Musik-liebenden Dschi­ha­disten – auch nur irgendetwas lernt, wenn sie irgendwann in ihr Alltagsleben zurückkehrt, ist mehr als fraglich. Die Politics von „The Sweet East“ und die seiner Kreativköpfe Sean Price Williams sowie Kritiker und Drehbuchautor Nick Pinkerton sind dabei mehr als unklar, was ganz im Esprit des post-post-post-modernen Affektes des Films bleibt. Bei allem Sich-Lustig-Machen über Ideologien und stupide Weltanschauungen der Amerikaner – „The Sweet East“ ist in der Hinsicht dem Film „Idiocracy“ ganz ähnlich – beißt sich der Film eventuell in seinen eigenen Schwanz. Das Alter ist kein besserer, ja kaum so ein guter Lehrmeister wie die Jugend, denn es hat nicht so viel gewonnen, wie es verlor, heißt es in Thoreaus „Walden“. Das ironisch distanzierte Gehabe und Nicht-Betroffensein ist am Ende vielleicht in keiner Weise besser. Aber hey, es ist allemal viel angenehmer, jung zu sein und dem Niedergang des amerikanischen Imperiums entgegenzuschreiten.