Die Unmöglichkeit der Befreiung

Die Unmöglichkeit der Befreiung
(Tageblatt)

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„Wir sind Erdenmenschen,“ bekennt Alfrad Allmers; den Sprung hin zur Erlösung, zum Vergessen, zum Tod, zu sich selbst – sie können ihn nicht wagen. Sie bleiben im „Eyolf Trauma“.

Und die Eltern fallen doch wieder zurück in die Trauer. Der Blick, der sich gegen Ende des Stückes von der verzehrenden Schuld abzuwenden schien, vom Fjord, in dem der Sohn, Klein Eyolf, ertrank, hin zu den Sternen, zum Nachthimmel, wird als Schlusspunkt nochmal zurückgerissen auf die Erde. In endloser Wiederholung. Der schreckliche Augenblick, der Tod ihres Sohnes, muss in tiefster Erinnerung wieder aufflammen.

Théatre National (TNL)
„Eyolf Trauma“

Weitere Vorstellungen am 3., 4. und 5. Mai um 20 Uhr

Tickets
Tel.: (+352) 26 44 12 70
info@tnl.lu
www.tnl.lu

„Eyolf Trauma“, wie der Regisseur David Mouchtar-Samurai das Stück, das eigentlich mit dem Titel „Klein Eyolf“ 1894 von Henrik Ibsen verfasst wurde, umbenennt. Das einstmals, in Ibsens Version des Stückes, positiv verbliebene Ende, wird seines Auswegs beraubt; wird zum absoluten Rückfall. Rückfall in Schuldgefühle und die Unmöglichkeit der persönlichen, sowie der gemeinsamen Befreiung.

Spiralförmige Streitgespräche

Denn an Herrn und Frau Allmer haftet schon seit längerem eine weitreichende Schuld, wie sich in aufgewühlten, spiralförmigen Streitgesprächen, die um Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart kreisen, ergibt. Seit sie ihren Sohn Eyolf im Rausch der gegenseitigen Verführung auf dem Wickeltisch vergaßen, er hinunter fiel und behindert verblieb, zerann die Liebe in Schuld, und zwei Menschen, die sich einst gegenseitig anzogen und scheinbar zu lieben vermochten, klebten nun in tragischer Schuld aneinander.

Doch damit nicht genug, Mouchtar-Samorai lässt die Eltern weiter und weiter in ihrer sogenannten Liebesbeziehung schürfen, lässt die beiden sich des äußerlichen Schuldverhältnisses, dieser Fassade, entledigen und verzerrt im Rückblick das, was einst Liebe genannt wurde, als ein wesentliches, ursprüngliches Unverständnis der beiden in Bezug auf Liebe.

Tragische Fäden

So spinnt das Stück seine tragischen Fäden um das scheinbar schönste, was der Mensch im Leben kennt: die Liebe und die Familie. Zwei Illusionen, die Ibsen und Mouchtar-Samorai aus jeder Naivität hinaus in die Wirklichkeit der menschlichen Egoismen zerren, und zu zertrümmern versuchen; sie in Zweckmäßigkeiten verlöschen lassen. Und „Klein Eyolf“, dessen Name im Titel des Stückes so bedeutungsvoll erklingt, wird zur rein geisterhaften Präsenz, wird zum unwesentlichen Bezugspunkt zweier Eltern, die in sich selbst und ihrer Beziehung zerfallen. Die Konflikte kreisen dabei in so engem Verhältnis und mit so tiefem Feingefühl um die Psyche der verschiedenen Charaktere, dass Regisseur Mouchtar-Samoria, sich scheinbar zurückhaltend, geschickt die Handlung ganz in den Darstellungen der Schauspieler versinken lässt, die mit einer sehr überzeugenden Leistung aufwarten.

Ulrich Gebauer und Julia Wieninger stoßen ihre Charaktere durchdacht in konträre Richtungen, die man als körperlich und intellektuell unterscheiden kann, und lassen dennoch auf überraschende Weise ständig etwas von ihren Charakteren unverhüllt, was der psychischen Komplexität des Stückes entspricht. Die Eltern können sich selbst und die „Wände“, die sich ständig zwischen sie stellen, eben nie durchbrechen. Die Welle, die im Bühnenbild ständig einzubrechen droht, sie fällt nicht. Die beiden bleiben gefangen in ihrem „Eyolf Trauma“. Und der Schwester Alfred Allmers, Asta, gespielt von Nora Koenig, bleibt nur noch das fluchtartige Sich-Entreißen, und so stürzt sie sich in eine vielleicht ebenso fatale Liebe mit dem Wasseringenieur Borghejm. Aber hoffentlich ohne Trauma.