Auf Abstand zum Aufstand

Auf Abstand zum Aufstand

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Neues Projekt des freien Trierer Theaterkollektivs „bühne1“

Von Tom Haas

„bühne1“ präsentiert ab dem 1. Juni in Trier mit „Der kommende Aufstand“ ein spartenübergreifendes Theaterprojekt, bei dem Schauspiel, Livemusik, Performance und Videoinstallationen kombiniert werden. Dabei wird das Publikum auf eine Erlebnisreise mit dem Bus entführt. Das Tageblatt hat mit dem Regisseur, Mitverfasser des Stücks und Produzenten Mihails Gubenko gesprochen.

Tageblatt: Worum geht es in dem Stück, in dessen Titel bereits eine Revolution anklingt?

Mihails Gubenko: Wir laufen ja im Karl-Marx-Jubiläumsprogramm und sind uns bewusst, dass sich gerade sehr viele Künstler und Kulturtreibende mit dem Thema beschäftigen. Deswegen war es unser Anspruch, ein wenig um die Ecke zu denken und uns einen eigenen, alternativen Ansatz zu überlegen. Wir haben diese Karl-Marx-Geschichte umgedreht und fragen uns: Was hat das Ganze mit uns selbst zu tun?

Das heißt konkret, dass man sich bewusst wird, dass um einen herum der ultimative Revolutionspunk abgeht: Es gibt permanent tiefgreifende, einschneidende Krisen und Katastrophen – die Finanzkrise, die Revolten in Katalonien, Charlottesville oder auch Pegida. Die Radikalisierung ist überall, also auch in Europa. Im medialen Diskurs erfährt man davon, man kann sich ungefähr orientieren, aber wie ergreift man richtig Position? Das ist der zentrale Anschlusspunkt: Wie verhält man sich zu etwas, das das eigene Leben erst mal nicht tangiert? Viele Dinge prassen auf einen nieder und man kann sich gar nicht wehren. Unsere Produktion damit, wie jemand sich im Privaten zu all dem positionieren kann, was an tiefgreifenden Ereignissen um ihn oder sie herum passiert – mit der Frage: „Was ist mein richtiges Leben im Falschen?“

„Das Private ist politisch.“ Eine feministische Parole. Haben Sie sich da Anleihen im Zuge der #MeToo-Debatte herausgesucht oder verhandeln Sie die Frage des Privaten unabhängig davon?

Diese Parole suggeriert eine Lesart, die beides, das Private und das Politische, miteinander in Einklang zu bringen versucht. Wir behaupten hingegen, dass das gar nicht geht und man nicht beides haben kann. Es ist zutiefst menschlich, zu sagen: „Nein, das ist jetzt meins, mein innerer Bereich, meine Burg. Was haben denn die Sondereinsatzkommandos und ihr Tränengas damit zu tun, wie ich mein Leben führe? Ich will doch geliebt werden, ich will mich selbst verwirklichen – unabhängig vom System, in dem ich gerade stecke.“

Das ist ein automatischer Schutzimpuls. Und gleichzeitig ist es so, dass man sich der Revolution nicht entziehen kann, weil sie vor der Tür steht. In diesem Moment, da draußen der Aufstand stattfindet und innen mein warmes Bett, mein Essen, meine Familie, meine Freunde sind – das geht nicht miteinander einher. Ich entscheide mich entweder für das Draußen, gehe raus, gehe mit der Revolution, oder ich tue so, als würde mich das nichts angehen, und entscheide mich für das Private. Wenn ich Teil einer Massenbewegung sein möchte, muss ich in meinem „Ich bin ich“-Kontext Opfer bringen. Oder ich ziehe es rigoros durch, dann bin ich nicht mehr Teil der Bewegung. Die zwei Pole sind das Grunddilemma der heutigen Zeit: Man bekommt beides mit und spürt die Notwendigkeit von beidem, aber diese doppelte Notwendigkeit ist ein unauflöslicher Konflikt und um diesen geht es in unserer Produktion.

„Der kommende Aufstand“ ist ebenfalls der Titel eines Essays des unsichtbaren Komitees. Wie genau fließt das Pamphlet in Ihr Stück ein?

Der Essay war der Stein des Anstoßes. Der Text ist eine Anleitung zur Revolution und hat eine revolutionäre Programmatik, die ein Instrumentarium an die Hand gibt, wie man sich für den notwendigen, unmittelbar bevorstehenden Aufstand entscheiden kann. Wir ergänzen diese Notwendigkeit mit dem fundamentalen Unbehagen, das jeder in unserem Wohlstandsdasein hat, nämlich dem Bestreben, dieses Dasein zu schützen. Das heißt: Ja, der Aufstand steht unmittelbar bevor, aber er kommt doch nicht, weil sich jeder Einzelne, der dafür verantwortlich wäre, ihn ins Rollen zu bringen, ins Private zurückzieht und nicht das aufgeben will, was er aufgeben müsste, damit das Notwendige passieren könnte. Der Aufstand ist das, was einen umgibt – es ist die Bedingung des Theaterstücks, es findet um einen herum statt, wir befinden uns aber im Privaten und spüren volle Kanne die Gleichzeitigkeit des Aufstandes draußen und die Angst, sich dem stellen zu müssen.

Wir verhalten uns zu dem Essay wie ein einzelnes Individuum zu einem richtigen Aufstand. Es kommen unterschiedlichste Fragen auf: Wie kann ich mein richtiges Leben im großen Falschen manifestieren? Wie kann ich mich selbst dazu positionieren? Wie können wir als Theaterstück politisch werden, wenn wir genauso den realen Bedingungen des Kulturbetriebs unterliegen?

Der Verweis auf „das richtige Leben im Falschen“ geht auf Adorno zurück. Ist das Theaterstück als eine ideologiekritische Betrachtung des Aufstandes zu verstehen oder machen Sie „linkes Theater“ – oder beides?

Linkes Theater würde bedeuten, dass man eine parteipolitische Programmatik unterstellt. Wenn das passiert, läuft das Kunstwerk Gefahr, von der Kanzel herab zu predigen. Was wir nicht tun, ist, Parolen zu formulieren – wir machen keine Agitpropaganda. Aber wir wollen die Dialektik bewusst machen und dass ein politisches Theater von links viele Positionen formuliert, die notwendig sind. Gleichermaßen geht es darum, zu zeigen, was die Impotenz des politischen Theaters verursacht, nämlich, dass das politische Theater als Teil des Systems den gleichen Regeln unterliegt wie unsere gesamte Gesellschaft. Die Abhängigkeit von Subventionen und von Fördermitteln ist nur ein Beispiel.

Das Stück wird im Rahmen des Karl-Marx-Jahres aufgeführt – wie sehen Sie den bisherigen Umgang mit Marx in seiner Geburtsstadt? Formulieren Sie dazu einen Gegenstandpunkt oder hat das alles seine Richtigkeit?

Ich erlebe das so, dass man das Thema Karl Marx hier aktuell unter Vorbehalt behandelt und sich immer wieder von bestimmten Themen, Positionen und dem Marxismus distanziert. Wichtig, dass es ihn gegeben hat, schön, dass jetzt Leute kommen, um sich die Statue anzusehen, wichtig auch, dass wir uns wieder mit Karl Marx beschäftigen, mal bejahend, mal verneinend, aber immer wieder mit der Distanzierung: Jaja, wir wissen, die Sowjetunion war böse, die Stasi war böse, ganz vieles war böse und das ist uns allen bewusst. Das wird dann aber ganz schnell zu einem Mantra, das einen nicht mehr befähigt, frei und offen mit Marx und mit den damit einhergehenden Themen zu beschäftigen.

Es ist nicht unser Ziel, explizit auf den Marxismus oder die Person Karl Marx einzugehen. Bei uns ist der Aufstand zeitlos und diffus. Wir leben in einer so komplexen Zeit, dass wir gar nicht genau wissen können, worum da auf der Straße gekämpft wird: Schwarz gegen Weiß? Welche Unterdrücker, welche Unterdrückten? Es ist so kompliziert, dass wir uns ständig nach Orientierungshilfen sehnen. Manchmal tut das die Tagesschau für uns. Manchmal tun wir es selbst, aus unserer eigenen Vereinfachungs-Sehnsucht heraus. Unsere Grundbedingung ist, dass der Aufstand draußen ein Unbekannter ist. Wir wissen, draußen ist es gefährlich, aber keiner weiß genau, worum es geht. Trotzdem muss man sich dazu positionieren, das ist spürbar und wir versuchen, das in unserem Stück nachvollziehbar zu machen.

Mehr Infos unter: buehne1-trier.de

 

Orte des Geschehens

Ein Omnibus steht am Treffpunkt bereit. Der Innenraum des Fahrzeugs ist in eine gedämpfte Lichtstimmung getaucht, Musik säuselt im Hintergrund. Umsorgt werden die Gäste von freundlichem Bordpersonal, das kleine Snacks und Getränke reicht. Verzaubert, behütet und gut gestimmt wird der Zuschauer, ohne es zu merken, in das Stück hineingezogen und in Bewegung gesetzt – die Fahrt in eine unbekannte Richtung beginnt. Am Spielort angekommen, werden die Mitfahrer in einen Raum geführt, in dem der Hauptakt des Stückes gespielt wird. Auf der Rückfahrt hat der Zuschauer Zeit, über das Erlebte nachzudenken.