StandpunktZurück in die 1970er Jahre?

Standpunkt / Zurück in die 1970er Jahre?
Notenbanken wie die Federal Reserve stehen unter Druck  Foto: AFP/Daniel Slim

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Mit dem katastrophal verlaufenen Abzug der USA aus Afghanistan nehmen die Parallelen zwischen den 2020er und 1970er Jahren weiter zu. Ist eine anhaltende Phase hoher Inflation gerade deutlich wahrscheinlicher geworden? Bis vor kurzem hätte ich gesagt, dass die Wahrscheinlichkeit klar dagegen spräche. Jetzt bin ich mir, insbesondere mit Blick auf die kommenden Jahre, nicht mehr so sicher.

Viele Ökonomen scheinen die Inflation als rein technokratisches Problem zu betrachten, und die meisten Notenbanker täten das auch gern. In Wahrheit wurzelt eine nachhaltige Inflation weitgehend in politökonomischen Problemen, und von dieser Warte aus ist die lange Liste der Ähnlichkeiten zwischen den 1970er Jahren und heute verstörend.

In den USA selbst übernimmt nach einem Zeitraum, in dem der amtierende Präsident die institutionellen Normen infrage stellt (Richard Nixon war die Version der 1970er Jahre), ein grundanständiger Mensch (damals Jimmy Carter) das Amt. Im Ausland erleiden die USA eine demütigende Niederlage von Hand eines viel schwächeren, aber deutlich entschlosseneren Feindes (in den 1970er Jahren Nordvietnam, heute die Taliban).

Die Weltwirtschaft leidet derweil unter einem anhaltenden Produktivitätsrückgang. Laut der meisterhaften Darstellung von Innovation und Wachstum des Ökonomen Robert Gordon von der Northwestern University, „The Rise and Fall of American Growth“, markierten die 1970er Jahre wegen eines deutlichen Rückgangs beim Tempo sinnvoller wirtschaftlicher Innovation einen Wendepunkt der US-Wirtschaftsgeschichte. Und auch wenn Produktivitätspessimisten die phänomenalen Erfolge, die die nächste Generation der Biotechnologie und der künstlichen Intelligenz bringen wird, unterschätzen, kommt heute ein großer Teil der wissenschaftlichen Arbeiten zu dem Schluss, dass sich das Produktionswachstum im 21. Jahrhundert verlangsamt hat, und nun scheint uns die Pandemie einen weiteren schweren Schlag zuzufügen.

Massiver Angebotsschock

Die Weltwirtschaft erlitt in den 1970er Jahren einen massiven Angebotsschock, als die Länder des Nahen Ostens den Ölpreis gegenüber der restlichen Welt massiv anhoben. Heute stellen der Protektionismus und die Abkehr von globalen Lieferketten eine gleichermaßen folgenschwere negative angebotsseitige Erschütterung dar.

Und schließlich wurden die enormen Erhöhungen der Staatsausgaben in den späten 1960er und den 1970er Jahren durch eine höhere Besteuerung der Reichen nicht ausgeglichen. Die höheren Ausgaben rührten teils aus Programmen von US-Präsident Lyndon B. Johnson zur Schaffung seiner „Great Society“ in den 1960er Jahren her; später kamen dann die steil steigenden Kosten des Vietnamkriegs dazu. Zunächst Johnson und dann Nixon zögerten aus Angst vor dem Verlust politischer Unterstützung, die Steuern anzuheben, um diese Kosten zu decken. In den letzten Jahren haben zuerst Trumps Steuersenkungen, dann die pandemiebedingte Katastrophenhilfe und jetzt die Pläne der Demokraten zum Ausbau des sozialen Netzes den US-Bundeshaushalt hart getroffen. Pläne zur Deckung dieser Kosten durch Steuererhöhungen nur für Reiche werden vermutlich deutlich zu kurz greifen.

Zwar stellen die heutigen unabhängigen Notenbanken trotz all dieser Ähnlichkeiten ein Bollwerk gegen die Inflation dar; sie stehen bereit, die Zinsen anzuheben, falls der Inflationsdruck überhandnimmt. In den 1970er Jahren hatten nur wenige Länder unabhängige Notenbanken, und im Fall der USA handelte die FED nicht wie eine solche und heizte die Inflation durch ihre enorm lockere Geldpolitik an. Heute sind relativ unabhängige Notenbanken in weiten Teilen der Welt die Norm. Zudem bieten die heutigen, weltweit ultraniedrigen Realzinsen den Regierungen der reichen Länder deutlich mehr Spielraum für Defizite als in den 1970er Jahren.

Staatsverschuldung verhindert Normalisierung

Andererseits haben sich die Herausforderungen der Versorgung alternder Bevölkerungen während der letzten fünf Jahrzehnte (zumindest in den hoch entwickelten Volkswirtschaften und in China) enorm verschärft. Man kann argumentieren, dass die unterfinanzierten Rentensysteme quantitativ betrachtet eine viel größere Bedrohung für die Solvenz der Staatshaushalte darstellen als Schulden. Zugleich hat sich der soziale Druck zur Erhöhung der Staatsausgaben und Transferleistungen weltweit explosionsartig verstärkt, weil die Ungleichheit in vielen Ländern politisch wichtiger wird, die Steigerung des Wachstums dagegen unwichtiger. Und die Bekämpfung des Klimawandels und anderer Umweltgefahren wird fast mit Sicherheit zusätzlichen Druck auf die Budgets ausüben und das Wachstum reduzieren.

Eine steil steigende Staatsverschuldung wird es den Notenbanken unweigerlich politisch erschweren, die Nominalzinsen anzuheben, wenn die weltweiten Realzinsen zu steigen beginnen. Schon jetzt sind die hohen Schulden ein Grund, warum einige Notenbanken zögern werden, bei einer eventuellen Normalisierung im Gefolge der Pandemie die Zinsen anzuheben. Ein womöglich noch größeres Problem sind die privaten Schulden, die während der Pandemie ebenfalls in die Höhe geschossen sind. Weit verbreitete private Zahlungsausfälle hätten letztlich über niedrigere Steuereinnahmen und höhere Kosten für das soziale Netz enorme Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte.

Lösbare Herausforderungen

Bevor wir jetzt zu stark in Pessimismus verfallen, sollten wir uns erinnern, dass auf die 1970er Jahre die 1980er und 1990er Jahre mit einer starken Wiederbelebung des Wachstums in den hoch entwickelten Volkswirtschaften folgten, auch wenn dieses sich nicht auf derart breite Schichten erstreckte, wie die Politiker das gern hätten. Andererseits sind die 2030er Jahre noch weit weg.

Die heutigen wirtschaftlichen Herausforderungen sind mit Sicherheit lösbar, und es besteht kein Grund, warum die Inflation steil steigen müsste. Heutige Notenbankchefs wie Jay Powell bei der US Federal Reserve und Christine Lagarde bei der Europäischen Zentralbank sind ein deutlich anderes Kaliber als der willfährige US-Notenbankchef Arthur Burns in den 1970er Jahren. Beide haben herausragende Mitarbeiter, die sie unterstützen. Trotzdem aber stehen alle Notenbanken unter ständigem Druck, und es ist schwer für sie, auf unbeschränkte Zeit allein die Stellung zu halten, insbesondere wenn die Politiker in Schwäche und Verzweiflung verfallen.

Amerikas demütigende Niederlage in Afghanistan ist ein großer Schritt in Richtung einer Wiederholung jenes perfekten Sturms, der in den 1970er Jahren zu niedrigem Wachstum und sehr hoher Inflation führte. Noch vor ein paar Wochen erschien etwas Inflation wie ein zu bewältigendes Problem. Jetzt sind die Risiken größer, und es geht um mehr.

* Kenneth Rogoff war Chefökonom des Internationalen Währungsfonds und ist heute Professor für Volkswirtschaft und Public Policy an der Universität Harvard.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

Copyright: Project Syndicate, 2021. www.project-syndicate.org

Realist
3. September 2021 - 13.16

So lange diese furchtbaren Schlaghosen nicht mehr in Mode kommen, sage ich: lasst sie ruhig wiederkommen, die 70er...