Sexuelle GewaltWieso der Begriff Kinderpornografie irreführend ist

Sexuelle Gewalt / Wieso der Begriff Kinderpornografie irreführend ist
Barbara Gorges-Wagner (KJT), Sally Stephany, (KJT/BeeSecure), Noémie Losch (Ecpat) und Thomas Kauffmann (Ecpat) stellen eine neue Kampagne gegen sexuelle Gewalt an Kindern vor Foto: Ecpat/KJT

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Der sexuelle Missbrauch an Kindern, der im Netz meist in Form von Bildern oder Videos dokumentiert wird, ist ein Verbrechen. Die Fälle häufen sich – auch in Luxemburg – und bekamen in der Pandemie nochmals einen Auftrieb. Was man dagegen tun kann und wieso der Gebrauch des richtigen Begriffs so wichtig ist, erläutern die zwei Organisationen „Kanner- a Jugendtelefon“ (KJT) und „Ecpat Luxembourg“.

Auch in Luxemburg häufen sich die Fälle der sexuellen Gewalt gegen Kinder, kurz CSAM („Child sexual abuse material“), im Netz. Alleine die Zahlen von „BeeSecure Stopline“ zeigen einen stetigen Anstieg zwischen 2016 und vergangenem Jahr. „2020 wurde der Spitzenwert von 4.022 Meldungen in Luxemburg erreicht“, sagt Sally Stephany von der Organisation „Kanner- a Jugendtelefon“ (KJT), welche die „BeeSecure Stopline“ in Luxemburg operiert. Davon seien 2.410 Meldungen tatsächlich als illegal eingestuft und dementsprechend weitergeleitet worden. „Der Bericht der Internet Watch Foundation von 2020 zeigt, dass Luxemburg in den Top 10 der Länder liegt, wo es am meisten Meldungen solcher URL gab“, sagt Thomas Kauffmann, Exekutivdirektor von „Ecpat Luxembourg“. „Das existiert also auch hier.“

Der Bericht der Internet Watch Foundation von 2020 zeigt, dass Luxemburg in den Top 10 der Länder liegt, wo es am meisten Meldungen solcher URL gab

Thomas Kauffmann, Exekutivdirektor „Ecpat Luxembourg“

„CSAM, das Internet und die Menschenrechte kennen keine Grenzen“, so Sally Stephany. Deshalb nennt sie auch die internationalen Zahlen. Alleine im Jahr 2020 wurden über eine Million URL gemeldet. „Eine einzige URL kann Zugriff auf Hunderte oder Tausende Bilder und Videos bieten“, sagt Kauffmann. „Das ist erschreckend.“ Laut Stephany würden immerhin 73 Prozent aller gemeldeten Webseiten innerhalb von drei Tagen offline geschaltet. Besorgniserregend sei allerdings, dass 60 Prozent dieses illegalen Bildmaterials bereits bekannt war. Dies zeige, dass sich die Bilder und Videos trotz allem immer weiterverbreiten.

Die neue Kampagne #StopCSAM

„Der Großteil der betroffenen Minderjährigen sind zwischen 3 und 13 Jahre alt“, sagt die KJT-Mitarbeiterin. 76 Prozent aller Fälle gehören in diese Alterskategorie und in 93 Prozent der Verbrechen sind die Opfer Mädchen. „Weltweit haben wir 46 Hotlines in 43 Ländern“, sagt sie. Nach Angaben von Europol soll der Zugriff auf Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs während des ersten Lockdowns europaweit um 30 Prozent zugenommen haben.

Wir halten es für dringend notwendig, Kinder im Internet vor sexueller Ausbeutung zu schützen

Barbara Gorges-Wagner,, KJT-Direktorin

Aus diesem Grund haben sich KJT und „Ecpat Luxembourg“ zusammengeschlossen und die Kampagne #StopCSAM sowie die Webseite stop-csam.lu lanciert. „Wir halten es für dringend notwendig, Kinder im Internet vor sexueller Ausbeutung zu schützen“, sagt KJT-Direktorin Barbara Gorges-Wagner. „Die Kampagne fordert auf, hinzuschauen und ermutigt, etwas zu tun.“ Eine der Botschaften lautet: Wir können etwas dagegen tun. Für Gorges-Wagner ist es wichtig, Jungen und Mädchen an allen Orten der Welt zu schützen und über nationale Grenzen hinwegzudenken.

Die Wichtigkeit des Sprachgebrauchs

Noémie Losch, Projektbeauftragte bei „Ecpat Luxembourg“, erläutert die Wichtigkeit des Sprachgebrauchs. Dadurch verstehe man auch, welches Problem dahintersteckt. „Ein Wort, bei dem wir viel Bauchschmerzen bekommen, ist Kinder-Pornografie, manchmal auch Pädo-Pornografie genannt“, so Losch. Das werde im Alltag viel benutzt. Aber im professionellen Gebrauch habe man seit einigen Jahren bereits auf den Begriff CSAM („Child sexual abuse material“) umgeschwenkt.

Wieso sollen wir den Begriff Kinder-Pornografie nicht benutzen? Losch erklärt, dass sich in diesem Begriff die Wörter Kinder und Pornografie befinden. Kinder sind alle Menschen unter 18 Jahre. Pornografie ist im legalen Bereich ein Akt zwischen erwachsenen Menschen, der im Konsens stattfindet. Während der Konsum von Pornografie für Erwachsene legal ist, ist dies bei Kindern nicht der Fall. Nehme man beide Wörter zusammen, dann entstehe der Eindruck, dass man von einer Art Pornografie spricht, sagt sie. „Das ist aber nicht der Fall. Es ist sexueller Missbrauch an Kindern.“ Deshalb sei CSAM viel angebrachter, weil es die Straftat als das benennt, was sie ist. Losch nennt es eine Dokumentation der sexuellen Gewalt, die einem Kind zugefügt wurde, und präzisiert: „Es sind Vergewaltigungen, es ist sexuelle Gewalt.“ Durch den falschen Begriff werde die Realität verharmlost. „Die Realität des Verbrechens fällt weg, man merkt nicht mehr, dass das Kind eigentlich das Opfer ist“, sagt sie. „CSAN bedeutet sexuelle Missbrauch-Darstellungen von Kindern. Es ist eine sexuelle Gewalt gegen Kinder und es ist ein Verbrechen. Dann soll man das auch so nennen.“ 

Ziel ist es, das Wort Kinder-Pornografie aus dem Sprachgebrauch abzuschaffen und durch CSAM zu ersetzen

Noémie Losch, Projektbeauftragte Ecpat Luxemburg

Seit 2016/2017 gibt es in Luxemburg Richtlinien zum richtigen Gebrauch des Ausdrucks. Diese „Luxembourg guidelines“ hat Ecpat zusammen mit verschiedenen Partnern aufgestellt. Ecpat wird einen Workshop anbieten, wo Leute aus dem professionellen Bereich sich darüber austauschen können, wie und wieso sie die Begrifflichkeit richtig nutzen sollen. „Ziel ist es, das Wort Kinder-Pornografie aus dem Sprachgebrauch abzuschaffen und durch CSAM zu ersetzen.“

Was wir gegen sexuellen Missbrauch tun können

Ein weiterer Teil der Kampagne wird am 18. Oktober starten. Sally Stephany zitiert aus dem Video, das erst  Mitte Oktober präsentiert werden soll: „CSAM kennt keng Grenzen. Sou laang CSAM online ass, widderhëlt sech de sexuelle Mëssbrauch an Dir kënnt eppes maachen. Mellt CSAM bei der BeeSecure Stopline.“ Bei der Stopline kann jeder, der im Netz etwas Auffälliges entdeckt, dies melden. Neben CSAM kann man dort auch Fälle von Rassismus, Diskriminierung, Revisionismus inklusive „Hatespeech“ sowie terroristische Inhalte melden. Stephany betont, dass bei einer solchen Meldung stets der komplette direkte Link angegeben werden sollte.

Im luxemburgischen „Code pénal“ wird CSAM in den Artikeln 383 bis 386 definiert. In Luxemburg versteht man unter dem Begriff jegliche Form sexueller Gewalt gegen Minderjährige. Das können Bilder, Texte, Videos, aber auch andere Darstellungen sexualisierter Gewalt sein. „Es ist demnach nicht nur die sexuelle Gewalt, die gegen Kinder praktiziert wird, sondern auch jene, die in Anwesenheit von Minderjährigen stattfindet, sowie jene, bei denen Minderjährige gezwungen werden, solche Aktivitäten aneinander vorzunehmen“, sagt Stephany. 

Am 18. November wird „Ecpat Luxembourg“ einen runden Tisch einberufen, wo eine Diskussion zur gesetzlichen Grundlage angespornt werden soll. Dabei soll erörtert werden, ob etwa die Gesetzestexte noch angebracht sind oder der Sprachgebrauch in diesen Texten noch zutrifft. Danach sollen Empfehlungen dazu veröffentlicht werden. „Wir hoffen, dass dies Auswirkungen haben wird“, so Noémie Losch.