Coronafall in der GrundschuleWie eine alleinerziehende Mutter die Quarantäne in ihrem Apartment erlebt

Coronafall in der Grundschule / Wie eine alleinerziehende Mutter die Quarantäne in ihrem Apartment erlebt
Dieses Symbolbild zeigt eine Frau, die von ihrem Apartment aus aus dem Fenster schaut. Eine Mutter hat uns berichtet, wie es ist, in einer Wohnung mit ihrem 11-jährigen Sohn die Quarantäne auszusitzen. Foto: dpa/David Inderlied

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Drei Kinder aus drei verschiedenen Klassen in einer luxemburgischen Grundschule in Kehlen haben sich mit Covid-19 angesteckt. Noch am selben Tag wurden die Eltern vom Gesundheitsministerium benachrichtigt, dass ab diesem Zeitpunkt alle Schüler aus den betroffenen Klassen in Quarantäne gesetzt werden. Die alleinerziehende Mutter eines Schülers berichtet dem Tageblatt, was es für sie bedeutet, in Zwangsquarantäne in ihrem Apartment ausharren zu müssen.

Seit genau einer Woche sind die Schulklassen nicht mehr geteilt. Die Schülerzahl in den Klassen und Schulgebäuden hat sich demnach seit den ersten Wochen der „Rentrée“ verdoppelt. Gleichzeitig steigt seit vergangenem Wochenende die Zahl der Neuinfizierten. Es ist ein Trend, der sich nun abbildet, auch wenn er nicht alarmierend ist, sagte am vergangenen Mittwoch Gesundheitsministerin Paulette Lenert.

Die Berichte über Schulklassen, die in Quarantäne gesetzt werden, häufen sich. Wie geht man denn vor, wenn sich herausstellt, dass ein Schüler positiv auf Covid-19 getestet wurde? Hierbei wird nach festgesetzten Regeln verfahren. Das Vorgehen wurde in Zusammenarbeit zwischen dem Gesundheits- und dem Bildungsministerium ausgearbeitet.

Wenn ein Kind in einer Luxemburger Grundschule positiv auf Covid-19 getestet wird, dann nimmt die Direktion der „Santé“ Kontakt mit den Eltern des betroffenen Schülers auf. Bei diesem Gespräch soll ermittelt werden, mit wem das Kind in einer Zeitspanne von 48 Stunden vor den ersten Symptomen beziehungsweise vor dem positiven Coronatest in Kontakt war.

Geben die Eltern an, dass das Kind innerhalb dieser 48 Stunden in der Schule war, dann kontaktiert die Direktion des Gesundheitsministeriums den Klassenlehrer, den Schulpräsidenten sowie die Regionaldirektion. Diese werden aufgefordert, der „Santé“ eine Liste zukommen zu lassen, auf der sämtliche Schüler und Lehrpersonal vermerkt wurden, die zu diesem Zeitpunkt in der Schule waren. Daneben wird die „Direction générale de l’Enseignement fondamental“ vom Bildungsministerium über den Vorgang informiert.

Es wird von Fall zu Fall evaluiert

Was danach passiert, werde von Fall zu Fall evaluiert, schreibt Bildungsminister Claude Meisch in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage des Abgeordneten Sven Clement (Piraten). Es müsse also geschaut werden, ob der betroffene Klassenlehrer in Quarantäne gesetzt wird oder nicht. Hier gelten die allgemeinen sanitären Empfehlungen des Gesundheitsministeriums. Demnach muss zuerst festgestellt werden, ob es sich bei den Kontakten des Schülers um engere Kontakte handelt. Als solche Kontakte gelten jene, die 15 Minuten oder länger andauerten und bei denen die Zwei-Meter-Distanz nicht eingehalten wurde und das Tragen einer Maske nicht erfolgte.

Ich bestätige hiermit, dass sich drei Schüler aus drei verschiedenen Klassen mit dem Coronavirus infiziert haben

Félix Eischen, Bürgermeister von Kehlen

Auf der Webseite der Gemeinde Kehlen reagierte am 2. Juli Bürgermeister Félix Eischen auf entsprechende Meldungen, dass mehrere Schüler an der Grundschule des Ortes positiv auf Covid getestet wurden. „Ich bestätige hiermit, dass sich drei Schüler aus drei verschiedenen Klassen mit dem Coronavirus infiziert haben“, schreibt Eischen. Er betont, dass sich die drei Schüler nicht in der Schule angesteckt haben. Um weitere Ansteckungen zu vermeiden, wurden sämtliche Schüler der drei Klassen eine Woche lang in Quarantäne gesetzt, so der Bürgermeister.

Am Montag, dem 29. Juni, war die fünfte Klasse in Kehlen zum ersten Mal seit dem Splitting wieder voll besetzt. Niemand hat gefehlt. Das Gleiche geschah am Dienstag. Die Mutter eines Schülers sagt gegenüber dem Tageblatt: „Gegen 16.30 Uhr hat die Klassenlehrerin uns geschrieben, sie habe gerade die Information bekommen, dass ein Schüler in ihrer Klasse positiv auf das Coronavirus getestet wurde.“ Das Gesundheitsministerium habe angeordnet, die Lehrerin müsse die Information herausgeben, dass ab sofort die ganze Klasse in Quarantäne gesetzt werde.

„Um 17.30 Uhr hat sich jemand von der ‚Santé’ bei uns gemeldet“, sagt die Mutter. Sie wurde über den positiven Fall und über die Quarantäne-Maßnahme informiert. „Ab Mittwoch, 8. Juli, dürfen die Kinder wieder in die Schule gehen, vorausgesetzt, dass sie sich ab Sonntag, 5. Juli, einem Coronatest unterziehen“, so die Mutter weiter. Zeigt ein Schüler Symptome, dann soll er sich auch vorher testen lassen dürfen. Jene Schüler, deren Test negativ ist, dürfen dann ab dem 8. Juli wieder in die Schule gehen.

Das Kind muss in seinem Zimmer bleiben

Am Dienstag fanden die Telefonate statt, am Mittwoch hatte die Mutter des Schülers bereits alle notwendigen Papiere vom Gesundheitsministerium zugeschickt bekommen. Sie sagt: „Ich habe einen Krankenschein bekommen, weil mein Sohn minderjährig ist und ich ihn nicht alleine zu Hause lassen kann.“ Die Eltern des Schülers leben getrennt. Die Mutter ist alleinerziehend. Zum Vater könne ihr Sohn nicht, da dieser zur Risikogruppe gehöre. „Sicherheitshalber werden die beiden sich erst nach dem Test wiedersehen, wenn dieser negativ ausfällt.“ 

Die Empfehlungen des Gesundheitsministeriums an die Mutter lauten unter anderem: Das Kind muss in der Regel in seinem Zimmer bleiben. Dort soll es auch sein Essen zu sich nehmen. Wenn es das Zimmer verlässt, soll es eine Maske tragen. Diese Empfehlungen wurden der Mutter in schriftlicher Form zugeschickt.

Ihr Sohn bekam eine Einladung zum Testen. Die Mutter aber nicht. Sie findet das nicht fair. Nun nimmt sie den noch ausstehenden Termin des Large-Scale-Testings wahr, den sie vor kurzem geschickt bekommen hatte. So habe sie wenigstens Gewissheit.

Wir leben in einem Apartment, das vom Platz her zwar für uns beide ausreicht, aber mein Sohn ist ein Kind, das es gewohnt ist, viel Sport zu machen, und in der Regel stundenlang joggt, Fahrrad fährt und Fußball spielt

Mutter, deren Sohn sich in Quarantäne befindet

„Ich bin genervt, weil wir beide im Lockdown die Situation nicht so gut gemeistert haben“, sagt die Mutter. „Wir leben in einem Apartment, das vom Platz her zwar für uns beide ausreicht, aber mein Sohn ist ein Kind, das es gewohnt ist, viel Sport zu machen, und in der Regel stundenlang joggt, Fahrrad fährt und Fußball spielt.“ Im Lockdown musste er wochenlang drinnen hocken.

Ein bitterer Nachgeschmack für Mutter und Sohn 

Psychisch gesehen habe man den Lockdown gerade so meistern können, sagt sie. Seit der „Rentrée“ habe man wieder einen geregelten Tagesrhythmus gefunden. „Jeder war auf seine Art und Weise ausgelastet. Nach dem Lockdown hatten wir uns eigentlich Ferien verdient. Eine Auszeit. Und nun sind wir wieder in der gleichen Situation. Das hat einen bitteren Nachgeschmack.“

Wir wissen nicht, ob es der Nachbar war, mit dem mein Sohn jeden Tag draußen spielt und engen Kontakt hat, oder ob es ein Schüler ist, der drei Dörfer weiter lebt und mit dem mein Sohn eigentlich nichts zu tun hat

Mutter, deren Sohn sich in Quarantäne befindet

Der Unterricht finde nun wieder über MS Teams statt. Nun müsse sie wieder Lehrerin spielen, die Aufgaben herunterladen und kontrollieren, dass der Sohn am Ball bleibt. „Das war nicht meine Wahl.“ Die Mutter versteht auch nicht, dass die Eltern des infizierten Kindes anonym bleiben wollen. So könne man nicht wissen, wer es ist. Die Mutter erklärt: „Wir wissen nicht, ob es der Nachbar war, mit dem mein Sohn jeden Tag draußen spielt und engen Kontakt hat, oder ob es ein Schüler ist, der drei Dörfer weiter lebt und mit dem mein Sohn eigentlich nichts zu tun hat.“ Sie stellt die Frage: „Was ist denn da so dramatisch dran, dass man sich nicht erkennbar machen will?“

Auch stelle sie sich die Frage, ob dieses Kind am nächsten Mittwoch ebenfalls wieder in die Schule geht. „Ich finde es nicht richtig, dass keine Informationen preisgegeben werden. Und wir werden gezwungen, zu Hause in Quarantäne zu bleiben, niemanden zu besuchen, niemanden einzuladen, uns den ganzen Tag an die Sicherheitsmaßnahmen zu halten.“ Es sei klar, dass man sich schützen müsse, aber dies sei eine große Belastung.

Die Sorgen der Mutter sind ein Teil der großen Debatte, die um die Regelungen in den beiden Covid-Gesetzen geführt wurde. Dazu gehören Fragen, wie man mit den Infizierten umgeht und was die Regierung eigentlich darf. Die Situation, in der sich die Mutter befindet, geht nicht zuletzt auf die Regulierung mit dem Tracing zurück. Die Gesetze, die nun greifen, nachdem der Krisenzustand ausgelaufen ist, sind Kompromisse, die je nach Lebenssituation der Betroffenen schwieriger durchzuführen sind.

Die Mutter findet es unfair, dass im Lockdown niemand nach den Kindern gefragt hat. Auch nach dem Lockdown habe man beispielsweise keine Stunde in der Schule reserviert, damit vielleicht eine Psychologin in die Klassen kommen könnte, um mit den Kindern über das Erlebte im Lockdown zu sprechen. „Was heißt es für Kinder, monatelang zu Hause zu hocken? Und die Erwachsenen mussten Home-Office machen, Lehrer spielen und auch noch den ganzen Rest tun, der zu Hause anfällt.“ Als Erwachsener könne man sich Hilfe erbeten, wenn man welche braucht. „Aber wo bleiben die Kinder in dieser ganzen Geschichte? Hat irgendjemand etwas für die Kinder vorgesehen?“

Netflix und YouTube auf der Tagesordnung

Und nun bekomme man telefoniert und muss samt Kind ab dem nächsten Tag zu Hause bleiben. „Was sind die Informationen für die Kinder? Was sind denn die Auswirkungen, die die Quarantäne auf die Kinder und Eltern hat? Da fragt niemand nach“, sagt die Mutter. Für sie bedeutet es erneut eine Stress- und Belastungssituation, wie sie sagt. Eine gewisse Angst sei da.

Die Mutter berichtet, dass ihr Sohn grundsätzlich in seinem Zimmer hocke, wie es die Empfehlungen verlangen würden. „Netflix und YouTube stehen nun wieder an der Tagesordnung“, beklagt  sie. Auch stellt sie sich die Frage, was der Internetkonsum für Auswirkungen auf ihr Kind hat. Zum Essen setze man sich allerdings zusammen an einen Tisch. Außerhalb seines Zimmers ziehe er auch nicht immer die Maske an. Den Atemschutz würden beide anziehen, sobald sie sich näherkommen.

Einmal am Tag desinfiziert sie nun die Türklinken und Lichtschalter. Mutter und Sohn wohnen in einem Mehrfamilienhaus, in dem sich mehrere Wohnungen befinden. „Ich passe auf, dass er nicht ins Treppenhaus des Gebäudes geht und dort alles anfasst.“ Auch habe sie alle Nachbarn über die Situation in Kenntnis gesetzt. Sie sagt, dass sie auch vermeiden wolle, dass jemand spontan bei ihnen klingele und der Sohn dann vielleicht die Leute in die Wohnung lässt.

Mein Sohn hat elf Jahre und versteht die Sicherheitsmaßnahmen. Allerdings hält er sich nicht immer dran. Er ist ein wenig rebellisch.

Mutter, deren Sohn sich in Quarantäne befindet

Sieben Tage am Stück drinnen zu bleiben, kommt aber für die alleinerziehende Mutter nicht infrage. „Wir gehen täglich raus in den Wald spazieren.“ Draußen passe sie auf, dass der Sohn nichts anfasse und niemandem zu nahe kommt. Sie sagt: „Mein Sohn hat elf Jahre und versteht die Sicherheitsmaßnahmen. Allerdings hält er sich nicht immer dran. Er ist ein wenig rebellisch.“