Ukraine-KonfliktWeltraumexperte: Der Krieg hat die Raumfahrt nachhaltig verändert

Ukraine-Konflikt / Weltraumexperte: Der Krieg hat die Raumfahrt nachhaltig verändert
 Symbolfoto: dpa

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Der Krieg in der Ukraine habe die Raumfahrt nachhaltig verändert, sagt Antonino Salmeri, Experte für Weltraumrecht am SES-Lehrstuhl an der Universität Luxemburg. Wo früher die internationale Kooperation über die politischen Spannungen gestellt wurde, herrscht nun eisige Kälte. Das Vertrauen zwischen westlichen Akteuren und der russischen Weltraumagentur Roskosmos scheint dauerhaft beschädigt.

Tageblatt: Mein Eindruck war, dass die internationale Kooperation in der Weltraumforschung in den letzten Jahren von politischen Divergenzen unberührt blieb. Teilen Sie diesen Eindruck?

Antonino Salmeri: Das ist korrekt. Ich würde nicht so weit gehen, zu sagen, dass Weltraumforschung unpolitisch war, aber es gab keine Konflikte. Wenn Sie mich vor 20 Tagen gefragt hätten, was ich von der internationalen Kooperation im Weltall halte, dann hätte ich Ihnen gesagt, dass sie über den potenziellen Konflikten auf der Erde steht. Die Erfahrung der letzten 50 Jahre hat das gezeigt. Der Weltraum war für uns ein geheiligter Tempel, in dem wir unsere Differenzen beiseitelegten und zum Wohle der Menschheit kooperierten. Was jetzt passiert, untergräbt diesen Glauben, dass der Weltraum Vorrang hat.

Ein Beobachter in der deutschen Presse sagte kürzlich, bereits vorher hätten die Amerikaner angestrebt, ein eigenes Lager zu bilden – über die Artemis Accords. Wie ist Ihre Einschätzung?

Ich bin damit nicht einverstanden. Die Artemis Accords sind nicht dazu da, die Welt in Lager einzuteilen. Tatsächlich kann jeder, der beitreten will, die Dokumente unterzeichnen. Es gibt keine Klausel, die besagt, dass man dazu das Einverständnis der USA braucht. Natürlich ist das Dokument dazu gemacht, das westliche Projekt „Artemis“ zu regulieren. Den darin enthaltenen Prinzipien müssten aber jeder zustimmen können. Ich sehe die Artemis Accords mehr als einen Versuch der internationalen Kooperation als das Gegenteil. (Anm. d. Red.: Die Unterzeichner verpflichten sich zum Beispiel, Experimente anderer Nationen nicht zu stören und in Not geratenen Astronauten Beistand zu leisten.)

Welche gemeinsamen Projekte haben Russen und der Westen derzeit? Die bekanntesten dürften die ISS und ExoMars sein.

Antonino Salmeri
Antonino Salmeri Foto: Editpress

Das sind die zwei wichtigsten im Moment. Aber es gibt noch andere Kooperationen, die erwähnenswert sind. Wir verlassen uns zum Beispiel auf das Kosmodrom in Baikonur, um unsere Satelliten und Missionen ins Weltall zu schießen. Tatsächlich sind eine Reihe von Starts an Bord russischer Raketen und Sojus-Kapseln geplant. Vor einigen Tagen musste das Konsortium OneWeb einen Start absagen, weil Russland sich geweigert hat, ihre Satelliten hochzuschießen, wenn die britische Regierung sich nicht aus dem Projekt zurückzieht. Sie haben als Grund angegeben, das Vereinigte Königreich könnte die Satelliten gegen sie verwenden. Das Problem ist, dass die Satelliten sich noch immer in Baikonur befinden.

Gleichzeitig befinden sich eine Reihe von Sojus-Kapseln in Französisch-Guinea. Die werden nicht gestartet, weil die Russen ihr Personal, das sie bedient, zurückgezogen haben. Übrigens wurde auch das europäische Personal aus Baikonur zurückgezogen.

Können Sie näher auf die ISS und ExoMars eingehen?

Was die ISS betrifft, so ist es technisch möglich, die Module der unterschiedlichen Länder mittel Luken voneinander abzutrennen. Diese Luken sind aus Sicherheitsgründen vorhanden und können im Notfall geschlossen werden. Eine physische Abtrennung der Module von der Station wurde noch nie gemacht. Die Module sind abhängig voneinander: Ein europäisches Modul liefert die Lebenserhaltung, ein russisches Modul den Antrieb und ein amerikanisches die Energieversorgung. Wird eines davon isoliert, kann die ganze Station nicht mehr funktionieren.

Um es ganz klar zu sagen: Das passiert gerade nicht. Die Verwaltung der Station wird im Moment aber dadurch erschwert, dass die Russen, als Antwort auf westliche Sanktionen, Diskussionen ablehnen.

ExoMars sollte von Baikonur aus gestartet und in Kooperation mit Russland durchgeführt werden. In der Woche vom 14. März will der Rat der Europäischen Weltraumagentur entscheiden, wie es mit der Mission weitergeht. Sie wird aber wahrscheinlich nicht von Baikonur aus starten.

Wie steht es um die Besatzung der ISS? Schwebt sie in Gefahr?

Die Astronauten sind derzeit sicher. Es befinden sind ja auch russische Kosmonauten an Bord. Ich weiß nicht, wie es im Moment dort oben aussieht, aber Astronauten sind ganz besondere Menschen. Sie können ihre Probleme beiseiteschieben und sich auf ihre Mission konzentrieren und sich gegenseitig helfen. Dank SpaceX hat der Westen jetzt die Möglichkeit, die Station alleine zu versorgen. Wenn die Astronauten die Station verlassen müssten, wäre das möglich.

Ich bezweifle auch ganz stark, dass die russischen Besatzungsmitglieder irgendetwas tun würden, das die Leben der Besatzung gefährden würden, egal, was Roskosmos ihnen vom Boden aus sagt.

Wie sieht es mit anderen Weltraumnationen aus? China und Indien haben sich bekanntermaßen enthalten, als die UN darüber abgestimmt haben, ob Russlands Taten zu verurteilen sind.

China versucht, eine neutrale Position zu wahren und zu vermitteln. Ihnen ist daran gelegen, den Westen nicht zu verärgern, und sie machen viele Geschäfte mit Russland. Zum Weltall äußern sie sich nicht. Allerdings hat China sowieso nicht viele Bezüge zum Westen, was das angeht.

Irgendwann werden sie sich aber entscheiden müssen. China plant eine gemeinsame Mondmission mit Russland – die internationale Luna-Forschungsstation. Das soll ein internationales Projekt werden. Ich hatte das Vergnügen – mittlerweile weiß ich nicht mehr, ob es das wirklich war – vor sieben Monaten in Sankt Petersburg dabei zu sein, als China und Russland das Projekt vorgestellt haben. Damals haben sie gesagt, dass sie sich wünschen, dass andere Länder sich dem Projekt anschließen – zu einem gewissen Grad auch die europäische Weltraumagentur.

Sie wollen eine internationale Koalition gründen – wie Artemis. Ich glaube aber, dass jetzt kein westlicher Partner sich daran beteiligen wird, solange Russland an Bord ist. Die Frage ist nun, ob China sich für Russland entscheidet und auf westliche Partner verzichtet, oder ob China Russland fallenlässt, um mit westlichen Partnern zusammenzuarbeiten – etwas, das sie seit fünf Jahren anstreben.

Vor einigen Monaten hat Russland erfolgreich Anti-Satelliten-Waffen getestet. Glauben Sie, Russland könnte solche Waffen gegen Weltrauminfrastruktur verwenden?

Das ist eine gute Frage. Ich sehe die Gefahr im Moment nicht. Russland hat gesagt, dass Cyberattacken gegen Satelliten als Kriegshandlung aufgefasst werden. Darauf basierend müsste man davon ausgehen, dass sie physische Attacken gegen Satelliten erst recht nicht durchführen. Niemand ist daran interessiert, den Konflikt im Weltall eskalieren zu lassen. Weder mit Anti-Satelliten-Waffen noch mit Cyberattacken. Das könnte schwere Folgen für alle Parteien haben.

Aber: Starlink ist momentan der einzige operierende Internetdienst in der Ukraine. Elon Musk hat berichtet, dass seine Satelliten zurzeit das Ziel von Störsignalen sind. Wir wissen nicht sicher, woher diese kommen, aber wir können davon ausgehen, dass es Russland ist.

Wie beurteilen Sie die Situation gerade?

Wie gesagt, wenn Sie mich vor drei Wochen gefragt hätten, ob politische Spannungen die internationale Kooperation im Weltall stören könnten, hätte ich nein gesagt. Heute müssen wir umdenken. Es ist womöglich der Anfang einer neuen Ära, in der die Arbeit im Weltraum wieder politisch aufgeladen ist. Das haben wir mindestens 20 Jahre lang vermeiden können. Grenzen wurden überschritten. Natürlich herrscht gerade Krieg und es geht um sehr viel, aber wer weiß, ob wir in Zukunft wieder umkehren können.

Wenn der Krieg bald enden würde, könnte die Weltraumgemeinschaft dann wieder zu ihrer Arbeitsweise von vorher zurückkehren?

Mit den Russen? Das bezweifele ich. Nicht, solange Roskosmos die gleiche Führung behält. Der Leiter von Roskosmos, Dimitri Rogosin, war unglaublich aggressiv, provokativ und unkooperativ. Er hat die Satelliten von anderen Staaten beschlagnahmt. Er hat gedroht, dass Russland das Antriebssystem der ISS abschaltet und die ISS abstürzen lässt. Er benimmt sich überhaupt nicht professionell.

Ich glaube nicht, dass sie so etwas tun würden. Aber alleine die Tatsache, mit so etwas zu drohen, ist schon problematisch. Ich sehe nicht, wie westliche Partner in Zukunft vertrauensvoll mit Roskosmos zusammenarbeiten könnten, solange er dort Leiter ist.

Sollte Roskomos eine neue Spitze bekommen, wäre eine Zusammenarbeit wieder denkbar. Aber es wurden auch Grenzen überschritten. In der Weltraumbranche herrscht ein gemäßigter Umgangston. Das ist sehr wichtig. Rogosin hatte einen heftigen Streit mit dem Astronauten Scott Kelly, in dem sie sich Dinge an den Kopf warfen. (Rogosin reagierte auf Kritik von Kelly mit dem Tweet: „Lass mich in Ruhe, du Schwachkopf! Sonst hast du den Tod der ISS auf dem Gewissen“, a.d.Red.). So ist man nicht mal in Sowjet-Zeiten miteinander umgegangen.

Hinzu kommt, dass Roskosmos angekündigt hat, sich auf die Entwicklung von Verteidigungssatelliten zu konzentrieren. Das ist ein Novum, weil Roskosmos eine friedliche, zivile Weltraumagentur ist. Die friedliche Erkundung des Weltraums und die Entwicklung militärischer Satelliten sollten getrennt sein – wenigstens waren sie das bislang immer.

Zur Person

Antonino Salmeri ist ein italienischer Weltraumanwalt, der sich auf die Themen Mond und Aktivitäten im Zusammenhang mit Space Mining spezialisiert hat. Seit 2019 arbeitet er als Doktorand im Bereich Weltraumrecht an der Universität Luxemburg, wo er über das Thema des Weltraumbergbaus promoviert. Salmeri ist als Rechtsanwalt bei der italienischen Anwaltskammer eingetragen und aktives Mitglied zahlreicher Organisationen rund um das Thema Weltall.

Pyotr Dubrov und Tom Marshburn beim Überprüfen ihrer Ausrüstung. Der Russe und der Amerikaner leben und arbeiten derzeit Seite an Seite an Bord der ISS. 
Pyotr Dubrov und Tom Marshburn beim Überprüfen ihrer Ausrüstung. Der Russe und der Amerikaner leben und arbeiten derzeit Seite an Seite an Bord der ISS.  Foto: NASA