Ärztemangel / Warum die Luxemburger Mediziner im Ausland bleiben

Es fehlt an Ärzten in Luxemburg und dieses Problem könnte sich in den kommenden Jahren noch vergrößern. Das Tageblatt hat sich mit luxemburgischen Ärzten, die im Ausland praktizieren, unterhalten und sie gefragt, wieso sie nach ihrem Studium im Ausland geblieben sind.
Ärztemangel wird immer akuter
„Das Hauptproblem in Zukunft wird in meinen Augen nicht unbedingt die Anzahl der Maschinen sein, sondern die Frage, ob wir genügend kompetente Radiologen haben“, sagte Dr. René Metz gegenüber RTL zur MRT-Problematik. Damit hat der Generaldirektor des Escher CHEM auf den Ärztemangel hingewiesen, der in den kommenden Jahren droht, noch akuter zu werden. Bereits 2012 warnte die Vereinigung der Medizinstudenten (ALEM), dass in den kommenden zehn bis 20 Jahren zwei Drittel der Ärzte in Rente gehen. Hinzu kommt, dass rund 30 Prozent der Medizinstudenten aus Luxemburg nach ihrem Studium im Ausland bleiben. Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Zwei Mediziner aus Luxemburg, die im Ausland praktizieren, haben mit dem Tageblatt über ihre Beweggründe gesprochen und erklärt, warum sie nicht in Luxemburg praktizieren. Es sind zum einen Probleme, die verschiedene Parteien in ihren aktuellen Wahlprogrammen ansprechen – zum anderen sind es auch persönliche Gründe.
Marc Schiltz: „Immer wieder auf die gleichen Probleme gestoßen“
Marc Schiltz ist Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin sowie Sportmediziner und leitet die Abteilung Rehabilitation und Sportmedizin in einem Universitätskrankenhaus in Brüssel. Der 50-jährige ehemalige Basketballprofi blieb nach seinem Studium in Belgien. In Luxemburg hat er nie praktiziert, obwohl er in seiner Karriere gleich mehrmals mit dem Gedanken spielte, zurückzukommen. Am Ende scheiterte es immer wieder an den gleichen Gründen. „Ich habe dreimal daran gedacht, wieder nach Luxemburg zurückzukehren, aber letztendlich bin ich immer wieder auf die gleichen Probleme gestoßen“, so Schiltz im Gespräch mit dem Tageblatt.
Schiltz praktiziert in dem doch sehr spezifischen Bereich der physikalischen und rehabilitativen Medizin. Experten auf dem Gebiet werden nicht in gleicher Anzahl gebraucht wie Allgemeinmediziner. Dennoch braucht auch Luxemburg Experten auf diesem Fachgebiet, zum Beispiel im Rehazenter, im CHL oder im „Centre de réhabilitation“ in Colpach. „Bei meinen drei Bewerbungen in Luxemburg war entweder die Stelle nicht klar definiert, man konnte mir keinen genauen Zeitpunkt nennen, wann ich anfangen sollte oder das Statut, unter dem ich hätte arbeiten sollen, war nicht ganz klar.“ Zusammengefasst scheiterte ein Engagement an zu hohen administrativen Hürden und zu wenig Flexibilität. So kam es gleich mehrmals vor, dass Schiltz sich gegen eine Rückkehr nach Luxemburg aussprach und eine neue Stelle in Belgien antrat. Ein paar Wochen oder Monate später bekam der Mediziner dann jeweils einen Anruf aus Luxemburg, dass er die Stelle nun antreten könnte. „Da musste ich dann jedes Mal wieder absagen. Wenn man weiß, dass man in sechs oder zwölf Monaten einen Experten auf einem Fachgebiet braucht, dann sollte es doch möglich sein, diesen zur Not auch etwas früher einzustellen oder einen detaillierten Vorschlag machen, wenn sich die Möglichkeit bietet.“
Für Schiltz steht fest, dass Luxemburg flexibler werden muss, was die Rekrutierung von Spezialisten angeht. Außerdem sollte man Spezialisten, die im nahen Ausland arbeiten und eventuell einen oder zwei Tage die Woche in Luxemburg praktizieren wollen, den administrativen Aufwand verringern. „Mit einem belgischen Diplom reicht es in Belgien, ein paar Formulare auszufüllen, und wenig später kann man arbeiten. Um mit einem belgischen Diplom in Luxemburg zu arbeiten, ist dies wesentlich umständlicher und man muss teilweise recht lange auf eine Arbeitserlaubnis warten. Dies müsste 2023 in Europa doch auch einfacher und schneller gehen.“ Das würde viele Spezialisten abschrecken, meint Schiltz. Er weist zudem darauf hin, dass, im Gegensatz zu anderen Bereichen, es für verschiedene Spezialisten, Chirurgen aus Belgien zum Beispiel, keine großen finanziellen Anreize gibt, sich in Luxemburg niederzulassen. „Die Gehälter liegen nicht weit auseinander und dann kommen eben noch die hohen Lebenskosten in Luxemburg hinzu“, so Schiltz. Zusätzlich sei das Ausland für Mediziner oftmals aufgrund der großen Konkurrenz interessant. „Das pusht einen natürlich zu Höchstleistungen und hat dadurch schon seinen Reiz.“
Aber was kann der Staat tun, damit wenigstens die Mediziner aus Luxemburg nach ihrem Studium wieder zurückkehren? Ein komplettes Medizinstudium auf der Uni.lu ist für Schiltz kein Allheilmittel. „Wenn unsere Mediziner ausschließlich, oder zum größten Teil, in Luxemburg ausgebildet werden, droht das Niveau der medizinischen Versorgung abzufallen.“ Was in der Medizin wie auch in anderen Bereichen wichtig sei, wäre, möglichst viele unterschiedlichen Erfahrungen zu vereinen. „Luxemburg ist zu klein, um Expertise auf sämtlichen Fachgebieten aufzubauen. Man hat schlicht und einfach nicht ausreichend medizinische Fälle. Das ist sogar in Belgien der Fall.“ Deswegen sei es für eine gute gesundheitliche Versorgung sehr wichtig, Spezialisten zu haben, die ihre Expertise in unterschiedlichen Teilen der Welt gesammelt haben.
Wichtiger als ein komplettes Medizinstudium in Luxemburg wäre für Schiltz eine Art Kataster, in dem man sämtliche Medizinstudenten aus Luxemburg aufführt. „So könnte man diese im Nachhinein spezifisch anwerben.“ In der Universitätsklinik in Brüssel arbeiten neben Schiltz noch andere Luxemburger. „Ich denke nicht, dass man sich dessen in Luxemburg bewusst ist.“ So gehe dem Land einiges an Fachkompetenz verloren.
Von München über Freiburg bis nach Basel
Cathy Theisen arbeitet seit April in Basel als Zahnärztin in einer Gemeinschaftspraxis. Davor war sie drei Jahre an der Basler Unizahnklinik, wo sie unter anderem ihre Doktorarbeit schrieb. Studiert hat sie in Freiburg. „Ich wollte noch nicht zurück nach Luxemburg kommen, weil ich der Meinung bin, dass es immer gut ist, über den Tellerrand zu schauen und Erfahrungen zu sammeln“, sagt Theisen. Die 30-Jährige studierte ursprünglich Bauingenieurswesen in München. Dort lernte sie ihren Partner kennen. Danach zog es sie nach Freiburg, um dort Zahnmedizin zu studieren. „Nach seinem Studium hat mein Partner noch zwei Jahre in München gearbeitet und ist dann nach Basel gezogen, um näher bei mir zu sein“, erklärt Theisen. Jetzt leben beide in Basel.
Die beiden haben einen einjährigen Sohn. „Ich wollte nicht mit einem Kind eine Fernbeziehung führen“, sagt Theisen. Wahrscheinlich kehren sie in etwa zwei Jahren – wenn ihr Partner seinen PhD abgeschlossen hat – wieder nach Luxemburg zurück. Sicher sei es allerdings nichts. „Auf der einen Seite haben wir keine Großeltern hier, die uns unter die Arme greifen können. Das würde unser Leben natürlich vereinfachen“, sagt Theisen. Gleichzeitig sei Basel nun auch die Heimat ihres Sohnes. „Er wurde hier geboren und wächst jetzt hier auf und das erleichtert die Entscheidung nicht.“
Viele Luxemburger würden im Ausland studieren und dann dort auch ihren Partner kennenlernen – der nicht unbedingt Luxemburger sei. „Dann stellt sich natürlich immer die Frage, wo geht man danach hin?“, meint Theisen. Sie könne jedenfalls gut verstehen, wenn ein Paar dort bleibt, wo man sich kennengelernt hat. „Die Studienzeit ist eine Zeit, in der man sich ein Leben aufbaut und dann ist das Risiko groß, dass man dort hängen bleibt. Vor allem, wenn die Kinder sich dort integriert haben und man eine Arbeit hat, die einem gefällt“, sagt sie. Die 30-Jährige macht momentan eine Weiterbildung in Bern. „Ich fahre morgens eine Stunde mit dem Zug nach Bern und komme abends wieder zurück. In Luxemburg müsste ich eine größere Reise unternehmen, was mit einem Kind schwieriger ist.“ Sie wolle so viele Weiterbildungen wie möglich machen, solange sie noch im Ausland arbeitet. Denn Spezialisierungen, Aus- und Weiterbildungen sind in Luxemburg schwer zu finden.
Das gelte auch für andere Gesundheitsberufe. Beispiel Zahnarzthelfer. „Im Ausland ist das eine Lehre, für die man drei Jahre die Schulbank drücken muss – da lernt man vieles“, sagt Theisen. Im Großherzogtum benötige man dafür nur einen Hochschulabschluss und eine dreimonatige Grundausbildung. Das würde dann allerdings auch mit sich bringen, dass die Helfer in Luxemburg wesentlich weniger Verantwortung übernehmen können. Im Ausland könnten sie mehr Aufgaben erledigen, was wiederum die Arbeitslast der Ärzte mindere. In der Schweiz hätten diese Ausbildungsberufe einen sehr hohen Stellenwert. „Ein Zahnarzt bzw. eine Zahnärztin ist immer nur so gut wie die Assistentin oder der Assistent – deswegen ist es schade, dass es das in Luxemburg nicht in dieser Form gibt“, so Theisen.
Dieses Problem gebe es auch nicht nur bei Zahnärzten. „Mein Sohn wurde hier noch nie von seinem Kinderarzt geimpft, das war immer ein Helfer“, sagt Theisen. Ihr Vater ist Kinderarzt in Esch und müsse das hingegen selbst machen. Durch diese Aufwertung würden die Ausbildungsberufe dann auch viel attraktiver werden.
Der Umstand, dass die Luxemburger Mediziner im Ausland studieren, ist laut Theisen jedenfalls eine große Bereicherung für Luxemburg. Belgien, Frankreich, Deutschland, Schweiz: Die Luxemburger studieren in vielen verschiedenen Ländern Medizin und sammeln dort auch viele verschiedene Erfahrungswerte. „Dann bringt auch jeder ein anderes Know-how mit“, erklärt Theisen. Denn es würden auch künftig viele Menschen wieder zurück nach Luxemburg ziehen. Eigentlich sei diese Vorgehensweise sogar eher ein Problem für das Ausland. „Man hört immer wieder: ‚Ihr Luxemburger bekommt eure Ausbildung im Ausland und geht dann zurück.’“
Was die Parteien gegen den Ärztemangel tun wollen
Die politischen Parteien beschäftigen sich in ihren Wahlprogrammen mehr oder weniger intensiv mit dem Thema Ärztemangel. Die meisten wollen die administrativen Prozeduren vereinfachen. LSAP, „déi gréng“, CSV, Piraten und Fokus teilen die Forderung nach einem Universitätskrankenhaus. Die ADR will ein Militärkrankenhaus errichten, das auch als Uniklinik genutzt werden kann. So soll unter anderem die Attraktivität des Standorts Luxemburg für Mediziner gesteigert werden. In dem Zusammenhang sind die meisten Parteien für ein komplettes Medizingrundstudium in Luxemburg.
Die LSAP fordert zudem noch die Einführung des „Maître de stage“, damit Spezialisten stärker in die Ausbildung eingebunden werden. Auch die Grünen wollen die Klinikärzte verstärkt in Forschung und Lehre einbinden und das dafür notwendige Statut schaffen. „déi gréng“ fordern außerdem noch eine einheitliche Prozedur für die Homologation für Ärzte mit ausländischem Diplom und bieten eine konkrete Maßnahme an, wie junge Mediziner zurück nach Luxemburg geholt werden sollen. Hierfür würden sie die Finanzhilfen für Medizinstudenten erhöhen, falls diese sich bereiterklären, nach ihrer Ausbildung zehn Jahre in Luxemburg zu praktizieren. CSV und ADR wollen eher auf den Weg einer verstärkten Liberalisierung gehen und die Organisation der Krankenhäuser reformieren, um die Attraktivität des Medizinsektors zu steigern. Die ADR spricht in ihrem Wahlprogramm noch von günstigen Krediten für junge Ärzte, die eine Praxis eröffnen wollen. In ihrem Wahlprogramm fordern sie auch ein besseres Versicherungssystem für Ärzte.
„déi Lénk“ wollen die Gehälter der Ärzte aufbessern und – genau wie die Piraten – die Bezahlung von Nacht- und Bereitschaftsdiensten erhöhen. Zudem sind „déi Lénk“ der Meinung, dass das Zugangssystem zum Medizinstudium reformiert werden müsse. Der numerus clausus sei kein gutes Instrument, um die Eignung für den Arztberuf festzustellen. Die KPL fordert ihrerseits dringende Maßnahmen, um dem akuten Mangel an Allgemeinmedizinern und Fachkräften in Krankenhäusern entgegenzuwirken, ohne diese Maßnahmen näher zu definieren.
- Showdown zwischen Roodt und Reckingen am 9. Spieltag - 1. Dezember 2023.
- Nächste Runde im Duell Wenzel-Bettendorff - 1. Dezember 2023.
- Luxemburg schielt mit einem halben Auge nach Hamburg - 1. Dezember 2023.
Zwar ein anderer Fall, aber nichtsdestotrotz befremdlich für mich:
Termin bei einer größeren Praxis schriftlich angefragt mit dem Wunsch nach Dr. XY (kein Luxemburger). Am Tag des Termins Frage der Sekretärin, welchen Arzt ich wünsche: „Dr. XY, wenn möglich!“ Sekretärin, mehr zu sich selbst: „Ah, da weiß ich, wen“. Bei Dr. XY bin ich nicht gelandet! Ich fragte mich im Nachhinein, ob Sekretärinnen willkürliche Entscheidungen treffen. Einer bekommt die Patienten zugeschustert, der andere langweilt sich… (und wie ist es mit dem Verdienst?) Das würde auf Mobbing hinauslaufen – mir kam’s fast so vor.