StreamingVom Verkehrsstreit zum Rosenkrieg: „Beef“ ist eine der derzeit besten Netflix-Serien

Streaming / Vom Verkehrsstreit zum Rosenkrieg: „Beef“ ist eine der derzeit besten Netflix-Serien
Eine unbändige innere Rage verbindet die beiden Kontrahenten Amy (Ali Wong) und Danny (Steven Yeun)  (C) Netflix

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In „Beef“ entpuppt sich ein vermeintlich harmloser Verkehrsstreit als schicksalhafte Begegnung: Die schwarze Komödie erzählt in sechs höchst unterhaltsamen Stunden von der Fehde zwischen einem gescheiterten Bauunternehmer und einer erfolgreichen Geschäftsfrau, die absurde Formen annimmt. Zugleich stellt die neue Netflix-Serie eine Charakterstudie dar, in der die Hauptfiguren ihrem Zorn freien Lauf lassen.

Danny (Steven Yeun) hat einen dieser Tage, an denen nichts gelingen will. Nach einem fehlgeschlagenen Suizid versucht er mehrere Hibachi-Grills zurückerstattet zu bekommen – ohne Erfolg. Niedergeschlagen setzt er sich ins Auto und will losfahren – doch plötzlich gerät er in einen Verkehrsstreit, der ihm den letzten Nerv raubt.

Denn in dem gescheiterten Bauunternehmer hat sich in letzter Zeit eine irrsinnige Wut angestaut, die er nicht länger unterdrücken kann. Die Sicherung brennt bei ihm durch und es kommt zu einer wilden Verfolgungsjagd quer durch die Stadt. Seine Kontrahentin ist die nach außen hin erfolgreiche Geschäftsfrau Amy (Ali Wong). Doch der Schein trügt, auch Amy verspürt im Inneren eine unbändige Rage.

Die beiden üben eine seltsame Anziehungskraft aufeinander aus und sind geradezu besessen von der jeweils anderen Person. So artet die Konfrontation auf dem Parkplatz in einen bitteren Rachefeldzug aus, bei dem sich die beiden ohne Rücksicht auf Verluste gegenseitig zu übertrumpfen versuchen. Die Vendetta weitet sich bald auch auf ihr Privatleben und ihre Beziehungen aus, bis beide am Ende mit nichts mehr dastehen – außer einander.

Folie à deux

Und trotzdem: Die zwei verlorenen Seelen lassen sich gegenseitig lebendig fühlen. Sie befeuern ihre dunkelsten Triebe, was für beide Protagonisten etwas geradezu Befreiendes hat. Auch für die Zuschauer*innen können die Wutausbrüche auf der Leinwand durchaus eine kathartische Wirkung haben. Zudem ist es mitunter sehr unterhaltsam, Danny und Amy dabei zuzusehen, wie sie die Nerven verlieren und sich gegenseitig zur Weißglut treiben.

Die Aggressionen der Hauptfiguren spiegeln sich auch im Soundtrack wider, der vorwiegend aus 90er-Jahre-Rock besteht: von Limp Bizkit über The Offspring bis hin zu System of a Down. Die beiden Hitzköpfe lassen sich nicht nur zu Wutausbrüchen hinreißen, sondern zeigen im Laufe der Handlung auch ihre verletzliche Seite. Trotz ihrer unterschiedlichen Lebensentwürfe erkennen die zwei, dass sie mehr verbindet als ihre immerwährende Wut. Als Migrant*innen zweiter Generation mussten sie ähnliche Hürden überwinden, unter anderem das Gefühl, den hohen Erwartungen der Eltern nicht gerecht werden zu können.

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Serienschöpfer und Showrunner Lee Sung Jin findet eine gute Balance zwischen Drama und Komödie, indem er Themen wie transgenerationale Traumata, Verlustängste und unterdrückte Wut aufgreift und mit brillanten Hauptdarsteller*innen aufwartet, die ein großes Talent für komödiantisches Timing haben – allen voran Stand-up-Comedian Ali Wong.

Neben den tragikomischen Figuren ergibt sich der Humor vor allem aus der skurrilen Situationskomik und den schlagfertigen Dialogen. So nimmt „Beef“ sein Publikum mit auf eine emotionale Achterbahnfahrt voller Höhen und Tiefen und mit vielen Wendungen, die den Atem stocken lassen.

Darüber hinaus besticht die Serie durch originelle und raffinierte Tricks, die das audiovisuelle Medium voll ausschöpfen, wie man es von A24-Produktionen – darunter der diesjährige siebenfache Oscar-Gewinner „Everything Everywhere All at Once“ – inzwischen gewohnt ist. Obwohl „Beef“ ein offenes Ende hat, braucht die Serie keine Fortsetzung. Denn die erste Staffel ist bereits ein in sich geschlossenes Werk und kann für sich alleine stehen.

„Beef“ ist derzeit wohl eine der besten Serien auf Netflix. Die schwarze Komödie lotet virtuos innere Abgründe aus und verpackt tiefgründige Themen in pointierte, kluge Dialoge, die zum Lachen bringen und gleichzeitig zum Nachdenken anregen. Prädikat: besonders bissig.