RadsportVerhilft eine Ausbildung im Cyclocross Radsportlern zu Erfolgen auf der Straße?

Radsport / Verhilft eine Ausbildung im Cyclocross Radsportlern zu Erfolgen auf der Straße?
Wout van Aert: Der Weltklasse-Cyclocrosser fährt inzwischen auch auf der Straße fürs Team Jumbo-Visma von Sieg zu Sieg  Foto: Christophe Petit Tesson/AFP

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Wout van Aert (Jumbo-Visma) macht nicht erst seit der diesjährigen Tour de France auf sich aufmerksam. Der dreifache Cyclocross-Weltmeister feiert auch auf der Straße einen Erfolg nach dem anderen. Auch Mathieu van der Poel (Alpecin-Fenix) ist dreifacher Querfeldein-Weltmeister und siegte im letzten Jahr beim Amstel Gold Race sowie bei  Dwars door Vlaanderen (beide 1.UWT). Sind diese Radsportler Ausnahmekönner oder bringt sie ihre Ausbildung im Cyclocross auf der Straße maßgeblich weiter?

Als es in die entscheidende Phase der 4. Etappe der diesjährigen Tour de France ging, kamen an der Spitze des Pelotons die gelb-schwarzen Farben der niederländischen Mannschaft Jumbo-Visma zum Vorschein. Mit dem Slowenen Primoz Roglic hat das Team jemand in seinen Reihen, der zu den großen Favoriten auf den Tour-Sieg zählt. Auf einer Etappe von 160,5 Kilometern mit drei Anstiegen der dritten Kategorie, einem der vierten und einem Schlussanstieg der höchsten Kategorie war es am Ende Wout van Aert, der für hohes Tempo im Peloton sorgte. Der Belgier bewirkte so, dass einige Fahrer das Tempo nicht mehr mithalten konnten. Am Ende gewann sein Teamkollege Roglic – eine starke Vorstellung von Jumbo-Visma. 

Derselbe Fahrer, der ein enormes Tempo auf der 4. Etappe am Berg anschlug, gewann am nächsten den Sprint in Privas und sicherte sich seinen zweiten Etappensieg bei der Tour de France. Ein weiterer Sieg sollte für Van Aert in einem Sprint zwei Tage später folgen. Das ist aber nicht alles: Anfang August gewann der 25-Jährige die Strade Bianche (1.UWT), eine Woche später Mailand-Sanremo (1.UWT), und dann gewann er die belgische Landesmeisterschaft im Zeitfahren. Van Aert, der Alleskönner. Es gibt nur wenige Fahrer, die so vielseitig sind wie er, gerade deswegen gilt er als Ausnahmetalent. Van Aert ist zudem noch im Cyclocross aktiv, wurde 2016, 2017 und 2018 Weltmeister sowie belgischer Landesmeister. Ähnlich erfolgreich ist auch Mathieu van der Poel, der ebenfalls in beiden Disziplinen Erfolge feiert. Viele Radsportler, die aus dem Querfeldein kommen, sind auch auf der Straße erfolgreich – Zufall oder steckt mehr dahinter?

Imagewechsel

 „Diese Fahrer sind Beweise dafür, dass eine Ausbildung im Cyclcross durchaus Vorteile für Straßenrennen bringen“, sagt Claude Michely. Der Luxemburger wurde 1984 und 1985 nationaler Meister im Straßenrennen, von der Cyclocross-WM in München 1985 konnte er die Bronzemedaille mit nach Hause nehmen. Zudem dominierte er die luxemburgische Cyclocross-Szene, als er von 1979 bis 1990 zwölfmal nationaler Meister wurde. „Man darf sich nicht zu früh spezialisieren. Als Jugendlicher sollte man mehrere Disziplinen ausprobieren und dann zeigt sich von selbst, was einem Radsportler am besten liegt.“

Zu seinen aktiven Zeiten hatte der 60-Jährige nie große Probleme, sich von der Straße aufs Quer umzustellen. Nach der Straßensaison legte er meist ein oder zwei Wochen Pause ein, dann ging es in den Matsch. „Wenn man eine ganze Saison auf der Straße durchfährt, bekommt man eine gewisse Steifheit auf dem Rad. Man braucht dann ein wenig Zeit, um sich die ganzen Bewegungsabläufe, die man auf der Straße hat, abzugewöhnen“, sagt Michely, der sich an seine Zeit als Aktiver gut erinnert. „Damals war Cyclocross bei vielen Trainern schon ein Tabu-Thema. Sie sagten, dass man sich seine Karriere verbauen würde, wenn man im Winter noch Cross fahren würde.“

Mittlerweile sind solche Aussagen seltener geworden. Bei der FSCL („Fédération du sport cycliste luxembourgeois“) legt man zur heutigen Zeit viel Wert auf eine Ausbildung im Cyclocross. Straßen-Landesmeister Kevin Geniets (Groupama-FDJ), Bob Jungels (Deceuninck-Quick Step), Alex Kirsch oder Michel Ries (beide Trek-Segafredo) haben bis zu den Junioren an Weltcups und Meisterschaften im Querfeldein teilgenommen. Jungels wurde dreimal Luxemburgischer Meister (2008 Débutants, 2009 und 2010 Junioren), Geniets und Ries gelang dieses Kunststück bei den Junioren im Jahr 2015 bzw. 2016. Bestes Beispiel ist aber immer noch Jempy Drucker, der viermal Meister bei der Elite wurde und für das belgische Cyclocross-Team Fidea fuhr.

„Bei uns in Luxemburg gehört das zur Grundausbildung“, sagt Misch Wolter, Trainer bei der FSCL. Ein aktuelles Beispiel dafür ist Marie Schreiber. Im Februar dieses Jahres erreichte sie den neunten Platz im Rennen der Juniorinnen bei der Cyclocross-WM, am 28. August wurde sie bei der Straßenrad-Europameisterschaft Siebte. „Es schaffen nicht viele, den ganzen Sommer und Winter Rennen zu fahren. Psychologisch müssen da viele eine Pause einlegen.“ Während auch in Belgien, Frankreich oder den Niederlanden viel Wert auf Cyclocross gelegt wird, ist die Disziplin in Deutschland eher verpönt. Populärstes Beispiel aus Frankreich ist Julian Alaphilippe (Deceuninck-Quick Step), der 2013 Landesmeister der U23 im Cyclocross wurde. 

Alex Kirsch (Trek-Segafredo) fuhr in seiner Jugend viele Cyclocross-Rennen. Auch im letzten Jahr war er in dieser Disziplin aktiv. 
Alex Kirsch (Trek-Segafredo) fuhr in seiner Jugend viele Cyclocross-Rennen. Auch im letzten Jahr war er in dieser Disziplin aktiv.  Archivbild: Luis Mangorrinha/Editpress

Verbesserte Fähigkeiten

„Es hat sich in den letzten Jahren herauskristallisiert, dass Van der Poel und Van Aert zwei besondere Fahrer sind. Sie haben die Cyclocross-Szene dominiert und sind teilweise bei Rennen, die eine Stunde gedauert haben, mit einem Vorsprung von zwei Minuten ins Ziel gefahren“, erklärt Wolter. „Das sind Jungs mit sehr großen Motoren, die alles mitbringen, was man auf dem Rad braucht.“ Wie Wolter erklärt, beherrschen die Sportler ihr Rad durch die Ausbildung im Querfeldein besser. „Das erkennt man unter anderem daran, dass sie nicht so oft in Stürze verwickelt sind. Technisch sind sie viel besser.“

Doch ist es wirklich die Cyclocross-Ausbildung, die Radsportlern Vorteile auf der Straße bringt? Oder sind Van der Poel, Van Aert und Alaphilippe nur Ausnahmekönner? „Für mich ist es eine Mischung aus beidem“, erklärt der Trainer der FSCL. „Auch wenn man viel Cyclocross fährt, wird man nicht automatisch ein solcher Rennfahrer. Sie entwickeln im Cyclocross aber einige Fähigkeiten: Sie bekommen eine gewisse Grundschnelligkeit und werden vor allem abgehärtet.“ Wolter redet von Rennen, die meistens eine Stunde dauern und die den Sportlern zu keinem Moment eine Verschnaufpause gönnen. Hinzu kommen die widrigen Bedingungen. „Wenn du im Cyclocross am Anschlag bist, dann weißt du, dass du jetzt noch ein wenig drauflegen musst“, sagt Wolter. „Dabei werden vor allem die physischen und psychischen Eigenschaften gefördert.“ Van Aert ist gerade dafür ein Paradebeispiel. „Während andere Radfahrer nach 20 Minuten schon keine Energie mehr haben, ist der Belgier jemand, der dann noch mal fünf oder zehn Minuten länger Tempo machen kann.“

Auch die Sprintfähigkeiten, die Van Aert bei dieser Tour de France schon zweimal eindrucksvoll unter Beweis stellte, wurden im Cyclocross trainiert. „Man wird in dieser Disziplin härter und deswegen ist Van Aert auch jemand, der drei oder vier Minuten richtig am Anschlag fahren kann. Er ist im Sprint auf den letzten Metern deswegen wahrscheinlich auch weniger müde und kann so Etappen für sich entscheiden.“ Sicher ist, dass man als Cyclocross-Fahrer bessere Chancen auf der Straße hat als umgekehrt. Doch schaut man sich die Lebensläufe einiger Fahrer genauer an, erkannt man, dass allgemein viele erfolgreiche Straßenrennsportler aus anderen Disziplinen kommen. Jakob Fuglsang (Astana) oder Egan Bernal (Ineos) feierten Erfolge im Mountainbike. Der Däne wurde 2007 Welmeister der U23, der Kolumbianer holte 2014 bei der WM im Rennen der Junioren in derselben Disziplin die Silbermedaille.