Interview zu neuer Pharma-GesetzgebungTilly Metz: „Die Patienten sind wichtiger als der Profit“

Interview zu neuer Pharma-Gesetzgebung / Tilly Metz: „Die Patienten sind wichtiger als der Profit“
Die luxemburgische Grünen-Abgeordnete im EU-Parlament, Tilly Metz, ist mittlerweile auch Vizepräsidentin des neu geschaffenen Gesundheitsausschusses im EP Foto: Editpress-Archiv/Hervé Montaigu

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Mit der luxemburgischen Grünen-Abgeordneten im EU-Parlament, Tilly Metz, die zudem Vizepräsidentin des neu geschaffenen Gesundheitsausschusses im EP ist, sprachen wir über die Reform der Pharma-Gesetzgebung sowie die Aufarbeitung der Corona-Pandemie.

Tageblatt: Die EU-Kommission hat eine umfassende Reform der Pharma-Gesetzgebung vorgeschlagen. Wird das helfen, den akuten Mangel an Medikamenten zu beheben und die Abhängigkeit der Pharmaindustrie von Drittländern zu verringern?

Tilly Metz: Es ist ein echter Fortschritt, dass die EU-Kommission die Pharma-Gesetzgebung reformieren möchte. Positiv ist auch, dass sie gegen Medikamente-Knappheit vorgehen will. Allerdings geht der Vorschlag zu sehr auf die Pharmaindustrie zu, zudem mangelt es noch immer an Transparenz.

Können Sie das an einem Beispiel erläutern?

Gesundheitskommissarin Kyriakides hat versprochen, Medikamente „accessible, available und affordable“ zu machen. Doch sie setzt dabei vor allem auf Anreize für die Industrie. So sollen Firmen, die bahnbrechende Antibiotika entwickeln, dafür Gutscheine erhalten, die den Schutz der Daten eines Medikaments für ein zusätzliches Jahr sichern. Doch diesen Gutschein kann die Firma sogar an ein anderes Unternehmen weiterverkaufen! Die Kosten der Gutscheine werden auf die Krankenkassen der Mitgliedstaaten abgewälzt, da sie den Markteintritt von günstigeren Generika verzögern. Das geht zu weit, das ist der falsche Weg. Ich hoffe, dass wir in den nun anstehenden Verhandlungen über das Pharma-Package im Parlament einen ausgewogeneren Ansatz finden. Die Patienten sind wichtiger als der Profit!

Wie sieht es mit dem Kampf gegen die Medikamenten-Knappheit aus? Die EU-Kommission handelt sehr spät …

Ich hätte mir auch gewünscht, dass die EU schneller handelt und mehr tut. Doch dafür braucht sie mehr Einsicht in den Sektor und mehr Kompetenzen, vor allem die EMA muss gestärkt werden. Derzeit werden 80 Prozent der aktiven Komponenten der Medikamente außerhalb der EU produziert, das kann nicht so weitergehen. Wir brauchen auch mehr Monitoring, um den Mangel zu beheben. Das neue Pharmapaket enthält strengere Verpflichtungen für die Pharmaindustrie, Engpässe frühzeitig zu melden, was den Behörden mehr Möglichkeiten gibt, in solchen Situationen zu handeln. Dies ist ein willkommener erster Schritt.

Derzeit werden 80 Prozent der aktiven Komponenten der Medikamente außerhalb der EU produziert, das kann nicht so weitergehen

Die Probleme sind nicht neu, sie liegen spätestens seit der Corona-Pandemie offen zutage. Sie sitzen im COVI-Ausschuss und versuchen, die Lehren aus der Corona-Krise zu ziehen. Was wäre die wichtigste Erkenntnis?

Aus meiner Sicht geht es vor allem darum, das Gleichgewicht zwischen der Politik und der Pharmaindustrie wiederherzustellen. In der Corona-Krise saß die Industrie am längeren Hebel. Die EU-Kommission hat in dieser Ausnahmesituation ihr Bestes gegeben, aber die Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie war für sie neu, und rückblickend hätte man einige Probleme vermeiden können. So hat sich die Kommission beim Ankauf von Corona-Impfstoffen auf das „Commercial secret“ eingelassen und nicht auf Transparenz bestanden. Sie weigert sich bis heute, die Verträge ganz offenzulegen – dabei gibt es daran ein überragendes öffentliches Interesse!

Sie haben sogar Klage vor dem EuGH eingereicht, zusammen mit vier weiteren grünen EU-Abgeordneten. Was ist daraus geworden?

Leider noch nichts, aber es ist ein „work in progress“. Wir haben im Januar beim Gericht ein öffentliches Hearing beantragt und bis heute kein Datum für die Verhandlung. Die EU-Kommission weigert sich immer noch, die Verträge mit den Pharmaherstellern komplett offenzulegen. Für mich ist das unverständlich, denn die Impfstoff-Beschaffung liegt nun schon einige Zeit zurück, und wir müssen uns auf die nächsten Krisen vorbereiten. Dies geht aber nicht ohne das nötige öffentliche Vertrauen – und das kann nur durch Transparenz und Kontrolle gesichert werden. Für mich ist das eine Frage des Prinzips: Das Europaparlament muss die Arbeit der Kommission kontrollieren. Das ist meine Aufgabe, das bin ich meinen Wählern und Wählerinnen schuldig.

Bräuchte das Parlament für eine wirksame Kontrolle nicht mehr Rechte? Die Abgeordneten haben keine volle Einsicht in die Impfstoff-Verträge erhalten, der Chef des US-Konzerns Pfizer ist nicht im Parlament erschienen, Kommissionspräsidentin von der Leyen will nicht aussagen …

Dass Pfizer-Chef Bourla nicht aussagen wollte, war kein gutes Zeichen. Das geht gar nicht! Mein Vorschlag, Bourla daraufhin für eine gewisse Zeit den Lobby-Zugang zum Europäischen Parlament zu verwehren, fand leider keine Mehrheit. Wir hätten uns meiner Meinung nach einen solchen Mangel an Respekt nicht gefallen lassen dürfen. Aber jetzt ist nicht die Zeit für Kompetenz-Gerangel und Vertragsänderungen, die nötig wären, um das Parlament als Institution zu stärken. Wir konzentrieren uns im COVI-Ausschuss auf unseren Bericht zur Corona-Krise und den Folgen. Danach sehen wir weiter.

Also wird von der Leyen nicht noch einmal vorgeladen, oder Pfizer-Chef Bourla?

Nein, das ist momentan kein Thema. Wenn unser Bericht fertig ist, dann wird von der Leyen darauf sicher reagieren. Ich habe großen Respekt für ihre Arbeit, aber ich will auch 100 Prozent Transparenz. Ich bin 100 Prozent Pro-EU, doch wenn etwas nicht gut läuft, dann müssen wir offen darüber reden.

Befürchten Sie nicht, dass die Aufklärung verschleppt wird? Es gibt ja auch noch die Affäre um die SMS-Kurznachrichten, mit denen von der Leyen bei Pfizer Impfstoff bestellt haben soll. Und einige EU-Staaten klagen, dass die EU-Kommission viel zu viel Vakzine bestellt habe …

Das habe ich auch gehört, doch dazu habe ich bisher mehr Fragen als Antworten. Wer hat was gekauft und für wen? Wie wurden die Verträge ausgehandelt, welche Klauseln wurden besprochen? Das können wir hier in Brüssel nicht allein klären, das müssen die beteiligten EU-Länder auch aufarbeiten! Aber wir werden auf jeden Fall dranbleiben. Ich hoffe, dass alle offenen Fragen rechtzeitig vor der Europawahl geklärt werden – das wäre ein wichtiges Zeichen!

Karin
5. Mai 2023 - 17.28

'Gesundheitskommissarin Kyriakides hat versprochen, Medikamente „accessible, available und affordable“ ' ich dachte seit Brexit sei Englisch in the EU aus der Mode gekommen.