40. Todestag von Ian CurtisSensibler Romantiker, saufender Rock ’n’ Roller

40. Todestag von Ian Curtis / Sensibler Romantiker, saufender Rock ’n’ Roller
Ian Curtis Foto: Screenshot YouTube

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Peter Hook erhielt den Anruf beim Mittagessen. „Unser Manager Rob Gretton sagte: ‚Ian hat sich umgebracht’“, erinnert sich der ehemalige Bassist der Postpunk-Band Joy Division in der Dokumentation von Grant Gee aus dem Jahr 2007. „’Oh‘, sagte ich und setzte mich wieder zum Essen. Ich aß einfach weiter. Ich war nicht in der Lage, das zu verstehen.“ Wie er waren auch die anderen Bandmitglieder völlig überrascht vom Suizid ihres Sängers, der sich in der Nacht zum 18. Mai 1980 in seiner Küche erhängte – kurz vor der ersten USA-Tour. Hörten sie bei seinen düsteren Texten fröhlich weg? Hatten sie den ersten Selbsttötungsversuch vergessen? Ian Curtis funkte Signale, nur die lieben Kollegen haben nichts mitgekriegt.

Joy Division – She’s Lost Control (Live At Something Else Show) [Remastered] [HD]

Joy Division Live At Something Else Show In September 1979 Source: BBC Four Song: She’s Lost Control From The Album: Unknown Pleasures

Mittlerweile hat sich auch bis zu ihnen herumgesprochen, was diesem jähen Abschied nach nur 23 Lebensjahren vorausging: die in der Jugend herausgebildete Sehnsucht nach einem frühen Tod. Der Medikamentenmissbrauch. Die unglückliche Beziehung zu Deborah Woodruff, die Curtis mit 19 heiratete. Die Epilepsie und die plötzlichen Anfälle, die auf Konzerten als ekstatische Einlagen bestaunt wurden. Die Flugangst. Die Unvereinbarkeit von gutbürgerlichem Leben und Künstlerexistenz. Joy Divisions sicherlich berühmtester Song „Love Will Tear Us Apart“, vom britischen New Musical Express zur besten Single aller Zeiten gewählt, ist zugleich die deprimierende Reflexion seines privaten Scheiterns. Pure Verzweiflung führt durch die Zeilen. Der Songtitel gibt auch die Inschrift auf seinem – mehrfach komplett oder in Teilen geklauten – Grabstein.

Ian Kevin Curtis, am 15. Juli 1956 in Manchester geboren, offenbarte sich der Kunst, verweigerte sich aber dem Leben, das ihn zunehmend überforderte. Er las J. G. Ballard oder William S. Burroughs, verehrte David Bowie, Iggy Pop oder Jim Morrison. Seine abgründige Bassbariton-Stimme verlieh dem von Produzent Martin Hannett konstruierten nachtkalten Sound der Band diese einzigartige Aura, die über alle Jahre auf die Popkultur abstrahlte. Der einstige Bandfotograf Anton Corbijn erzählte in seinem Kinofilm „Control“ von 2007 seine Lebensgeschichte, die auf dem Buch „Touching From A Distance“ (1995) von dessen Witwe Deborah Curtis, auch Co-Produzentin des Films, basiert. 2014 gab das Buch „So This Is Performance“ mit handschriftlichen Songtexten und unveröffentlichten Notizen einen weiteren Blick in Curtis’ Inneres preis.

„Irgendwie sind wir alle schuldig“

Joy Divisions zwei Alben „Unknown Pleasures“ (1979) und „Closer“ (1980), das erst nach Curtis’ Tod veröffentlicht wurde, sind amtliche Wunderwerke der Musikgeschichte, sie haben verdammt prägende Spuren bei Gothic und Wave, Indierock und Metal und Formationen wie The Cure, U2, The Smiths, Oasis, The Strokes, Franz Ferdinand, Bloc Party, Radiohead, oder Therapy? hinterlassen – von Tribute-Bands wie Interpol oder Editors und deren Tribute-Bands ganz zu schweigen. Dass die hinterbliebenen Joy-Division-Musiker dann mit New Order auch zu kommerziellen Höhenflügen ansetzen konnten, haben sie letztlich dem frühen Abgang ihres Sängers und dem daraus resultierenden Mythos zu verdanken.

Trailer CONTROL (Deutsch) von Anton Corbijn mit Sam Riley

Deutscher Trailer zu Anton Corbijns CONTROL, dem Film über Joy Divisio Frontmann Ian Curtis. Jetzt auf DVD und Blu-ray. www.control-film.de

Ex-Joy-Division- und Ex-New-Order-Basser Hook hat sich, obwohl Teil des Kultes, in seiner Bandbiografie „Unknown Pleasures“ (2012) um eine sachliche, ehrliche Aufarbeitung des Phänomens bemüht. Gerade seine beiläufigen und dennoch ausführlichen Anekdoten und Charakterisierungen erklären mehr als gedacht. Wie er sich das Bassspiel selbst falsch beibrachte und daraus einen eigenen, langsameren und melodischeren Stil kreierte. Wie er und Gitarrist Bernard Sumner keine Interviews geben sollten und nur böse gucken durften, was eine geheimnisvolle Aura begründen half. Wie er lange den Produzenten Martin Hannett als tyrannischen „Soundmanipulator“ verachtete. Wie er Curtis’ Texte kaum wahrnahm und sich erst mit ihnen beschäftigte, als es zu spät war.

Gerade die Versuche, sich dem singenden Kopf von Joy Division zu nähern, geraten ausgewogen und plausibel. Hook beschreibt ihn als Mann mit mehreren Persönlichkeiten, als Getriebenen und Antreibenden, als sensiblen Romantiker und saufenden wie Mädels aufreißenden Rock ’n’ Roller, der üblen Späßen nicht abgeneigt war. Er fühlt sich mitschuldig an seinem Tod, doch „irgendwie sind wir alle schuldig, und irgendwie ist es keiner von uns“.

Christophe Cherel
18. Mai 2020 - 0.17

aaahhhh, Joy Division... wat eng band! merci fir deen artikel, tageblatt! gudd vun iech!