ArmutSchnelle Hilfe: Pandemie stellt „Stroossenenglen“ vor neue Herausforderungen

Armut / Schnelle Hilfe: Pandemie stellt „Stroossenenglen“ vor neue Herausforderungen
Auf ihren Touren verteilen die „Stroossenenglen“ nicht nur Lebensmittel. Bei Bedarf werden auch Möbel organisiert, die dann vom Spender zum Empfänger transportiert werden. Foto: Jean-Luc Reiser

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Abgesehen von gesundheitlichen Problemen, vollen Intensivstationen, fehlenden Beatmungsgeräten und gesellschaftlicher Isolierung hat die Pandemie noch andere dunkle Seiten, die vielen Bürgern größtenteils verborgen bleiben. Die Mitglieder der „Stroossenenglen“ aber werden fast tagtäglich mit den Folgen der sanitären Krise konfrontiert. Sie erleben in der Praxis, was die Luxemburger Menschenrechtskonvention seit einem Jahr in regelmäßigen Abständen immer wieder anprangert: Die Pandemie wirkt wie ein Multiplikator auf Armut und Ungleichheiten.

Im Juni feiert die Hilfsvereinigung ihren dritten Geburtstag. Bekannt wurden die Straßenengel durch ihren Einsatz im Obdachlosenmilieu. Was viele Menschen aber nicht wissen: Die Organisation bietet auch Programme für Familien an, die meist mehr schlecht als recht über die Runden kommen und dringend auf Hilfe angewiesen sind. Rund 120 Familien werden inzwischen von den Mitgliedern der ASBL betreut. Dabei greifen sie hauptsächlich nur auf Mittel zurück, die von großzügigen Spendern oder Partnerorganisationen bereitgestellt werden – seien es nun Finanzen, Lebensmittel oder Möbel.

Und die werden heute dringender gebraucht denn je: „Man merkt, dass das Elend seit Beginn der Krise viel größer geworden ist“, so Luc Lauer. „Corona hat deutliche Spuren am Rande der Gesellschaft hinterlassen. Leider hat die Pandemie nicht nur die Armut im Lande verstärkt: Viele Behörden und Organisationen verstecken sich hinter der Krise und nutzen das Virus als Ausrede, anstatt Bedürftigen nach allen Kräfte zu helfen“, stellt der Gründer der „Stroossenenglen“ fest.

Lauer ist kein Mann der leisen Töne: Missstände werden unumwunden angesprochen. Euphemismen gebraucht er dabei keine. Auch wenn er viele Instanzen und deren Verantwortliche damit vor den Kopf stößt: Beobachtern zufolge hat er sich dieses Recht mit seinem unermüdlichen Einsatz durchaus erarbeitet. Vor den „Stroossenenglen“ nämlich hat sich der ehemalige Marketing-Experte bereits zwölf Jahre lang privat und mit eigenen Mitteln für seine Schützlinge eingesetzt.

Ziel war es in all diesen Jahren, Hilfsbedürftigen schnell, unkompliziert und unbürokratisch unter die Arme zu greifen. Eine Maxime, die auch heute noch bei den Straßenengeln an erster Stelle kommt. „Wir hatten kurz vor Weihnachten etwa den Fall einer alleinstehenden Mutter von zwei Kindern, die drei Tage vor Heiligabend von ihrem Arbeitgeber entlassen wurde. Das Unternehmen war übernommen worden, die Belegschaft aber nicht. Natürlich hat sie nun Anspruch auf Arbeitslosenhilfe. Doch wann kann sie mit dem Geld rechnen? Ende Januar? Im Februar?“, erinnert sich Lauer.

Im Kühlschrank habe sie nur noch ein Päckchen Margarine gehabt. Ansonsten stand die Frau so kurz vor den Feiertagen vor dem Nichts. „Allein, ohne Mittel und über die Feiertage läuft bei den Behörden auch nichts: Sie war komplett verloren und konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen“, so Lauer. „Also haben wir unproblematisch ausgeholfen: Eine unserer Mitarbeiterinnen ist mit der Mutter zum Einkaufen in den Supermarkt gefahren, während wir zusätzliche Kisten mit Lebensmittel zusammengestellt haben“.

Doch damit nicht genug: Die Straßenengel haben die Frau auch bei ihren Behördengängen begleitet, um sicherzugehen, dass sie nicht vertröstet werde, so Lauer. „Es ist traurig, dass überhaupt jemand von uns mitgehen muss. Leider ist das aber oft der Fall: Entweder wird auf Feiertage verwiesen, auf bürokratische Vorgänge oder auf die Pandemie.“

„Unkomplizierte Hilfe“ bedeutet auch Vertrauen. „Wenn wir die Familien zum ersten Mal treffen, fragen wir nicht nach Einkommen oder irgendwelchen Dokumenten. Oft braucht man den Menschen nur in die Augen zu schauen. Wenn man dann noch die Lebensumstände betrachtet, sieht man sofort, wo Not am Mann ist. Dann gehe ich auch nicht davon aus, dass der Betroffene irgendwo noch einen Luxuswagen herumstehen hat“, gesteht der Diekircher.

Misstrauen in die Behörden

Großes Vertrauen hat Lauer nicht in konventionalisierte Hilfsorganisationen und staatliche Stellen. Zu bürokratisch, zu kompliziert, so Lauers Argumente. Dabei stützt er sich eigenen Worten zufolge auf Erfahrungen aus erster Hand und Aussagen unzähliger Hilfsbedürftige. Sein Frustpegel ist entsprechend hoch. Denn: „Auf dem Papier ist der Luxemburger Hilfsapparat sehr leistungsfähig, der Staat macht viel für Obdachlose und arme Menschen. Eigentlich müsste im Großherzogtum niemand auf der Straße leben und kein Mensch Hunger leiden“, stellt der Gründer der „Stroossenenglen“ fest. „Das Problem aber sind verschiedene Angestellte dieses Hilfsapparates, die auf ihre Mission pfeifen.“

So berichtet Lauer von Hilfsbedürftigen, die trotz ärgster Not ständig vertröstet werden. Von Antragstellern, die wegen eines Jobinterviews ihren Termin bei einer Behörde verlegen mussten und anschließend „vergessen“ wurden. „Beim kleinsten Problem oder Widerstand wird das Dossier dann einfach eingestellt“, hätten ihm Betroffene berichtet. Leider falle es auf, dass es immer wieder die gleichen Verantwortlichen oder Betreuer seien, die ihre Aufgabe nicht ernst genug nähmen.

Dies ist denn auch einer der Gründe, weshalb die Vereinigung noch keine Unterstützung beim Staat beantragt hat. Mit einer Konvention stünden den Straßenengeln eigentlich mehr Mittel zu. Auf der anderen Seite aber müssten sie sich dann verschiedenen Bestimmungen beugen, die manche Mitglieder eher als Hürde verstehen. Einem jungen Mann mit Geldern aus der Vereinskasse noch am selben Tag eine neue Brille besorgen, weil er ansonsten vom Arbeitsarzt nicht freigestellt wird? Einer zweifachen Mutter drei Tage vor Heiligabend die Lebensmittel bezahlen, weil sie ihren Söhnen ansonsten nicht mal Milch kaufen könnte? „Diese unbürokratische Hilfe wäre dann nicht mehr möglich“, befürchtet Lauer.

Dass er sich mit solchen Aussagen nicht nur Freunde macht, scheint den hochgewachsenen Sturkopf aus dem Ösling nicht zu stören. Er hat sich mit Leib und Seele seiner Mission verschrieben. Eine anspruchsvolle Aufgabe, die nach 15 Jahren privat und drei Jahren im Verein an die Substanz geht.

Für seine Schützlinge hat Luc Lauer immer ein offenes Ohr
Für seine Schützlinge hat Luc Lauer immer ein offenes Ohr Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

„Stoßen langsam an unsere Grenzen“

Im Obdachlosenmilieu helfen die Straßenengel mehrmals die Woche mit Kleidern, Decken und Lebensmitteln. Familien unterstützen sie mit sogenannten „Food-Boxen“, Möbeln oder manchmal sogar mit ganzen Wohnungen, wenn es nicht mehr anders geht. Dazu gesellen sich unzählige Beratungsgespräche, Behördengänge oder einfach nur Plaudereien mit Betroffenen. Die Touren der Mitglieder sind minutiös aufeinander abgestimmt, die Fahrzeuge der Vereinigung ständig unterwegs. „Wenn wir dann zum Beispiel Möbel von einem Spender zu einer hilfsbedürftigen Familie transportieren müssen, fehlt dieser Wagen wieder auf einer anderen Tournee“, erklärt Lauer.

Neben der Logistik mangelt es der Vereinigung auch an Freiwilligen. „Wir brauchen unbedingt noch mehr seriöse Leute, die mithelfen wollen und das auch gerne tun“, so der Gründer der Vereinigung. „Leider fragen viele zuerst nach einem Gehalt.“ Auch auf finanzieller Seite seien Beiträge durchaus willkommen, unterstreicht Lauer. „Wenn wir diesen Teil abgesichert hätten, wäre der Sache schon geholfen.“

In dem Fall könnte sich die Vereinigung etwa einen Angestellten leisten, der Touren, Programme und Sachspenden koordiniert und den Papierkram erledigt. „Was die Arbeit angeht, stoßen wir langsam an unsere Grenzen“, betont Lauer. Denn: Mit der Pandemie nehme die Not bei den Leuten sicher nicht ab. Im Gegenteil. Spenden seien daher immer willkommen.

Ähnliches gilt auch für Sachspenden, wie Kleider oder Möbel. Nur hat die Vereinigung kein Depot, um diese Gegenstände zwischenzulagern. Vielmehr wird bei Bedarf ein Aufruf über soziale Medien gestartet und die Möbel werden sofort vom Spender zum Empfänger geliefert. „Auch in dieser Hinsicht wäre uns viel geholfen, wenn uns im Norden irgendwo ein Lager zur Verfügung gestellt werden könnte“, meint Lauer mit einem Augenzwinkern.

Die Vereinigung hat sich in den letzten Jahren mit ihrem Einsatz im Obdachlosen- und Drogenmilieu einen Namen gemacht
Die Vereinigung hat sich in den letzten Jahren mit ihrem Einsatz im Obdachlosen- und Drogenmilieu einen Namen gemacht Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante
Babsi
5. Juni 2021 - 20.48

Ich finde die Idee armen Menschen zu helfen sehr gut. Oft kommen Menschen durch schwierige Umstände in Armut und sind dringend auf Hilfe angewiesen. Weniger gefällt mir allerdings wenn ich beobachten muss daß Lebensmittel in Häuser getragen werden wo Menschen leben die gar nicht hilfsbedürftig sind

Blücher
9. Mai 2021 - 12.45

Schenke ich der Politik glauben , gibt es keine Armut. Wie auch würden sonst unsere Ökofuzis von teurer Fairtrade , Bio Ernährung faseln die jeder Bürger sich leisten muss der Umwelt wegen. Oder auch eine CO2 Steuereingeführt in Endeffekt die trifft , die nicht genug zum Leben haben , doch zuviel zum Sterben.Im Endeffekt wälzen Produzenten, Händler solche Mehrkosten auf den Konsumenten. Nein Armut kann dénicotinise Luxemburg geben, denn sonst würde der Bausch nicht so viele Fahrradwege bauen lassen .Fahrräder sind für jeden Bürger erschwinglich, billige E Räder ab 1300 € . Unsere grüne Liga weiß vielleicht nicht , es Bürger gibt denen diese Summe , Lohn minus Umwelttaxen, CO2 Steuer, Verteuerungen der Lebenshaltungskosten nicht zur Verfügung steht. Armut gibt es nur in Drittweltländer.Der Politiker misst die Armut an seinem gut gefüllten Geldbeutel, manch vernebelter Zeitgenosse misst die Armut an den SUV oder dem Leben das hinter dem Schleier auf Pump in Luxusburg geführt wird. Armut in Luxemburg eine Fake News, eine Verschwörungstheorie, arm sind wir nur im Geiste zu glauben es Street Angels oder „ op Luxusbuergeg Stroossenengelen „ gibt.

Leila
7. Mai 2021 - 22.46

Strossenenglen und/oder/auch Street Angels? Identisch oder nicht? Wenn nicht, wen gab's zuerst? Dass der zweite Verein sich den selben Namen nur in einer anderen Sprache aneignet zeugt entweder von wenig Fantasie oder von Rivalität!