Stahlindustrie Schifflinger Werk: Heute vor zehn Jahren kam das Ende

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In Zukunft soll auf dem Gelände der Schifflinger „Schmelz“ ein neues Stadtviertel für bis zu 10.000 Menschen entstehen Foto: Christian Muller

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Es ist ein Geburtstag, der von niemandem gefeiert werden wird: Heute vor genau zehn Jahren hatte ArcelorMittal die Stilllegung des Schifflinger Werks angekündigt. Das Geschäft lohne sich nicht mehr, so der Stahlkonzern damals. In drei Wochen hätte das Werk, in dem einst tausende Menschen gearbeitet haben, seinen 150. Geburtstag feiern sollen.

„Schwarzer Tag für die Stahlindustrie“ titelte das Tageblatt am 23. September 2011. Am Tag zuvor hatte der Stahlkonzern ArcelorMittal bekannt gegeben, in den kommenden Wochen zwei Werke schließen zu wollen: eine kleinere Anlage bei Madrid – und das Schifflinger Werk (zwischen Esch/Alzette und Schifflingen gelegen). Ab Oktober werde die Produktion eingestellt – vorläufig, hieß es.

Die Titelseite vom Tageblatt des 23. September 2011
Die Titelseite vom Tageblatt des 23. September 2011 Bild: Screenshot

Das Werk hatte bereits seit geraumer Zeit mit Schwierigkeiten zu kämpfen. In Schifflingen wurde Draht hergestellt, unter anderem für Betonstahlmatten. Doch das konjunkturelle Umfeld war schwach, Europa hatte mit den Folgen der Finanzkrise von 2008, der Staatsschuldenkrise, zu kämpfen. In vielen Mitgliedsländern standen Werke, die Baustahl herstellten, unter Druck. „Wir haben Probleme mit Überkapazitäten“, so der Konzern.

Die Nachfrage sei weiter rückläufig, hatte es nur wenige Wochen vorher im Halbjahresbericht geheißen. Zudem seien die Produktionskosten zu hoch. Bei der Gesellschaft „ArcelorMittal Rodange et Schifflange“ stand im ersten Halbjahr 2011 ein Verlust (15, 3 Millionen Euro) in den Büchern. Bereits im Vorjahr war ein Verlust von 37,5 Millionen Euro erwirtschaftet worden.

Keine gute Zeit für die Stahlindustrie

Die Nachfrage nach Stahl liege in Europa immer noch um bis zu 25 Prozent unter der der vergangenen Finanzkrise, so der Konzern. Die Auslastung in den Fabriken in Luxemburg hänge von den Produkten ab. Sie sei gut in Belval und in Differdingen, wo man Spundwände und schwere Träger herstelle. Sie führe zu Verlusten in Schifflingen und in Rodange, wo Massenware hergestellt werde, die preislich nicht konkurrenzfähig sei. Massenware konnte an anderen Standorten preisgünstiger produziert werden.

Es war insgesamt keine gute Zeit für die Stahlindustrie in der Großregion. Nur rund eine Woche vorher hatte ArcelorMittal mitgeteilt, den zweiten Hochofen in Florange-Hayange auf unbestimmte Zeit stillzulegen.

Trotzdem gab es auch Gründe, um auf Besserung zu hoffen: Das Volumen der Verkäufe von Rodange und Schifflingen hatte beispielsweise im ersten Halbjahr 2011 deutlich zugelegt. Insgesamt hatten beide Werke in den sechs Monaten Stahlprodukte im Wert von 247,5 Millionen Euro verkauft. Im Vorjahreszeitraum waren es nur 190,5 Millionen Euro.

Ein strategischer Entwicklungsplan

Zudem gab es einen „strategischen Entwicklungsplan“ zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Um die Zukunft der beiden Standorte zu sichern, war im Frühjahr ein Abbau von 262 Arbeitsplätzen angekündigt worden. Entlassungen sollte es keine geben. Geplant waren unternehmensinterne Versetzungen oder die Eingliederung in die „Cellule de reclassement“. Im Gegenzug hatte das Unternehmen versprochen, einige zusätzliche Millionen Euro in die Werke zu investieren. Der Plan war im Juni von der Stahl-Tripartite abgesegnet worden.

Doch trotz dieser Anstrengungen blieb dem Schifflinger Werk sein Ende nicht erspart. Am 22. September erhielten die Mitarbeiter nun die Gewissheit, dass ihre Befürchtungen wahr werden würden. Der Plan der Betriebsleitung sah die Schließung des Schifflinger Werks auf unbestimmte Zeit vor. Nur die Drahtstraße STFS solle noch kleine Aufträge für hochqualitative Produkte ausführen. Zwar habe der Rettungsplan für Rodange und Schifflingen positive Effekte gezeitigt, betonte Nico Reuter, Vizepräsident der Langstahlprodukte in Europa, damals, doch reiche das nicht, um aus den roten Zahlen zu kommen.

„Es ist ein schwarzer Tag für Schifflingen“, kommentierte der Bürgermeister von Schifflingen, Roland Schreiner, damals im Tageblatt die geplante Schließung des Stahlwerks. Er erinnerte daran, dass das Werk und die um die Zeit des Ersten Weltkriegs von der Arbed errichteten Arbeiterkolonien das Bild der Gemeinde auch heute noch nachhaltig prägen. Zudem habe sich die Schließung in den letzten Wochen und Monaten bereits abgezeichnet, sagte er. Bedauerlich sei aber, dass es nun, wenige Tage nach dem 100-jährigen Jubiläum der Arbed bzw. von ArcelorMittal passiere.

Mehr als nur ein Stahlwerk

Mit dem Werk verschwindet mehr als nur eine Industrieanlage im Süden, kommentierte Tageblatt-Journalist Robert Schneider die Entscheidung. Das Werk habe die Menschen politisch, sozial und kulturell geprägt, es war Ausgangspunkt des Generalstreiks 1942 in der Stahlindustrie und es werde – trotz mancher Lärm- und Luftbelastungen – vielen Schifflingern und Eschern künftig fehlen.

Das Tageblatt vom 10. Oktober 2011: Um die tausend Menschen dürften es gewesen sein, die dem Ruf der Gewerkschaften gefolgt waren, vor der Schifflinger Gemeinde gegen die Pläne von ArcelorMittal zu demonstrieren
Das Tageblatt vom 10. Oktober 2011: Um die tausend Menschen dürften es gewesen sein, die dem Ruf der Gewerkschaften gefolgt waren, vor der Schifflinger Gemeinde gegen die Pläne von ArcelorMittal zu demonstrieren Bild: Screenshot

Mehrere gewerkschaftliche Aktionen folgten. Die Gewerkschaften hielten dem Stahlkonzern, und Michel Wurth als Vertreter der Geschäftsführung, vor, sich nicht an die Abmachungen zu halten. So sei 2006 bei der Übernahme von Arcelor durch Mittal Steel die Wahrung aller Standorte in Luxemburg vereinbart worden. Die Aktionäre seien jedoch nur an der Steigerung der Profite interessiert, das Schicksal der Betroffenen lasse sie kalt. Auch der damalige Arbeitsminister Nicolas Schmit zeigte sich am 22. September 2011 dem Tageblatt gegenüber enttäuscht über die nun angekündigten Maßnahmen: Sie gingen über das hinaus, was im Frühjahr ausgehandelt worden war, sagte er.

Doch auch gewerkschaftliche Aktionen sollten nichts mehr an der Entscheidung des Konzernes ändern können. Im Rahmen einer Stahl-Tripartite wurden am 11. Oktober die Entscheidungen getroffen: Geschlossen werden das Stahlwerk Schifflingen und die Walzstraße STFS sowie die Straße C in Rodange. Die Walzstraße A (Schienen) in Rodange fahre nur noch auf zwei Schichten. Die Drahtstraße in Schifflingen soll jedoch weiterhin Aufträge für Spezialprodukte ausführen. Straße C in Rodange könnte mit einer Schicht fahren. Rund 600 Beschäftigten kamen in die CDR („Cellule de reclassement“) oder werden in den Werken Differdingen und Belval weiterbeschäftigt.

Aus temporär wurde endgültig

Im Gegensatz zu Schifflingen kam Rodange, das zweite Werk in der Gesellschaft „ArcelorMittal Rodange et Schifflange“, mit einem blauen Auge davon. Auch dieses Werk stand damals unter starkem Druck. Doch während in Schifflingen stillgelegt wurde, wurde Rodange nur teilweise geschlossen. Es wurde auch restrukturiert. Heute steht das Werk, wo beispielsweise Tramschienen hergestellt werden, immer noch. Über die Jahre konnte es sich, allen Widerständen zum Trotz, am Leben halten.

Das Schifflinger Werk hat Luxemburger Industriegeschichte geschrieben 
Das Schifflinger Werk hat Luxemburger Industriegeschichte geschrieben  Foto: Christian Muller

Weiter wurde nach dem Treffen vom 11. Oktober erklärt, die provisorische Schließung von Schifflingen werde wenigstens bis März 2012 andauern; erst danach könne die wirtschaftliche Entwicklung eventuell eine Wiederaufnahme der Produktion erlauben. Der Konzern beharrte darauf, dass die Schließung des Werkes in Schifflingen nur eine „temporäre Maßnahme“ sei, nannte jedoch kein Enddatum. Alles hänge von der konjunkturellen Entwicklung ab, so ArcelorMittal.

Doch wurden nach und nach auch die letzten verbliebenen Aktivitäten am Standort stillgelegt. Die Stilllegung wurde immer weiter verlängert und dann auf unbekannte Zeit „eingemottet“. Es sollte noch bis Februar 2016 dauern, ehe klar und deutlich gesagt wurde, dass die Schifflinger „Schmelz“ nie wieder Stahl produzieren werde.

Für Alain Günther war es keine schöne Erfahrung. Er hatte 1985 als Mitarbeiter in dem Werk begonnen. 2011 war er Personalvertreter. „Auf dieser ‚Schmelz’ war die Stimmung besser als bei anderen“, erinnert er sich in einem Gespräch mit dem Tageblatt. „Sie war kollegialer. Wir haben zusammengestanden.“ Vor zehn Jahren hat er mitgeholfen, um einigen der betroffenen Mitarbeiter bei Gemeinden einen neuen Job zu verschaffen. „Es tut immer noch weh, daran zu denken“, sagt er. „Anfangs war es sehr schlimm. Es ist mir so richtig auf den Magen geschlagen.“

Die riesigen Hallen sind leer

Seitdem wurde das 62 Hektar große Gelände sich selber überlassen. Die Gebäude verfallen. Die Natur hat sich wieder breitgemacht. Die riesigen Hallen, in denen einst hunderte Menschen arbeiteten, sind leer. Die Maschinen, mit denen früher Draht gemacht wurde, wurden weggebracht. In einem ehemaligen Büro hängt noch ein verrotteter Kalender aus dem Jahr 2011 an der Wand. Der ganze Standort sieht aus, als sei die Zeit stehen geblieben – oder die Welt untergegangen.

Der auf vielen Bildern und Fotos festgehaltene Wasserturm wird erhalten bleiben – er ist denkmalgeschützt
Der auf vielen Bildern und Fotos festgehaltene Wasserturm wird erhalten bleiben – er ist denkmalgeschützt Foto: Ania Muller

Trotzdem ist das Gelände nicht ohne Menschen. Genutzt wird es beispielsweise als Filmkulisse. Mehr als ein Dutzend Filme wurde in den letzten Jahren bereits hier gedreht. Präsent sind ebenfalls ein Pförtner und Mitarbeiter von Abrissfirmen. Auch Künstler sind hier unterwegs. Sie bereiten sich aufs kommende Jahr vor.

Für die langfristige Zukunft gibt es mittlerweile bereits große Pläne. Das ganze Gelände soll neu genutzt werden. Ende 2020 haben der Staat, ArcelorMittal sowie die Gemeinden Esch/Alzette und Schifflingen offiziell beschlossen, Agora mit dieser Aufgabe zu betrauen. Eine ganze Reihe Entscheidungen sind bereits getroffen. Ähnlich wie in Esch-Belval soll auch auf diesem früheren Industriestandort ein neues Stadtviertel entstehen. Bis zu 10.000 Menschen sollen künftig hier leben.

Alain Günther hofft, dass trotz aller neuen Projekte die Geschichte nicht in Vergessenheit geraten wird. Immerhin gelten das Werk und der Standort als so etwas wie der Geburtsort der Luxemburger Schwerindustrie. Die beiden Industriellen Norbert Metz und Victor Tesch waren die Bauherren. Der erste der vier Hochöfen, die sogenannte „Metzeschmelz“ (später Arbed EschSchifflingen), wurde am 10. Oktober 1871 angefeuert. 1911 übernahm die neu gegründete Arbed das Stahlwerk. In weniger Wochen wäre somit der 150. Geburtstag gewesen.

Insgesamt ist das Gewicht der Industrie in Luxemburg seit Jahren rückläufig. Ende 2020 stand sie nur noch für 5,6 Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung. In keinem anderen europäischen Land hat sie weniger Gewicht. Seit zwei Jahren ist sie jedoch nicht nur als Anteil an der Wirtschaft geschrumpft, sondern auch in Euros und in Arbeitsplätzen ausgedrückt. Geschrumpft ist seitdem auch die einst größte Gesellschaft des Landes. Nach Jahrzehnten an der Spitze des Rankings der größten Arbeitgeber begann ArcelorMittal ab 2016 zurückzufallen. Dieses Jahr liegt er nur noch auf Platz sechs.

An die stolze Geschichte des Standorts erinnert heute ein Museum auf dem Werksgelände. Eine beachtliche Sammlung von allen möglichen Objekten aus der glorreichen Zeit der Luxemburger Stahlindustrie haben die rund zehn regelmäßig aktiven Mitglieder der Amicale „Schëfflenger Schmelzaarbechter“ zusammengetragen. ArcelorMittal stellt ihnen die Räumlichkeiten (auf dem ehemaligen Werksgelände) kostenlos zur Verfügung. Interessierte können es an jedem ersten Samstag im Monat oder auf Nachfrage (Telefon: 621 207 845) kostenlos besichtigen.

Die von Norbert Metz und Victor Tesch im Jahr 1871 gegründete „Schmelz“ wird allgemein als erste schwerindustrielle Produktionsanlage in Luxemburg angesehen
Die von Norbert Metz und Victor Tesch im Jahr 1871 gegründete „Schmelz“ wird allgemein als erste schwerindustrielle Produktionsanlage in Luxemburg angesehen Foto: Ania Muller
 Bild: Alte Postkarte
 Bild: Alte Postkarte
Als die Hallen noch nicht so leer waren: ein Bild aus dem Jahr 2013
Als die Hallen noch nicht so leer waren: ein Bild aus dem Jahr 2013 Foto: Editpress/Isabella Finzi

Grober J-P.
22. September 2021 - 10.27

Im Jahr 2031 ist Schluss mit Stahl aus Lëtzebuerg. Meine Wette läuft. Es macht mich traurig immer wieder, wenn ich solche Bilder sehe. Bin immer noch der Meinung, dass der Untergang hätte vermieden werden können. Unsere Wirtschafts- und Politgranden waren damals einfach nicht daran interessiert und sehr wenig innovativ!