EschVon der „Metzeschmelz“ zum „Quartier Alzette“: Interview mit Agora-Direktor Yves Biwer

Esch / Von der „Metzeschmelz“ zum „Quartier Alzette“: Interview mit Agora-Direktor Yves Biwer
Yves Biwer, „Zolver Jong“ und administrativer Direktor der Entwicklungsgesellschaft Agora  Foto: Editpress/Julien Garroy

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Auf dem Gelände des früheren Schifflinger Stahlwerks, der sogenannten „Metzeschmelz“ zwischen Esch und Schifflingen, entsteht in den nächsten 20 Jahren das „Quartier Alzette“ für bis zu 10.000 Einwohner. Nach Belval ist es das zweitgrößte urbanistische Projekt in der Geschichte Luxemburgs. Am Rande einer Ortsbegehung für Kommunalpolitiker der Pro-Sud-Gemeinden hat sich das Tageblatt mit Yves Biwer, dem administrativen Direktor der Entwicklungsgesellschaft Agora, über das Projekt unterhalten. 

Tageblatt: Herr Biwer, Sie haben gerade einer ganzen Reihe von Kommunalpolitikern das Projekt „Quartier Alzette“ erklärt und ihnen die Anlage der früheren „Metzeschmelz“ gezeigt. Kennen Sie die inzwischen besser als Ihr eigenes Haus?

Yves Biwer (lacht): Noch nicht ganz. Aber in der Tat kenne ich die Anlage durch die regelmäßigen Führungen immer besser. Wenn man ein solches Projekt angeht, dann muss man den Ort schon genau kennen, sonst wird es schwierig, so etwas umzusetzen.

Wie lange befassen Sie sich schon mit dem Projekt?

2016 ist die Stilllegung offiziell erklärt worden, Agora erhielt daraufhin das Mandat, die Machbarkeitsstudie durchzuführen, und seitdem arbeiten wir am Projekt. An die Studie war ja ein Architekturwettbewerb gekoppelt, der 2019 stattgefunden hat. Und jetzt warten wir auf die definitive Entscheidung, um das Projekt konkret umzusetzen.

Der Wettbewerb wurde von einer dänischen Firma, Cobe, gewonnen. Was gab damals den Ausschlag gegenüber den drei Konkurrenten?

Cobe hat zusammen mit Urban Agency, Urban Creators und dem Luxemburger Büro Luxplan SA das Projekt und seine Modalitäten sehr gut verstanden. Sie sind den Kriterien am meisten gerecht worden.

Welche Kriterien waren das genau?

Integration des Bestands, Respekt der industriellen Kultur, Beibehaltung der Identität des Projekts, die Frage nach der Mobilität, und auch nach der Vielfalt. Jedenfalls hat der öffentliche Raum, den sie entwickelt haben, einfach gepasst. 

Modell: In 20 bis 25 Jahres soll das Gelände der Schifflinger „Schmelz“ ungefähr so aussehen. Die braunen Elemente im Inneren sind heute existierende Gebäude des früheren Stahlwerks.
Modell: In 20 bis 25 Jahres soll das Gelände der Schifflinger „Schmelz“ ungefähr so aussehen. Die braunen Elemente im Inneren sind heute existierende Gebäude des früheren Stahlwerks. Foto: Editpress/Julien Garroy

Wie sieht der Zeitplan für die nächsten Etappen aus?

Sobald wir das definitive „Go“ haben, werden die Planungsprozeduren gestartet. Von der Änderung des PAG (Allgemeiner Bebauungsplan, Anm. d. Red.), die notwendig sind, bis hin zum PAP (Teilbebauungsplan). Das wird zwischen dreieinhalb und vier Jahre dauern. Dann werden wir die ersten Baugenehmigungen haben. In Anbetracht des Ausmaßes des Projekts wird es wohl 20 bis 25 Jahre dauern, bis es definitiv fertig ist.

Sie reden von der definitiven Fertigstellung. Das neue Viertel wird aber wie Belval etappenweise aufgehen, oder?

Ja, absolut. Und es wird Zwischennutzungen geben, die bei der definitiven Fertigstellung wegfallen werden. Jedenfalls soll das Gelände relativ früh für die Menschen zugänglich gemacht werden und erlebbar sein. Denn es ist auch wichtig, dass das Projekt von den Menschen akzeptiert wird.

Welche sind die großen Herausforderungen, wenn man an einer Stelle, in der fast 150 Jahre lang Stahl produziert wurde, ein neues Stadtviertel baut?

Da spielen viele Aspekte eine Rolle. Eine Industrie hat natürlich immer eine umwelttechnische Relevanz, die berücksichtigt werden muss. Dann muss das Projekt in das Bestehende integriert werden. Man baut nicht auf einer Insel, sondern in einer bestehenden Agglomeration und da ist es wichtig, dass die Integration funktioniert. Mit all ihren Facetten wie Vernetzung, Mobilität, also mit Anbindungen, die notwendig sind. Die sind nicht nur technischer, aber auch teilweise sozialer Natur. Da ist die bestehende Bevölkerung und die, die kommen wird. Das Zusammenzuführen ist die Herausforderung. Und natürlich ist ein solches Projekt für die Zukunft geplant. Also muss es auch den Bedürfnissen der Zukunft gerecht werden. All das bedingt, dass man so gut es geht mit den Menschen zusammenarbeiten muss.

Stichwort Zukunft. Großes Thema ist da die Mobilität. Für die schnelle Tramverbindung zwischen der Stadt und Esch soll im „Quartier Alzette“ ein Verkehrsknotenpunkt entstehen. Wie sieht die Mobilität in einem Stadtviertel des Jahres 2040 aus?   

Mobilität hat viele Facetten, anfangen mit der sanften Mobilität. Das Projekt soll in eine Richtung entwickelt werden, die relativ autoarm ist. Es wird schwierig sein, ein autofreies Viertel zu realisieren, aber ein autoarmes Viertel ist sicherlich eines der Ziele. Das funktioniert aber nur, wenn sowohl die entsprechende Infrastruktur für die sanfte Mobilität als auch der öffentliche Transport gut funktionieren und das Angebot den Komfort garantiert, den die Leute brauchen. Die schnelle Tram soll auf effiziente Weise durch das Viertel laufen, dazu gibt es einen Bahnhof für CFL-Züge. Und eine hohe Versorgung an Busstrecken. 

Das Projekt ist aber ein Wohnungsbauprojekt, richtig?

Nein, das Projekt ist eigentlich ein Projekt mit großer Vielfalt. Von der Gesamtfläche (62,9 ha – zum Vergleich: Belval ca.120 ha, Lentille Terre Rouge ca. 12,5 ha, Anm. d. Red.) sind 50 Prozent fürs Wohnen vorgesehen. Aber daneben gibt es natürlich Büroflächen und Geschäftslokale. Auch Sozialeinrichtungen wie Schulen und ein Lyzeum sind geplant. Natürlich liegt der Schwerpunkt auf dem Wohnen, das alleine reicht aber nicht. Wenn man ein lebendiges Viertel will, dann muss man auf diese Vielfalt setzen und den öffentlichen Raum hochwertig gestalten.

Ein Kernstück des Projekts sind die riesigen Hallen, die in das neue Stadtviertel integriert werden sollen. Was wird mit denen geschehen respektive was werden sie beherbergen? 

Ja, die großen Hallen bzw. ein Teil davon sollen laut Projekt erhalten werden. Sie werden im Laufe der Jahre verschiedene Funktionen bekommen. In einer ersten Phase werden sie für Logistik genutzt, um sich dann in eine sogenannte Stadtfabrik weiterzuentwickeln. Da gibt es viele Möglichkeiten. Zum Beispiel eine Baumschule oder Urban-Gardening-Projekte bis hin zu einem Innovation-Hub. Fakt ist, dass solche Einrichtungen einem Projekt eine große Identität geben. Deshalb ist es wichtig, dass sie erhalten bleiben.

Das zweite große Projekt in Esch ist Terre Rouge. Dort gibt es viel Polemik um den Erhalt der Industriekultur, vor allem der sogenannten „Keeseminnen“. Beim Projekt auf der Schifflinger „Schmelz“ soll so etwas verhindert werden. 

Erst einmal existieren Strukturen wie die „Keeseminnen“ hier nicht. Und wir haben von Anfang an Wert auf den Erhalt gelegt. Die Denkmalschutzbehörde saß in den Arbeitsgruppen und hat zu Beginn eine Bestandsaufnahme gemacht.

Das haben sie allerdings auch auf Terre Rouge gemacht, mit dem Resultat, dass „Site et monuments“ die „Keeseminnen“ als nicht erhaltungswürdig eingestuft hat … 

Ja, Terre Rouge ist ein Projekt, das von einem anderen Entwickler betrieben wird. Bei uns ist es so, dass die Strukturen, die wir erhalten wollen, mit dem „Site et monuments“ abgestimmt sind. Natürlich muss man nachher schauen, denn im Laufe eines solchen Projekts kann man durchaus Sachen finden, die so etwas komplizierter machen. A priori ist es aber so, dass der Respekt vor den bestehenden Strukturen gegeben ist und, wie schon gesagt, sie dem Projekt die Identität geben. Das hier ist ein Standort mit Geschichte und diese Geschichte muss man respektieren. Und sie muss sich im Projekt wiederfinden. Man muss versuchen, in diesen Strukturen eine Neunutzung zu ermöglichen, denn dann ist der Erhalt relativ unproblematisch. 

Auf einem Industriegelände gibt es natürlich auch Umweltaspekte zu beachten. Wie sieht es zum Beispiel mit der Belastung des Bodens aus? 

Wir haben die nötigen Analysen gemacht und außerdem gilt das Gelände auch als Pilotprojekt für das neue Bodenschutzgesetz. Die umwelttechnische Situation stellt sich eigentlich unproblematisch für die Entwicklung des Projekts dar. Unsere Erfahrungen in Belval helfen uns zudem. 

Ein gutes Stichwort. Agora entwickelt auch den Belval. Provokant gefragt: Was machen sie hier besser als in Belval, welche Fehler vermeiden sie diesmal? 

Also Belval hat vor über 20 Jahren angefangen. Es war nicht nur die erste Rekonvertierung eines Industriegeländes in Luxemburg, sondern auch die größte in ganz Europa. Natürlich musste man sich da erst einmal herantasten, denn es war ja die erste Erfahrung. Fehler? Ich weiß nicht, ob große Fehler gemacht wurden. Man hat vor allem Erfahrungen gesammelt. Und es ist so, dass man heute eher einen partizipativen Ansatz wählt. Hierfür war früher weniger Nachfrage da. Die Leute sollen sich mit dem Projekt identifizieren und sich mit ihm verbunden fühlen. Schließlich bauen wir das Viertel nicht für uns, sondern für die Menschen, für die nächsten Generationen. Das ist wichtig. Wenn man die Menschen mitnimmt, dann versteht man ihre Bedürfnisse besser und kann sich dementsprechend anpassen. Das ist vielleicht der Unterschied zu Belval. 

63 Hektar, 10.000 Einwohner, 20 Jahre. Das sind imposante Zahlen. Kann das Projekt auch schon finanziell bemessen werden? In anderen Worten, was wird es kosten? 

Es ist noch früh, dazu eine Aussage zu machen. Natürlich sind erste Schätzungen gemacht worden. Wir kennen noch lange nicht alle Unwägbarkeiten. Deswegen macht es keinen Sinn, jetzt Zahlen zu nennen, die sich nachher als falsch erweisen oder die falsch interpretiert werden.     

Laird Glenmore
28. September 2020 - 9.00

Damit noch mehr Geld nach BELVAL fließt und Esch / City noch weiter verkommt.