StäremarschLuxemburg soll im Kampf gegen Menschenrechtsverstöße mehr Wille zeigen

Stäremarsch / Luxemburg soll im Kampf gegen Menschenrechtsverstöße mehr Wille zeigen
Die Symbolik des Spielzeug-Lastwagens ist nicht ohne. Am vergangenen Donnerstag überreichen Mitglieder der „Initiative pour un devoir de vigilance“ der International and Commercial Bank of China (ICBC) den Laster, um auf deren Menschenrechtsverstöße aufmerksam zu machen. Foto: Editpress/Hervé Montaigu

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„People & Planet over Power & Profits“, „Human Rights for Everyone“: Dies sind nur einige der Forderungen, die auf Plakaten am Donnerstagmittag vor dem Außenministerium zu lesen sind. Getragen werden sie von Mitgliedern der „Initiative pour un devoir de vigilance“, von „defenders.lu“ und den „Amis de la Déclaration des droits des paysans“. Die Demonstranten haben sich in Luxemburg-Stadt für einen Sternmarsch eingefunden. Ihr Ziel: Auf Menschenrechtsverletzungen von Unternehmen mit Hauptsitz in Luxemburg aufmerksam machen.

Luxemburg wurde am Donnerstag vor zwei Wochen zum ersten Mal in den UN-Menschenrechtsrat gewählt. Außenminister Jean Asselborn hatte beim Start der Bewerbungskampagne um einen Sitz im UN-Gremium behauptet, man solle ihn nicht unterschätzen, wenn es um die Durchsetzung der Menschenrechte gehe. „Luxemburg will einen sinnvollen Beitrag zur Arbeit des Menschenrechtsrates leisten“, schrieb das Außenministerium kurz nach der Wahl in einer Pressemitteilung.

Aber: In Luxemburg fehlt es noch immer an notwendigen Reglungen, die Unternehmen und Konzerne bestrafen, welche Menschenrechte mit Füßen treten. Das Großherzogtum setzt nach wie vor auf Freiwilligkeit. Wieso dies jedoch nicht ausreicht, erklärt Antoniya Argirova, Vertreterin von der „Action solidarité tiers monde“ (ASTM) im Gespräch mit dem Tageblatt. „In zwei Fällen hat Minister Asselborn einen Brief an Unternehmen geschickt, um diese auf deren Verstöße zu verweisen – das reicht nicht aus“, sagt Argirova. „Es muss ein Gesetz geben, das bindende Wirkung hat und Menschenrechtsverletzer zur Rechenschaft zieht.“ Ein nationales Lieferkettengesetz zur Prävention von Menschenrechtsverletzungen sei mehr als notwendig.

Deswegen haben Mitglieder der „Initiative pour un devoir de vigilance“ am vorigen Donnerstag einen Sternmarsch organisiert. Mit kuriosen Aktionen warfen sie den fünf Unternehmen ArcelorMittal, NSO Group, ICBC, Socfin und Mindgeek Menschenrechtsverletzungen vor – und dies gleich vor deren Tür. Mit ihrem Sternmarsch wollen die Aktivisten die Regierung zum Agieren auffordern und dass die Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden.

Luxemburg als „Bummelzug“

„Freiwillige Maßnahmen reichen nicht mehr aus“, sagt Jean-Louis Zeien, Co-Koordinator der „Initiative pour un devoir de vigilance“, im Gespräch mit dem Tageblatt am Donnerstagnachmittag vor dem Sitz der International and Commercial Bank of China (ICBC). „Man sieht es bei Konfliktmaterialien und in der Kakaoindustrie.“ Es habe sich mehrmals bewiesen, dass die freiwilligen Maßnahmen zur Bekämpfung von Menschenrechten in der Lieferkette nicht weit genug gehen. Trotzdem halte die Luxemburger Regierung daran fest. Man müsse erst eine Studie durchführen, so Zeien.

Kakaokonzerne haben im Jahr 2000 einen Vertrag unterschrieben, um Kinderarbeit in dem Industriebereich binnen fünf Jahren zu verbannen. Das Resultat: „20 Jahre später und es gibt noch immer Kinderarbeit und Kindersklaverei“, sagt Zeien. Damit wolle er nicht behaupten, dass in den letzten Jahren nichts getan wurde, „aber es ist nicht das Notwendige passiert, sodass wir heutzutage noch immer davon reden müssen“.

Bei diesen Menschenrechtsverletzungen handele es sich nicht um theoretische Probleme, sagt Zeien. „Die Probleme sind real.“ Vor allem jetzt, wo das Großherzogtum einen Platz bei dem UN-Menschenrechtsrat ergattert habe, müsse die Regierung vorbildlich vorangehen. Von der Kandidatur Luxemburgs bei dem UN-Gremium mit Sitz im schweizerischen Genf habe sich der Koordinator der Initiative mehr erwartet. Er habe gehofft, dass sich die Bewerbung nicht nur auf freiwillige Maßnahmen beschränke. Themen, die die Regierung bei der Kandidatur ausgewählt habe, wie die Rechte der Kinder oder der Schutz von Menschenrechtsverteidigern, könne man am besten mit einem Gesetz schützen, sagt Zeien.

Luxemburg schneidet im Vergleich zu anderen europäischen Ländern nicht so gut ab. In Frankreich gibt es bereits ein Lieferkettengesetz seit 2017. In Belgien wolle man demnächst über ein sehr ambitioniertes Lieferkettengesetz abstimmen. In den Niederlanden und in Norwegen habe man auch schon für ein Gesetz gestimmt. „Wenn wir ambitionierter handeln möchten, dürfen wir jetzt nicht mit dem Bummelzug kommen“, so Zeien vor dem Beginn der Aktion. Um als einer der Pioniere in puncto Lieferkettengesetz mitzuspielen, sei es ein wenig zu spät.

Fünf Unternehmen, ein Ziel

Um Punkt zwölf Uhr startet die Protestaktion. Cédric Reichel von der ASTM präsentiert den Fall der ICBC vor deren Hauptsitz am Boulevard Royal. Die chinesische Bank sei bei Menschenrechtsverletzungen in der Las-Bambas-Kupfermine in Peru indirekt beteiligt. „Es ist bizarr“, so Reichel. „Was ist der Zusammenhang mit Luxemburg?“

Der Besitzer der Kupfermine, „MMG Limited“, hat im August 2019 eine Geldleihe in Höhe von 195 Millionen Dollar von der International and Commercial Bank of China bekommen, sagt Reichel. Der Vorwurf: MMG sei direkt verantwortlich für die Umsiedlung einheimischer Bewohner in prekäre und unangemessene Wohnsiedlungen. Des Weiteren habe die Mine Geldstrafen für Umweltverstöße bekommen. Diese habe die Firma aber ignoriert.

„Die Mine hat zudem direkte Auswirkungen auf die Umwelt: Es befindet sich Abfall im Wasser, die Qualität der Ernte der Bauern sowie die Gesundheit der Ureinwohner leidet.“ Bei der Mine in Peru sei es öfters zu Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Protestlern gekommen, bei denen mehrere Menschen gestorben seien. Aus diesem Grund fordere die Initiative, dass die Regierung den finanziellen Sektor in ein Gesetz einbindet, „um einen weiteren Fall wie der in Las Bambas zu verhindern“.

Wesentlich diskreter fällt der Sitz eines anderen Unternehmens an der gleichen Adresse aus. Die Menschenrechtsverletzungen bleiben trotzdem ernst. Es handelt sich hierbei um Mindgeek. Dem Unternehmen gehört unter anderem die pornografische Webseite Pornhub. 2020 wurde dem Unternehmen in einem New York Times-Artikel vorgeworfen, Videos mit strafrechtlich relevanten Inhalten zu verbreiten: Vergewaltigung und Kinderpornografie sind nur einige der Inhalte, die sich auf den zahlreichen Webseiten von Mindgeek herumtreiben. Aber vor allem wolle man gegen den Menschenhandel aufmerksam machen, durch den viele Menschen in dieses Milieu gelangen, sagt Rosa Brignone von „Time For Equality“.

„Die Klimakrise ist eine Menschenrechtskrise“

Menschenrechte sind direkt mit der Klimakrise verbunden, sagt die Greenpeace-Aktivistin Myrna Koster
Menschenrechte sind direkt mit der Klimakrise verbunden, sagt die Greenpeace-Aktivistin Myrna Koster Foto: Louis Grün/Tageblatt

Auch vor den Türen von ArcelorMittal findet eine Protestaktion statt. Der Stahlproduzent ist Miteigentümer einer Erzmine im Norden Kanadas. Ein geplanter Ausbau würde die Umwelt deutlich schaden. Doch was hat Umweltverschmutzung mit Menschenrechten zu tun?

„Der Eingriff in die Natur hat direkte Auswirkungen auf die Menschenrechte“, sagt Myrna Koster, Campaignerin für Klimagerechtigkeit bei Greenpeace, im Gespräch mit dem Tageblatt. Die indigene Bevölkerungen im Norden Kanadas würde an den Folgen dieser Erweiterung leiden. „Diese Menschen arbeiten mit Flora und Fauna.“ Durch den Minenausbau würde ihre Existenz auf dem Spiel stehen.

Klimarechte seien deshalb direkt mit Menschenrechten verbunden. „Das darf man heute nicht mehr unterscheiden“, sagt die Klimaschützerin. „Wir sagen immer: Die Klimakrise ist eine Menschenrechtskrise.“ Man müsse zudem auch den Druck auf die Regierung beibehalten. „Mit der Wahl Luxemburgs in den Menschenrechtsrat sind wir an einem entscheidenden Punkt angelangt“, sagt Koster.

Der Greenpeace-Aktivistin mangelt es nicht an Kritik an der Regierung. Luxemburg müsse jetzt seiner Rolle gerecht werden und erst mal vor seiner eigenen Tür kehren, bevor es vor dem UN-Menschenrechtsrat prahle. „Ich hoffe, dass wir unserer Regierung vertrauen können und sie es nicht nur für das Image tut“, sagt Koster. „Es geht um Menschenleben und das Überleben unseres Planeten.“ Es sei jetzt an der Zeit, Willen zu zeigen.

Symbolischer Preis für Menschenrechtsverstöße

Nach jeder Protestaktion kommt es vor den Firmensitzen zu einer symbolischen – wenn auch speziellen – Preisüberreichung. Der ICBC versuchen die Teilnehmer der Demo, einen mit Kupfer überzogenen Spielzeug-Lastwagen zu überreichen. Cédric Reichel klingelt an der Tür der ICBC – diese bleibt allerdings verschlossen. Die Gegenstände, die man versucht hat, zu überreichen, gelten jedoch nicht als Ehrenauszeichnung. Im Gegenteil: Sie sollen die durch die Tätigkeit der Unternehmen verursachten Menschenrechtsverletzungen symbolisieren, sagen die Organisatoren der Aktion. Der rote Stein auf dem Spielzeuglaster repräsentiere das Blut, das im Namen von MMG vergossen wurde.

Um auf den Menschenhandel und sexuelle Gewalt aufmerksam wird roter Sand vor dem Sitz von Mindgeek verstreut. Rosa Brignone füllt die Spalten auf dem Fußgängerweg, „um auf die Kinder, Frauen und Männer aufmerksam zu machen, die durch die metaphorischen Risse fallen“. Ein Bild wurde zudem dem Stahlproduzent ArcelorMittal überreicht. „Es handelt sich hierbei um ein Kunstwerk der indigenen Artistin Christi Belcourt aus Kanada“, sagt Myrna Koster von Greenpeace. „Respect Inuit or Leave“ steht in großen Buchstaben auf dem Kunstwerk. „Der Minenausbau in Kanada hat schwere Konsequenzen für die Art und Weise, wie diese Menschen leben“, sagt Koster.

„Respect Inuit or Leave“: Mit diesem Kunstwerk fordern die Mitglieder der Initiative dass ArcelorMittal die Ureinwohner im Norden Kanadas respektiert. Die Existenz der indigenen Bevölkerung stehe auf dem Spiel.
„Respect Inuit or Leave“: Mit diesem Kunstwerk fordern die Mitglieder der Initiative dass ArcelorMittal die Ureinwohner im Norden Kanadas respektiert. Die Existenz der indigenen Bevölkerung stehe auf dem Spiel. Bild: Christi Belcourt

Nach der symbolischen Übergabe starten die Mitglieder der Initiative ihren Sternmarsch. Vom Boulevard Royal über den Hamilius marschieren die Teilnehmer mit ihren Plakaten Richtung Grand-rue. Die Neugierde der Shopper ist groß: Ab und zu werden sie auf die Plakate aufmerksam und nehmen sich ein Moment, um die Forderungen und Vorwürfe der Initiative zu lesen. An der Ecke der Grand-rue und der rue du Palais de Justice treffen die jeweiligen Gruppen aufeinander, um das letzte Stück des Sternmarschs abzuschließen.

Die finale Preisüberreichung findet vor den Türen des Außenministeriums statt. Doch vorher versuchen Jean-Louis Zeien und Antoniya Argirova, vor dem Gebäude des Ministeriums ein letztes Mal den Druck auf die Regierung zu erhöhen. „Ein nationales Gesetz ist umsetzbar und sinnvoll“, sagt Zeien den Teilnehmern des Marschs über ein Megafon. „Lasst uns deshalb Nägel mit Köpfen machen. Wenn Luxemburg nicht zu den Pionieren gehört, dann wenigstens nicht zu den Letzten, die sich bewegen.“

Kleiner Coup

Am Ende kann die Initiative einen kleinen Coup feiern: Nach dem Freudenjubel der Marschteilnehmer klingelt  Zeien an der Tür des Außenministeriums, um Jean Asselborn und der Regierung die jeweiligen Gegenstände zu überreichen, die auch den Unternehmen übergeben wurden. Und tatsächlich gewährt ein Vertreter des Außenministeriums fünf Protestlern den Eintritt in das Gebäude, um die „Preise“ zu hinterlassen. Antoniya Argirova zeigt sich nach dem Marsch zufrieden: „Ich glaube, das Ministerium hat unsere Botschaft verstanden und wir sind froh, dass mehrere Menschen uns heute unterstützt haben.“

Der Ball liege nun bei der Regierung. „Der TGV ist schon abgefahren, aber wir müssen nicht den letzten Waggon im Bummelzug nehmen“, sagt Zeien abschließend.

Jos.Reinard
25. Oktober 2021 - 17.14

Bravo, "Human right for EVERYONE", hoffentlech gëllt dat och fir de Julian Assange. Mir sollten eisen Ausseminister jo net ennerschätzen, soot hien bei der UN. Mir waarden op e Beweis !!! frendlechst.

Jimbo
25. Oktober 2021 - 13.05

Klapppt jo ganz gutt, dofir mache mer jo op der Expo zu Dubai mat!