Ukraine-KriegKriegsgräuel in Butscha lösen Entsetzen aus

Ukraine-Krieg / Kriegsgräuel in Butscha lösen Entsetzen aus
03.04.2022, Ukraine, Butscha: Eine Frau geht auf einer Straße, die überseht ist mit zerstörten russischen Militärfahrzeugen Foto: Rodrigo Abd/AP/dpa

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Russische Truppen haben die Vorstädte von Kiew verlassen. Zurück bleiben apokalyptische Szenen. Die Nato erwartet verstärkte Angriffe im Osten und Süden. Dort war die Hafenstadt Odessa Ziel eines Luftangriffs.

Leichen auf den Straßen, ausgebrannte Autos, rußgeschwärzte Häuser ohne jeden Bewohner: Nach dem Abzug der russischen Truppen aus der Umgebung der ukrainischen Hauptstadt Kiew ist das Ausmaß der Gräueltaten an der Zivilbevölkerung deutlich geworden. In der Vorortgemeinde Butscha lagen nach mehr als fünf Wochen Krieg Dutzende Tote im Freien. Etwa 280 Todesopfer, die während der Kämpfe nicht beigesetzt werden konnten, wurden in einem Massengrab bestattet. Die Bilder aus Butscha lösten international Entsetzen aus. Das russische Verteidigungsministerium sprach von Fälschung.

Die Bundesregierung reagierte am Sonntag erschüttert auf die Berichte. „Diese Verbrechen des russischen Militärs müssen wir schonungslos aufklären“, forderte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sprach sich dafür aus, russische Kriegsverbrechen in der Ukraine vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu bringen. Die EU will jetzt schnell über noch härtere Sanktionen beraten. Wegen des russischen Angriffs hat der Westen bereits beispiellose Strafen gegen Russland verhängt, auch gegen Präsident Wladimir Putin persönlich.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach von Horrorszenen. Zugleich versicherte sie: „Kriegsverbrecher werden zur Verantwortung gezogen.“ US-Außenminister Antony Blinken verwies darauf, dass die USA schon länger davon ausgingen, dass es in der Ukraine zu schweren Kriegsverbrechen kommt. Dies sei eine „Realität, die sich jeden Tag abspielt, solange Russlands Brutalität gegen die Ukraine anhält. Deshalb muss es ein Ende haben.“

Videoaufnahme zeigt die Leichen

Eine Videoaufnahme des ukrainischen Verteidigungsministeriums zeigte die Leichen mehrerer Menschen am Straßenrand. Einige davon hatten die Hände auf dem Rücken gefesselt. Die Echtheit konnte nicht unabhängig geprüft werden. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch berichtete unter Berufung von Augenzeugen über die öffentliche Erschießung eines Mannes in Butscha durch russische Soldaten schon in den ersten Tagen des Krieges. Das Verteidigungsministerium in Moskau nannte ausländische Berichte über Massaker wörtlich „Fake“.

Der britische Sender BBC berichtete in einem Film aus Butscha, dass Bewohner von jungen russischen Wehrpflichtigen auf der Flucht um Hilfe angefleht worden seien. „Dies ist ein Friedhof der russischen Hoffnungen, Kiew einzunehmen“, sagte ein BBC-Reporter zu Aufnahmen verkohlter Panzer und anderer Militärfahrzeuge. Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko sagte der „Bild“-Zeitung: „Das, was in Butscha und anderen Vororten von Kiew passiert ist, kann man nur als Völkermord bezeichnen.“

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte zum Abzug der russischen Truppen aus der Umgebung von Kiew, dies sei kein wirklicher Rückzug. Vielmehr sei zu sehen, wie Russland seine Truppen „neu positioniert“. Die Nato sei besorgt über mögliche verstärkte Angriffe, vor allem im Süden und im Osten. Zu beobachten war dies bereits am Wochenende – vermutlich mit dem Ziel, die dort besetzten Gebiete auszuweiten. Auch die Millionenstadt Odessa wurde angegriffen. Aus dem Verteidigungsministerium in Moskau hieß es, von Schiffen und Flugzeugen aus seien eine Ölraffinerie und drei Treibstofflager in der Nähe von Odessa beschossen worden.

Nach ukrainischen Militärangaben gingen die Kämpfe auch im Osten weiter. Die Beschuss von Städten im Gebiet Luhansk dauere an. Es gebe Kämpfe bei Popasna und Rubischne. Nach russischen Angaben wurden in der Nacht zum Sonntag in der Ukraine insgesamt 51 Militäreinrichtungen getroffen, darunter vier Kommandoposten und zwei Raketenabwehrsysteme. Diese Angaben ließen sich von unabhängiger Seite nicht überprüfen.

Rettungsversuche abgebrochen

Das Rote Kreuz musste Versuche abbrechen, mit einem Buskonvoi Menschen aus der umkämpften Hafenstadt Mariupol herauszuholen. Trotzdem gelang Hunderten nach Angaben der Regierung die Flucht. 765 Zivilisten hätten mit eigenen Fahrzeugen die Stadt verlassen. Fast 500 Bewohner seien aus der Stadt Berdjansk geflohen, die ebenfalls am Schwarzen Meer liegt. Für Sonntag planten die russischen Streitkräfte einen Fluchtkorridor für ausländische Staatsbürger aus Mariupol und Berdjansk – zumeist Besatzungsmitglieder von blockierten Frachtschiffen.

Der ukrainische Chefunterhändler bei den Verhandlungen mit Moskau, David Arachamija, sprach im Staatsfernsehen von positiven Signalen. Auch ein baldiges Treffen der Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und Putin in der Türkei sei möglich. Hingegen dämpfte Russland diese Erwartungen. Es gebe noch viel zu tun, sagte Verhandlungsführer Wladimir Medinski.

Der ukrainische Präsidentenberater Olexij Arestowytsch rechnet mit einem Ende des Kriegs in „zwei bis drei Wochen“. Es hänge nun alles vom Ausgang der Kämpfe im Südosten des Landes ab. Die russische Armee habe keine Reserve mehr, behauptete der Berater nach einem Bericht der Nachrichtenseite strana.news. Seit längerer Zeit gibt es Spekulationen, dass Putin den Krieg bis zu den Feiern zum Ende des Zweiten Weltkriegs beenden könnte. In Russland ist dies am 9. Mai.