FeatureIn Russlands armen Regionen reicht das Geld nicht mehr

Feature / In Russlands armen Regionen reicht das Geld nicht mehr
Präsident Putin nutzt die Republik Tuwa gerne für einen Abenteuerurlaub wie auf diesem Bild aus dem Jahr 2013 – doch inzwischen können sich die Menschen in diesem Teil Sibiriens wegen Preisteuerungen oftmals das Essen nicht mehr leisten Foto: Kremlin.ru/Presidential Press and Information Office

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Die Lebensmittelpreise sind in den letzten Monaten stark angestiegen. Das trifft vor allem einkommensschwache Bewohner in den Regionen hart.

Der Markenname Doschirak steht für das Essen der russischen Mittellosen: superbillige Instantnudeln mit Fleischaroma, die mit heißem Wasser übergossen werden. „Hier gibt es Familien, die sich nur noch von Doschirak ernähren“, sagt Ajan Churuma. Churuma, 26, betreibt ein Geschäft im Dorf Chowu-Aksy in der Republik Tuwa. Die südsibirische Teilrepublik liegt fast 4.000 Kilometer östlich von Moskau. Aus Tuwa stammt der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu. Tuwa ist berühmt für seine Steppenlandschaft, den tuwinischen Kehlkopfgesang und dafür, dass es eine der ärmsten Regionen Russlands ist.

Seit Ausbruch der Pandemie sind in Russland viele Grundnahrungsmittel empfindlich teurer geworden – Pflanzenöl etwa um ein Viertel. Strukturschwache Gebiete wie Tuwa trifft der rasante Anstieg der Lebensmittelpreise mit viel mehr Wucht als vergleichsweise reiche Städte wie Moskau und St. Petersburg. Der Durchschnittslohn in der südsibirischen Republik liegt bei 20.000 Rubel, 220 Euro. Das ist für russische Verhältnisse niedrig. Die Menschen hier spüren jeden Rubel Teuerung. „Die überwiegende Mehrheit hat nicht genug Geld für das Essen, das sie kaufen möchte“, sagt Kleinunternehmer Churuma.

Die Kaufkraft im Dorf? „Extrem niedrig“, sagt Churuma

Der Geschäftsinhaber rechnet vor: Die Preise für Hühnerfleisch, Eier und Pflanzenöl seien um 20 bis 30 Prozent in die Höhe geklettert. Auch beim beliebten Buchweizen, bei Zucker und Reis habe es einen deutlichen Anstieg gegeben. „Gebäck und Bonbons wurden ebenfalls um 15 Prozent teurer.“ Derzeit sei die Kaufkraft im Dorf „extrem niedrig“. Fleisch und Fisch komme daher immer seltener auf den Familientisch, ebenso Gemüse und Obst. „Unmittelbar nach der Auszahlung der Gehälter und Sozialhilfen kann man sich so etwas erlauben. Sonst nicht.“ In Chowu-Aksy ist die Arbeitslosigkeit hoch, es gibt viele Sozialhilfeempfänger. Vor allem junge Familien kämen kaum über die Runden. „Auch Babynahrung hat sich verteuert. Das Geld reicht nicht für alle Familienmitglieder.“

Weltweit spüren viele Staaten die Teuerungen. Doch in Russland steigen die Nahrungsmittelpreise schneller als etwa in Europa. Im Februar verzeichnete man eine Inflation von 7,7 Prozent, zurückzuführen hauptsächlich auf teurere Lebensmittel. Knapp 40 Prozent eines russischen Familienbudgets gehen derzeit im Durchschnitt für Nahrung drauf. Bei vielen Familien ist der Anteil höher. Bloomberg will in der Russischen Föderation sogar einen möglichen „Hotspot“ für Nahrungsmittelproteste ausmachen.

Irgendwann geht auch die Geduld der Russen zu Ende

Bisher äußert sich Unmut über die hohen Lebensmittelpreise nur hinter vorgehaltener Hand. Doch ein Eindruck verfestigt sich bei den Bürgern: Schon seit längerer Zeit kann der Kreml sein Versprechen vom wirtschaftlichen Aufschwung nicht mehr einlösen. Während der Staat dank des (derzeit wieder) hohen Ölpreises Reserven anhäuft und an seiner Budgetdisziplin festhält, sinken die Reallöhne der Russen seit sieben Jahren. Die umstrittene Pensionsreform, Berichte über den Reichtum der Elite des Landes sowie die allgemeine Verknöcherung des Regimes haben die Unzufriedenheit verstärkt. Russen gelten als geduldig. Doch wenn die Menschen ihre Familien nicht mehr ernähren können, könnte der Langmut ein Ende haben. Unter der Armutsgrenze leben mehr als 13 Prozent der Bevölkerung – knapp 20 Millionen Menschen.

Auch Wladimir Putin hat die Explosivität des Themas erkannt. Im Dezember des Vorjahres forderte er publikumswirksam die Regierung zum Einschreiten gegen die Preislawine auf. Während in den Städten Pasta Bolognese bestellt werde, esse das einfache Volk russische Nudeln mit Büchsenfleisch, sogenannte „Makaroni po-flotski“. Die Preislast sei „unzulässig“. Danach führte Russland Exportzölle für Getreide und Sonnenblumenkerne ein und verpflichtete den Einzelhandel zur Preisbegrenzung mehrerer Grundnahrungsmittel. Doch die staatliche Kontrolle gilt nur noch bis Ende März. Dann dürften die Preise erneut steigen. Die Rubelschwäche, die Moskaus Staatskasse sonst konstante Dollar-Einnahmen aus dem Ölgeschäft beschert, erweist sich nun als Problem: Landwirtschaftliche Produzenten veräußern ihre Produkte lieber zu höheren Preisen auf dem Weltmarkt, anstatt sie in Russland zu verkaufen.

Die Probleme kommen längst bei den Großstädtern an

Auch die einkommensstärkeren Bewohner der russischen Großstädte haben die Teuerungen der letzten Monate bemerkt. Die 30-jährige Olja aus Nowosibirsk erzählt: „Vor einem Jahr gaben wir durchschnittlich 450 Rubel pro Einkauf aus. Jetzt sind es bis zu 800 Rubel.“ Bei Qualität und Quantität macht sie derzeit keine Abstriche. „Dafür achte ich auf Aktionen und Ermäßigungen.“ Illusionen macht sie sich keine: „Der einzige Ausweg aus der Situation ist ein höheres Einkommen.“ Doch das ist nicht in Sicht.

In Tuwa müssen die Menschen auch bei Festessen sparen. Unlängst habe ihre Familie einen Hammel kaufen wollen, erzählt eine 60-jährige Frau aus der Hauptstadt Kysyl. Doch um den früher üblichen Preis von 5.000 Rubel, 55 Euro, für ein ausgewachsenes Exemplar bekam man nur ein Jungtier, „fast noch ein Lämmchen“. Für einen kräftigen Hammel hätte die Familie noch einmal 2.000 Rubel drauflegen müssen.

Gast
29. März 2021 - 10.56

Wenn Lebensmittelpreise stark ansteigen bleiben also ausser den verhassten Russen alle übrigen Länder auf unser schönen und gerechten Welt verschont , oder ?

Lili
29. März 2021 - 9.06

Virwaat Russland schlecht maachen wou M vir 't Éischt virun eiser Dier misst gekiert gin. Wéivill sin duerch onsënneg Restriktiounen an de Ruin gedriwwen gin a ganz Europa