VerfassungGrundrechte und Bürgerrechte: Das Parlament entscheidet am Mittwoch über das dritte Artikelpaket

Verfassung / Grundrechte und Bürgerrechte: Das Parlament entscheidet am Mittwoch über das dritte Artikelpaket
„Das war keine Arbeit in der Dunkelkammer“, sagt der Abgeordnete Mars di Bartolomeo über die geplante Verfassungsänderung Foto: Editpress/Julien Garroy

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Das Schiff nähert sich dem Hafen. Zwei von vier Containern haben die Kontrolle bereits passiert und dem dritten steht die Prüfung am Mittwoch bevor. Hafenmeister alias Parlamentspräsident Fernand Etgen (DP) benutzte am Freitag die Metapher des Hochseefrachters, um den Werdegang der neuen Verfassung zu beschreiben.

Nachdem die CSV vor drei Jahren überraschend einen zuvor mitgetragenen neuen Gesamttext abgelehnt hatte, sollte die aus dem 19. Jahrhundert und in den letzten Jahrzehnten mehrfach abgeänderte Verfassung aufgrund von vier getrennt im Parlament zu behandelnden Kapiteln doch noch modernisiert und so laut Autoren an das 21. Jahrhundert angepasst werden. Die beiden ersten „Container“ Justiz und Staatsorganisation waren bereits am 20. Oktober 2021 bzw. am 25. Januar 2022 vom Parlament in erster Lesung gebilligt worden. Eine zweite Abstimmung zum Kapitel Justiz steht im Parlament noch bevor. Ebenso für das zweite Kapitel, es sei denn es finden sich genügend Wähler, die sich für ein Referendum aussprechen.

Der dritte, am Freitag geöffnete Behälter enthält jene Artikel, die die Bürger am meisten interessieren dürften: ihre Grundrechte und Bürgerrechte sowie die Staatsziele. Dieses Kapitel beinhalte die meisten Neuerungen, sagte Mars di Bartolomeo (LSAP), Vorsitzender des Parlamentsausschusses Institutionen und Verfassungsrevision. Er sei vom Dialog mit den Bürgern mitgeprägt worden. „Ganz gute Vorschläge“ aus der Zivilgesellschaft hätten diesen Text ergänzt. „Das war keine Arbeit in der Dunkelkammer“, so Di Bartolomeo zu den Vorwürfen, die neuen Texte seien unter Ausschluss der Öffentlichkeit geschrieben worden. Diese Arbeit habe in voller Transparenz stattgefunden.

Auch Simone Beissel hob die vielen Anregungen von Bürgern hervor, die in Foren oder bei Treffen geäußert worden waren, insbesondere zu den Artikeln zu den Staatszielen. Die DP-Abgeordnete ist Berichterstatterin des dritten Kapitels, das die Artikel 10 bis 30 zu den Grundrechten, Freiheiten und Staatszielen umfasst.

Würde des Menschen

Der Bereich Grundrechte sieht auf den ersten Blick mit lediglich vier Bestimmungen ziemlich bescheiden aus. Man wollte nicht alle geltenden Grundrechte, die aus internationalen, von Luxemburg unterschriebenen Verträgen hervorgehen und die automatisch auch für Luxemburg gelten, in die Verfassung eintragen, etwa die Universelle Menschenrechtskonvention und die EU-Charta. Andernfalls hätte man eine mehrere hundert Seiten starke Verfassung bekommen, so Beissel. Man habe sich für eine schlankere Version entschieden. Ohnehin habe das internationale Recht Vorrang.

Erstmals festgehalten wird, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Neu ist auch der Artikel, der das Recht auf physische und moralische Unversehrtheit garantiert. Gesichert wird des Weiteren die Meinungs-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Verboten sind Folter und Todesstrafe. Die Grundrechte seien unantastbar, sozusagen in Beton gegossen, betonte Beissel.

Detaillierter ausgeführt sind die Bürgerrechte wie etwa Gleichheit vor dem Gesetz, Gleichberechtigung, Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit, das Recht auf Bildung und Schutz des Privateigentums. Hinzu kommen neue Rechte. Eines davon ist das Recht auf Gründung einer Familie. Erstmals bekommen auch die Rechte der Kinder verfassungsmäßigen Rang. Bei jeder Entscheidung, die das Kind betrifft, sei das Interesse des Kindes vorrangig, heißt es in Artikel 11 Absatz 5. Das sei „fast revolutionär“, sagte in diesem Zusammenhang Berichterstatterin Beissel. Verfassungsrang genießt in Zukunft auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und Datenschutz.

Staatsziele festgehalten

Der dritte Bereich dieses am Mittwoch zur Abstimmung im Parlament stehenden Kapitels betrifft die Staatsziele, keine vom Bürger einklagbaren Rechte, sondern politische Ziele, denen sich die jeweiligen Regierungen verpflichten müssen. Dazu zählt neben dem Recht auf Arbeit erstmals auch der Sozialdialog – eine „wesentliche Komponente“ der Funktionsweise der Luxemburger Gesellschaft, so Léon Gloden (CSV) am Freitag.

Ein weiteres Staatsziel fordert den Staat auf, dafür zu sorgen, dass jedem Menschen eine angepasste Wohnung zur Verfügung steht. Neu ist der Artikel über Umweltschutz und die Bekämpfung des Klimawandels. Die Tiere sind laut neuem Verfassungstext nicht-humane Wesen mit Empfindungsvermögen, um deren Wohlbefinden sich der Staat sorgen soll.

Die alte Verfassung habe längst nicht mehr der gesellschaftlichen Entwicklung entsprochen. Das ändere sich mit den neuen Texten, insbesondere mit der Einführung der Staatsziele, so Charles Margue („déi gréng“). Erstmals werde die Unschuldsvermutung in die Verfassung eingetragen, hob er hervor.

Sämtliche vorgeschlagenen Verfassungsänderungen sind auf der Internetseite des Parlaments, chd.lu, Rubrik „constitution“, einsehbar. Außerdem findet am kommenden Montag auf chamber.tv ein Rundtischgespräch zum Kapitel Grundrechte und Bürgerrechte statt. Der Verlauf der Debatte morgen im Parlament werde zeitnah in einer Sonderausgabe des „Chamberbliedchen“ veröffentlicht, so Parlamentspräsident Etgen.

Das letzte Kapitel der Verfassungsrevision betrifft die Artikel zum Parlament und zum Staatsrat. Berichterstatter ist hier Charles Margue.