Schwarze in LuxemburgGenug entschuldigt: Rassismus-Debatte rüttelt am nationalen Selbstverständnis

Schwarze in Luxemburg / Genug entschuldigt: Rassismus-Debatte rüttelt am nationalen Selbstverständnis
Die Luxemburgerin Jana Degrott ist Tochter eines gemischten Paares und kennt die Unsicherheiten, die junge Schwarze oft empfinden  Foto: Editpress/Isabella Finzi

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Rassismus gegenüber Schwarzen in Luxemburg – darüber spricht man hierzulande nicht gerne. Wer sich dennoch als Schwarzer traut, dieses Tabu zu brechen, muss auch mit Druck und Ignoranz rechnen. Weshalb man sich nicht für erlebten Rassismus entschuldigen muss, erklären zwei Aktivistinnen.

Seit Wochen prägt die Bewegung „Black Lives Matter“ erneut die internationale Rassismus-Debatte. Was in den USA als Reaktion auf systemischen Rassismus, alltägliche Diskriminierung und Polizeigewalt gegen Schwarze angefangen hat, führt inzwischen in ganz Europa zu Demonstrationen. Auch in Luxemburg wurde vor kurzem protestiert: Rassismus gegenüber Schwarzen gehört hierzulande keineswegs der Vergangenheit an. Allerdings ist Luxemburgs Rassismus-Debatte im Vergleich zum Ausland noch diffus, unstrukturiert und weit davon entfernt, sich mit der systemischen Ebene des Problems zu befassen. Selbst wer in Luxemburg als Schwarzer Alltagsrassismus thematisiert, muss sich auf eine Welle der Empörung gefasst machen. Jüngstes Beispiel: Ein Teil der Reaktionen auf die Tageblatt-Serie „Rassismus in Luxemburg“.

An Muttertag hat das Tageblatt eine Artikel-Serie ins Leben gerufen, um Rassismus-Erfahrungen von schwarzen Menschen in Luxemburg zu thematisieren. Denn: Anfeindungen in der Schule, rassistische Kommentare, subtile Diskriminierung, schlechtere Jobchancen – wer eine dunkle Haut hat, riskiert auch hierzulande ausgegrenzt zu werden. Jahrhundertelange Unterdrückung durch Weiße ist auch an Luxemburg nicht spurlos vorbeigegangen.

Die Zeitzeugen der Tageblatt-Serie erzählen, was sie erlebt haben: Sie können ungefiltert von ihren persönlichen Erfahrungen mit Rassismus berichten. Der erste Text der Serie ist in der Samstagausgabe vom 13. Juni erschienen. Mit einem Perspektivwechsel wird aus Sicht der Mütter der von ihren Kindern erlebte Rassismus geschildert. Der zweite Text ist am 15. Juni veröffentlicht worden und fokussiert das Erlebte aus der Perspektive der Betroffenen selbst. Anstelle von Mitgefühl wurde den Interviewten jedoch teilweise Unverständnis und Wut entgegengebracht. Für die Betroffenen eine Situation, die Angst macht, gar Panik auslöst.

Keine Frage der Integration

Das Resultat des Drucks, der von außen ausgeübt wurde, war in einem Fall nicht weniger als eine offizielle Entschuldigung der Zeitzeugen. Für Jana Degrott, DP-Politikerin und selbst Tochter eines gemischten Paares, ist das, was sich seither in Luxemburgs Rassismus-Debatte zusammenbraut, wie ein Schlag ins Gesicht: „Es ist das Resultat jahrelangen Diskreditierens. Es wird einem eingetrichtert, dass das, was man fühlt, nicht richtig ist und man doch dankbar sein soll, dass man hierzulande aufgenommen wurde.“ Dass ein gebürtiger Luxemburger öffentlich betonen muss, dass er sich in der eigenen Heimat integriert fühlt, ist für Degrott inakzeptabel. „Die Menschen glauben, dass wir als Schwarze einen Integrationsprozess hinter uns haben, aber das stimmt nicht. Es gibt keine richtigen, falschen oder halben Luxemburger – wenn Luxemburger als Nationalität in deinem Pass steht, dann bist du Luxemburger, Ende der Geschichte.“

Auch Aldina Ganeto des „Finkapé“-Netzwerks für afrikanisch-stämmige Bürger („afro-descendants“) ist über die Reaktionen auf die Artikelserie entsetzt: „Ich bin schockiert, dass den eigentlichen Opfern von Rassismus so viel Druck gemacht wird, dass sie sich schuldig fühlen und das Gefühl haben, sich bei jemandem entschuldigen zu müssen. Das darf doch einfach nicht sein.“ Seit Jahren kämpft Ganeto für Gleichberechtigung in Luxemburgs Gesellschaft. Dass Menschen, die sich trauen, über Erlebtes zu sprechen, solchen Gegenwind erfahren, trifft die Aktivistin persönlich. „Ich finde keine Worte dafür. Man wird hingestellt, als dürfe man sich hier nicht mehr wohlfühlen, wenn man den Mund aufmacht. Was die Betroffenen erlebt haben, zeigt, was Rassismus mit einem macht: Man fühlt sich ausgeliefert, hilflos und es wird einem gesagt, man habe nicht das Recht, darüber zu reden, was einem widerfahren ist.“

Die eigene Geschichte erzählen

Kommentare im Internet, Anrufe an jene, die ihre Rassismus-Erfahrungen schildern, Anfeindungen gegenüber Journalisten und Medien, die über das Tabuthema berichten – all dies sind Hinweise dafür, dass fest verankerter Rassismus auch in Luxemburg existiert, jedoch immer noch totgeschwiegen wird. „Es ist dramatisch, festzustellen, wie die Gesellschaft in solchen Situationen reagiert“, sagt Ganeto. „Anstelle sich selbst und sein eigenes Verhalten zu hinterfragen, greifen die Leute diejenigen an, die genau durch diese Einstellung verletzt wurden. Es zeigt einfach, dass Luxemburg nicht bereit ist, zuzugeben, was unsere Realität hier als Schwarze ist.“ In ihren Augen sind sich die meisten nicht bewusst, was solche Reaktionen bei den Betroffenen anrichten: „Du fühlst dich irgendwann nicht mehr anerkannt und versuchst jeden Tag zu vergessen, wer du bist, wirst aber immer wieder daran erinnert und darfst dann nicht mal darüber reden.“

Als Gründungsmitglied von „Finkapé“ setzt sich Aldina Ganeto seit Jahren für die Rechte von „afro-descendants“ ein
Als Gründungsmitglied von „Finkapé“ setzt sich Aldina Ganeto seit Jahren für die Rechte von „afro-descendants“ ein Foto: privat

Dass es für Opfer von Rassismus nicht leicht ist, über bestimmte Situationen zu reden und viele dies vermeiden, ist auch Degrott durch die Reaktionen auf die Artikelserie bewusst geworden: „Für mich war das wie ein Erwachen. Mir ist klar geworden, dass ich mich in meinem politischen Mandat nie wirklich getraut habe, etwas zu sagen. Ich habe stets von anderen Schwarzen gesprochen. Aber es wird Zeit, dass auch ich meine persönliche Geschichte erzähle.“  Die junge Politikerin nimmt die Ignoranz in Luxemburg seit längerem zunehmend wahr: Während ihre anderen Hilfsorganisationen früher viel Zuspruch erhielten, ist die Unterstützung der Luxemburger für ihr aktuelles Projekt über Ausgrenzung eher zaghaft. „Sie fühlen sich nicht angesprochen, und genau das ist das Problem.“

„Muss mich nicht dafür entschuldigen“

Die Ausrede, im Großherzogtum würden doch so viele Menschen unterschiedlicher Herkunft sowie verschiedene Nationalitäten friedlich zusammenleben und Rassisten wären Einzelfälle, will Degrott nicht länger hinnehmen: „Man soll sich nicht damit zufriedengeben, dass es halt intolerante Menschen gibt. Solange auch nur eine Person eine andere aufgrund ihrer Hautfarbe diskriminiert, muss darüber gesprochen werden.“ Sie selbst kenne das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden, man solle doch bloß nicht übertreiben. Aus diesem Grund will sich Degrott für diejenigen einsetzen, die keine eigene Stimme haben oder sich aber davor fürchten, in die Öffentlichkeit zu treten: „Que cela plaise ou non.“

Tabus brechen, andere unterstützen, gemeinsam für die schwarze Gemeinschaft einstehen – dafür kämpfen Menschen wie Ganeto und Degrott tagtäglich. Laut Ganeto darf man nicht schweigen, auch wenn es viel Überwindung kostet: „Es ist nicht einfach, darüber zu sprechen, denn damit verletzt man sich jedes Mal wieder selbst. Aber reden ist der einzige Weg und unsere Botschaft lautet ganz klar: Ich muss mich nicht dafür entschuldigen, dass ich Rassismus erlebt habe. Das ist nicht meine Schuld.“

Miette
21. Juni 2020 - 22.42

@Nomi, Ja, ist auch nicht mein Umgang aber leider Tatsache... dies auch in Ettelbrück, da braucht Frau nicht gen Luxemburg Stadt. Die Dealerbanden, das ist nicht mein Freundeskreis?

Nomi
20. Juni 2020 - 10.52

Et sollt een net bei Rasissmus nemmen d'Farwen an ennerschidlech Deppen gehei'en . Leit vun aanerer Hautfarf dei' mat engem am Betrieb schaffen oder zum Bekanntenkrees gehei'eren gin aanescht ungekuckt wei di farwesch Dealer aus dem Garer Quartier ! Ass daat Rassismus oder Gesellschaftsniveau ?

trotinette josy
19. Juni 2020 - 14.54

@Claude Clemens. Wenn Sie meinen Kommentat aufmerksam gelesen haben, werden Sie gemerkt haben, dass von dummen, engstirnigen und rassistischen Mitbürger/innen die Rede ist. Demnach in diesem Kontext, eher dummes reiches Luxemburg, trotz multikulti! A bon entendeur salut.

De March Annette
19. Juni 2020 - 8.48

Ich war vor Jahren mit dem 12jährigen Sohn meiner capverdianischen Putzfrau meine Mutter ins Altersheim besuchen. Wir sind dann im Park nebenan spazieren und der Junge lief herum und spielte und kam uns immer wieder nachgelaufen. Da rief jemand uns zu 'Passt ob' und wir wunderten uns auf was wir aufpassen sollten und fragten nach. Die Antwort : da läuft dieser kleine Schwarze ! Ein 12jähriges kleines Kind !!!! Seine Mutter vor einiger Zeit sagte : les temps sont difficiles ici pour nous ! Und wenn ich nicht als Bürge für ihre Wohnung da gewesen wäre, würden sie noch immer in einem 'Loch' wohnen. Einige Vermieter von Wohnungen, wo ich angerufen hatte um für meine Putzfrau eine ordentliche Bleibe zu finden, waren Anfangs begeistert als ich sagte ich würde Bürge sein, aber als sie hörten es wäre eine capverdianische Familie, war die Wohnung plötzlich schon vermietet oder man sagte mir dass man 'solche' Leute nicht haben wollte, ob die wohl sauber seien? Als ich meinte, dass, wenn sie 'sauber' genug seien um als Putzfrau zu arbeiten, müssten sie es ja auch privat sein, sah ich nur betretene Gesichter. Rassismus à la Luxembourgeoise, halt !

Claude Clemens
18. Juni 2020 - 20.49

Mein Respekt an alle Beteiligten dieser Artikelserie: die die sich trauen etwas zu sagen, und die die sich trauen darüber zu berichten. Für erlebten Rassismus sollte sich wahrlich niemand entschuldigen müssen, nirgendwo auf der Welt und schon gar nicht im ach so multikulturellen Luxemburg. Armes reiches Luxemburg.

trotinette josy
18. Juni 2020 - 19.57

Weshalb und wieso müssen sich die intelligenten und toleranten Menschen eigentlich stets für ihre dummen, engstirnigen und rassistischen Mitbürger/innen entschuldigen? Letztere sollten für ihr Verhalten zu Rechenschaft gezogen und entsprechend bestraft werden.

Lucilinburhuc
18. Juni 2020 - 11.37

Meine persönliche Erfahrung : Aggressionen gegen Behinderte. Nach meiner Einmischung wurde ich selbst Krankenhaus geschlagen. So geschah es in den 80er in Bereldingen.

Jerry Scholer
18. Juni 2020 - 8.14

Rassismus , ob gegen Menschen egal welcher Hautfarbe ,wird wohl nie ausgerottet werden, wie auch die Menschen ihrer Interessen wegen sich ewig bekriegen werden.Wer glaubt diese beiden Übel würden auf Zeit verschwinden, ist ein Utopist, verkennt die reale Welt.Dem entgegenzuwirken, grössere Schäden zu vermeiden, ich habe in verschiedenen Kommentaren schon darauf hingewiesen , eine reale Politik nur ihre Ziele erreichen kann, wir aufeinander zugehen müssen , ohne Anschuldigungen, ohne Öl auf das Feuer zugiessen um die Problematik des Rassismus , wie auch anderer Themen ,zu lösen. Allerdings betrübt es mich , wenn von Ignoranz geschrieben wird. Ich glaube nicht, die Mehrheit der inländischen Bevölkerung zur Thematik ignorant ist , weder es ihr mangelt an Toleranz. Es scheint mir auch widersprüchlich zusein, von Nichtakzeptanz , Diskriminierung gegenüber der restlichen Einwohnerschaft einer Hautfarbe zu sprechen, Frau Degrott doch von einer beträchtlicher Zahl an „ weissen“ Wähler ein politisches Mandat erhalten hat.Sogar im Örtchen Fels , die Bürger , und dies mit vollster Zufriedenheit, eine Bürgermeisterin anderer Ethnie haben. Sicherlich und da kann ich allen zu Wort gekommenen schwarzen Bürgern beipflichten, birgt der Alltag versteckte rassistische Hänseleien in sich. Ob das nun der „ Luxusbierger“ , „Luxos“, „ Letzebuerger Kéiskapp »,....ist oder die Randbemerkung zur Hautfarbe.Wollen wir was ändern , natürlich, auf lange Sicht sollten wir über bestimmte Redewendung hinwegsehen , den Dialog weiterführen um eine Änderung herbeizuführen. Eine Gesetzesverschärfung in Punkto „ Rassismus“, eher kontraproduktiv, den nationalistisch, rassistisch gesinnten Menschen wird es ewig geben .Halten wir ihn in Grenzen, zeigen wir ihm, über Kleinkrämerei setzen wir uns hinweg, lösen die wirklich gravierenden Probleme dieser Thematik im Gespräch.Vor Jahren konnten wir den Film „ Schokela, Knäetschgummi, a brong Puppelcher“ von A.Bausch bewundern. Ein zeitgeschichtliches Dokument von tiefgründiger Thematik, doch seien wir ehrlich, alleine der Titel könnte manch Aktivisten heute ein Dorn im Auge sein, Protest hervorrufen, obschon dieser Film ein Statement von Toleranz, Anti-Rassismus ist.