GutachtenFür eine Impfpflicht ab 50: Wie die fünf Experten ihre Entscheidung begründen

Gutachten / Für eine Impfpflicht ab 50: Wie die fünf Experten ihre Entscheidung begründen
Die Ad-hoc-Expertengruppe, die von der Regierung für ein weiteres Impfpflicht-Gutachten beauftragt wurde Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Impfpflicht ab 50: ja. Sektorielle Impfpflicht für Gesundheitsberufe: nein. So urteilt das Gremium um fünf Luxemburger Pandemie-Experten in seinem Gutachten zu einer möglichen Impfpflicht, das sie auf Anfrage der Regierung erstellt haben. In der Formulierung weniger eindeutig als noch im ersten Gutachten Anfang des Jahres sind die Forscher und Ärzte der Meinung, dass die Regierung Luxemburg auf ein Worst-Case-Szenario im Herbst vorbereiten muss.

Prof. Dr. Claude P. Muller ist Experte für Virologie und Immunologie am Luxembourg Institute of Health und unterrichtet an der Universität des Saarlandes und der Universität Trier
Prof. Dr. Claude P. Muller ist Experte für Virologie und Immunologie am Luxembourg Institute of Health und unterrichtet an der Universität des Saarlandes und der Universität Trier Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

70 Seiten umfasst das Gutachten, das die Ad-hoc-Expertengruppe, zusammengesetzt aus fünf Wissenschaftlern und Ärzten, am Dienstag vorgestellt hat. 70 Seiten, die Daten zur Impfrate, Modellierungen und Berechnungen zu möglichen Pandemie-Szenarien im Herbst enthalten und mit juristischen Überlegungen zu einer möglichen Impfpflicht komplettiert werden. Damit zeichnen Claude P. Muller, Vic Arendt, Thérèse Staub, Gérard Schockmel und Paul Wilmes ein wesentlich umfangreicheres Bild als im zwölfseitigen Gutachten, das dieselben Experten zu einer allgemeinen Impfpflicht Anfang des Jahres präsentiert haben. Und kommen zum Schluss: Die sektorielle Impfpflicht für Gesundheitsberufe ist aufgrund der Datenlage nicht angebracht, eine Impfpflicht für Menschen ab 50 Jahren schon.

Dass nun ein zweites Gutachten vorliege, habe damit zu tun, dass das erste Gutachten in einer Transitionsphase verfasst wurde, in der Delta von Omikron als dominante Virusvariante abgelöst wurde. Die Omikron-Variante aber weise andere Charakteristiken auf, darunter eine höhere Infektiösität, jedoch eine niedrigere Virulenz als noch die Delta-Variante. Das habe zu einem Paradigmenwechsel geführt, „der eine Neuausrichtung und Neuanpassung der Gesundheitsmaßnahmen angesichts der Pandemie erfordert“, schreiben die Experten im Gutachten. „Wir haben Erfahrungen mit antiviralen Medikamenten und anderen Impfstoffen gesammelt“, sagte Claude P. Muller auf der Pressekonferenz am Dienstag. „Auch können wir mehr zur Effektivität der Impfstoffe sagen.“ Es sei demnach eine gute Idee der Regierung gewesen, die pandemische Lage im Hinblick auf eine mögliche Impfpflicht noch einmal neu bewerten zu lassen.

Primärziel: Überlastung vermeiden

Dr. Gérard Schockmel ist Spezialist für Infektionskrankheiten und Experte bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur
Dr. Gérard Schockmel ist Spezialist für Infektionskrankheiten und Experte bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

„Es geht nicht darum, jeden Einzelnen zu schützen, die Inzidenzen runterzuschrauben, die Pandemie zu beenden oder das Virus auszulöschen“, sagte Muller. Grundlage für die abschließende Bewertung sei das festgesetzte Ziel, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden. „Ich denke da besonders an die Intensivstationen.“

Gérard Schockmel knüpfte an die Überlegungen von Muller an: „Die über 50-Jährigen machen fast 100 Prozent der Todesfälle in der Pandemie aus.“ Bei der Omikron-Variante sei sogar jeder Tote über 50 Jahre alt gewesen. „80 Prozent der Patienten, die infolge einer Coronavirus-Infektion auf der Intensivstation betreut wurden, waren über 50 Jahre alt.“ Bei den über 50-Jährigen in Luxemburg seien derzeit 30.000 gar nicht geimpft, 20.000 würden ein unvollständiges Impfschema aufweisen, so Schockmel.

Auch gebe es den vorliegenden Daten zufolge einen wesentlichen Unterschied, was die Impfquote bei Grenzgängern und Luxemburgern betreffe. „Den Zahlen der Sozialversicherung zufolge seien nur 31,5 Prozent vollständig geimpft“, sagte Schockmel. Eine Zahl, die aber aufgrund einer unvollständigen Datenlage nicht für bare Münze genommen werden soll – und auch ein Kritikpunkt der Experten ist. „Wir haben keine kompletten Daten zu den Grenzgängern“, sagte Vic Arendt, der vor einer Stigmatisierung der Grenzgänger warnt. „Unwissen ist ein Risiko“, sagte auch Schockmel.

Keine sektorielle Impfpflicht

Dr. Vic Arendt ist Infektiologe im „Centre hospitalier de Luxembourg“
Dr. Vic Arendt ist Infektiologe im „Centre hospitalier de Luxembourg“ Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Vic Arendt legte dann auch die Zahlen zur Effektivität der Impfung dar. „Die Impfstoffe weisen eine 95-prozentige Effektivität gegen eine Hospitalisierung auf.“ Eine ähnliche Wirksamkeit würden die Impfstoffe bei Infektionen mit Todesfolge besitzen. Mit Omikron aber würden die Impfstoffe erst ab der dritten Dosis die nötige Wirksamkeit aufzeigen. Einen Schutz vor einer Übertragung würden die auf der Alpha-Variante entwickelten Impfstoffe nicht mehr bieten. „Wir erreichen nicht mehr den benötigten Infektionsschutz von 50 Prozent“, so Arendt.

Das ist auch einer der Hauptgründe, die den Experten zufolge derzeit gegen eine sektorielle Impfpflicht sprechen. Fünf Monate nach einer Impfung nehme die Wirksamkeit entscheidend ab. Anstelle einer Impfpflicht empfiehlt die Expertengruppe stattdessen der pandemischen Lage angepasste Schutzmaßnahmen. Zudem sollte das Gesundheitspersonal den Impfstatus – nicht nur bezüglich Covid-19 – offenlegen müssen. „Es ist inakzeptabel, dass das Recht einer Minderheit des Personals auf ärztliche Schweigepflicht über das Recht auf körperliche Unversehrtheit der ihnen anvertrauten gefährdeten Personen gestellt wird“, schreiben die fünf Experten.

Worst-Case-Szenario vorbereiten

Prof. Dr. Paul Wilmes ist Professor für Systemökologie am Luxembourg Centre for Systems Biomedicine
Prof. Dr. Paul Wilmes ist Professor für Systemökologie am Luxembourg Centre for Systems Biomedicine Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Wie aber rechtfertigt das Expertengremium die Entscheidung für eine Impfpflicht ab 50 Jahren? „Wir sehen in den Daten, dass die Impfkampagnen einen Effekt auf die Belegung der Intensivstationen hatten“, sagte Dr. Paul Wilmes. Dieser Effekt sei Anfang des Jahres durch die Dominanz der Omikron-Variante, die weniger schwere Verläufe einer Covid-Erkrankung provoziere, noch verstärkt worden.

Wilmes erklärte, dass verschiedene Berechnungen anhand der Modelle durchgeführt wurden, die auch in der Covid-19-Taskforce zum Einsatz gekommen und verbessert worden sind. Dazu sei das nach Alter variierende Risiko, an einem schweren Verlauf von Covid-19 zu erkranken, einberechnet worden. Zudem habe man die sinkende Effektivität der Impfungen in Betracht gezogen und somit anhand verschiedener hypothetischer Virusvarianten, die sich in Virulenz und Infektiösität unterscheiden, mehrere Berechnungen angestellt.

Beim „Modell Omikron“, also Berechnungen anhand einer Virusvariante mit hoher Infektiösität und geringer Virulenz, könne die Anzahl an Patienten, die auf der Intensivstation behandelt werden müssen, um neun Prozent reduziert werden. „Beim ‚Modell Delta‘ liegt eine Verminderung der Intensivpatienten von 97 Prozent vor“, sagte Paul Wilmes. „Die Wirklichkeit liegt wohl in der Mitte dieser zwei Extreme.“ Unter anderem würde die Wirksamkeit der Impfung immer von der Virusvariante abhängen.

Dr. Thérèse Staub ist Chefmedizinerin des nationalen Dienstes für Infektionskrankheiten und Präsidentin des Obersten Rates für Infektionskrankheiten (CSMI)<br />
Dr. Thérèse Staub ist Chefmedizinerin des nationalen Dienstes für Infektionskrankheiten und Präsidentin des Obersten Rates für Infektionskrankheiten (CSMI)
 Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Unabhängig von der Variante empfiehlt die Strategische Beratergruppe von Experten für Immunisierung von der Weltgesundheitsorganisation (SAGE) eine vierte Impfdosis für Personen ab 60 Jahren, das Krankenhauspersonal und immungeschwächte Personen. Eine Empfehlung, der sich das Expertengremium anschließt. „Unabhängig von der Variante zeigen drei Impfdosen, wenn die letzte Dosis vor über fünf Monaten gespritzt wurde, wenig Wirkung“, sagte Vic Arendt. Drei Impfdosen und eine Boosterimpfung würden aber einen großen Effekt zeigen. „Wir sind für eine Impfpflicht ab 50 Jahren, um auf ein Worst-Case-Szenario im Herbst vorbereitet zu sein.“ Wie wahrscheinlich denn ein solches Szenario sei? „Wir haben uns mit führenden Evolutionsbiologen beraten“, sagte Paul Wilmes. „Ein Delta-ähnliches Szenario kann nicht ausgeschlossen werden.“ Gérard Schockmel ging noch einen Schritt weiter: „Man darf es nicht drauf ankommen lassen, wenn man in der politischen Verantwortung steht.“

Dass das Gutachten nicht wie geplant Anfang Juni publiziert wurde, habe mehrere Gründe gehabt. „Wir haben lange auf Daten zur Omikron-Variante gewartet“, sagte Thérèse Staub. Diese seien nötig gewesen, um anhand der statistischen Modelle richtig berechnen zu können. Ob neue Impfstoffe Abhilfe schaffen könnten, sei ebenfalls unklar. Zwar arbeite Pfizer an Impfstoffen auf Grundlage der Omikron-B.1- und Omikron-B.2-Variante, „wir wissen jedoch nicht, ob diese auch gegen die B.4- und B.5-Variante wirksam sind“, sagte Staub. Auch deshalb sei es wichtig, schon vorher mit den vorhandenen Impfstoffen zu impfen, so Vic Arendt. „Wenn die neuen Impfstoffe dann bereit sind, können wir immer noch umsteigen.“

Bella
6. Juli 2022 - 17.12

@Leila "Warum wohl sind die im Gesundheitssektor von der Impfpflicht befreit? " Die sind nicht befreit, ausser sie sind unter 50. Darum geht doch der ganze Artikel.

Glariana
6. Juli 2022 - 17.12

@charlesplier1960 "Fir esou een Schwachsin vun sech ze gin,muss een net „Expert“ sin." Dach, genee dat muss ee sinn. Dir sidd keen.

charlesplier1960
6. Juli 2022 - 14.12

Dr NO Dir sid een deen neischt verstan huet.E letzebuerger Pseudointelellektuellen den den Politiker aus der Hand fresst. Weinstens benotzen ech mei richtege Numm.

Danielle Tara
6. Juli 2022 - 14.04

Ech hun mech 3x impfen geloos vir mech ze schützen an hun iwerlieft sou wei Milliounen aner Leit och….an ech doen och Mask weider un wou vill Leit sin ech machen dat freiwelleg an net well Regierung dat seet respektiv Mask elo net mei seet…..dat enzegt wat net an der Rei as dat am Gesondheetssecteur net genuch geimpft sin. Dat as onverantwortlech geigeniwer den vulnerabelen Leit.

Dr NO
6. Juli 2022 - 11.30

@charlesplier1960// 62 Jahre und kein bisschen weise. Schämen Sie sich nicht solche Dummheiten zu schreiben?

Leila
6. Juli 2022 - 9.52

Warum wohl sind die im Gesundheitssektor von der Impfpflicht befreit? Sind sie bereit, den Beruf zu wechseln wenn sie quasi gezwungen werden? Klinik und Patient sind viel zu sehr auf sie angewiesen um sie derart unter Druck zu setzen! Ist das halbe Dutzend da auch drei mal geimpft?

JJ
6. Juli 2022 - 8.47

Keine Impfpflicht für Gesundheitsberufe? Da muss man sicher "Exberde" sein um das zu verstehen. Gesundheitspersonal,vom Arzt bis zur Krankenschwester sollten mit gutem Beispiel vorangehen und zeigen,dass Impfung eben kein Blödsinn ist. Das ist als könnte man mit 100 durch Ortschaften brettern nur weil man bei der Polizei arbeitet.

charlesplier1960
6. Juli 2022 - 8.47

Fir esou een Schwachsin vun sech ze gin,muss een net "Expert" sin. Fuert roueg esou weider.dat get Ueleg fir op d'sozial Konflikter dei sech fir de Wanter annonceieren,wann d'Leit keng Suen mir hun fir de Brennes ze bezuelen,sech net méi déi richteg Ernährung leeschte können (wat d'Verbreedung vum Virus jo méi intensiv mecht durch d'Fehlen vun den Vitaminen) etcetc. Iwergens ass dat do en Instrument vun enger Diktatur.Impfen as eng Saach wou jiddereen driwer kann décideieren.De Staat an och kee comité d'experts kann iwert mein Kierper décideieren. Nach eppes:wou sin är Masken,dir Damm an Hären Experten?An esou schlemm kann et jo och net sin wann een esou gudd gelaunt an d'Kamera laacht. Ech sin 3x geimpft.62 Joer.Hun nie Covid gahat (wahrscheinlech well ech Blutgrupp 0+ hun.Dat soll jo den Infektiounstaux erofsetzen).Hun es genug domat.Ech well net nach 5,6 oder 7x geimpft gin,an dat nemmen fir d'Pharmaindustrie méi reich ze machen. Mais bis den Letzeborger dat versteht,dauert et nach laang. Menschen sin liicht an Panik ze versetzen an ze konditioneieren. D'Fro stellt sech:wann ech dei Pflicht elo refuseieren,gin ech dann strofbar,Bzw isolei'ert? Ech bleiwen dann doheem,gin net mei an de Restaurant,loosse meng kanner akafen goen,fueren net méi mam öffentlechen Transport,gin op keng Veranstaltung méi etc,an aneren wierder:waarden op den Mann mat der Séi'ssel! An dat nemmen durch esou eng Bunch of Id... Experts!!!!!!