InterviewExperte über Kandidatur für UN-Menschenrechtsrat: „Luxemburg kann durchaus etwas bewegen“

Interview / Experte über Kandidatur für UN-Menschenrechtsrat: „Luxemburg kann durchaus etwas bewegen“
Jean Asselborn hat Luxemburgs Kandidatur vorgestellt – die Chancen stehen nicht schlecht

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Luxemburg bewirbt sich für die Jahre 2022 bis 2024 auf einen Sitz im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen. Außenminister Jean Asselborn stellte die Kampagne am Donnerstagnachmittag vor. Gegenüber dem Tageblatt erklärt UNO-Experte Marc Engelhard, wie er die Chancen auf eine erfolgreiche Kandidatur einschätzt – und wieso der Menschenrechtsrat besser ist als sein Ruf.

Tageblatt: Ist der Menschenrechtsrat tatsächlich so schlecht wie sein Ruf?

Marc Engelhard: Nein, und das hat er in den letzten Jahren auch bewiesen. Der Menschenrechtsrat hat den Vorteil, dass er Finger in die Wunden legen kann. Das hat er gemacht bei Venezuela und Syrien. Im Fall Syrien sammelt der Rat wahnsinnig viele Fakten, Unterlagen und Dokumente, die später, wenn es dann mal ein Gerichtsverfahren gäbe vor dem Internationalen Strafgerichtshof, verwendet werden können. Wenn der Menschenrechtsrat das nicht machen würde, dann würde es niemand machen. Wir leben zudem in einer Zeit, wo es unglaublich viele Informationen gibt, von denen man nicht weiß, ob das jetzt die Wahrheit ist oder nicht. Und wenn man vor lauter Fake News die ganzen Bäume nicht mehr sieht, dann hilft das eine Gremium, das aufschreit, wie die Lage wirklich ist – und das tut der Menschenrechtsrat.

Eine Kritik am Rat ist seine angebliche Israel-Feindlichkeit.

Das ist leider der Fall. Das liegt daran, dass Israel und die palästinensischen besetzten Gebiete das einzige Thema mit eigenem ständigem Tagesordnungspunkt sind. Das ist verbunden mit der Entstehung des Menschenrechtsrats, viele Staaten versuchten immer wieder, das zu ändern, und ich glaube, dass man das weiter probieren muss, aber nur deshalb wird das Gremium an sich nicht unwichtig.

Menschenrechtsorganisationen beklagen die Mitgliedschaft von notorischen Menschenrechtsgegnern im Rat und rufen zu mehr Kandidaturen auf. Gibt es da tatsächlich immer nur sehr wenige Kandidaturen?

Eines der großen Probleme der Besetzung des Menschenrechtsrats ist tatsächlich, dass es in Staatengruppen oft nur so viele Kandidaturen gibt, wie Plätze vorhanden sind. Das heißt einfach, dass sich bestimmte Länder innerhalb ihrer Staatengruppen bereits vorher durchgesetzt haben. Was wiederum dazu führt, dass die UNO-Vollversammlung, die ja letztlich diese Wahlen durchführt, überhaupt keine Wahl hat – und damit kommen dann auch Staaten in den Menschenrechtsrat rein, die wirklich nicht für Menschenrechte stehen. Wir haben das bei Saudi-Arabien gesehen und sehen das jetzt bei China und Russland. Anders, als mehr Länder zu einer Kandidatur zu ermutigen, lässt sich das vermutlich nicht lösen. Auf der anderen Seite – und das ist einer der großen Vorteile der UNO und damit dieses Rates – muss mit allen Ländern geredet werden. Man muss auch mit Saudi-Arabien über Menschenrechte reden, und wenn dieser Staat im Menschenrechtsrat ist, hat man ein Druckmittel mehr. Leider ist das oft nicht erfolgreich.

Wie läuft eine Kandidatur ab? Und kann ein kleines Land wie Luxemburg überhaupt eine Rolle spielen?

Luxemburg wird sich innerhalb der westeuropäischen Staatengruppe präsentieren müssen (zu der auch die USA, Australien und Neuseeland zählen, Anm. d. Red.) und möglichst viele von sich überzeugen müssen. Dann stehen die Chancen auch gut. Wir haben in diesem Jahr die Situation gehabt, dass in Westeuropa zwei Plätze neu zu besetzen waren und sich nur zwei Staaten präsentiert haben. Für die Kandidaten ist das natürlich wahnsinnig bequem. Aber selbst wenn das jetzt nicht so wäre, hätte ein Land wie Luxemburg etwas zu sagen im Menschenrechtsrat und könnte auch etwas bewegen.

Marc Engelhardt berichtet seit 2010 von den Vereinten Nationen, u.a. für den Deutschlandfunk. Sein Buch „Weltgemeinschaft am Abgrund“ wurde mit dem „Prix Nicolas Bouvier“ ausgezeichnet. Derzeit schreibt er an einem Buch über die Klimakrise, das 2021 erscheint.
Marc Engelhardt berichtet seit 2010 von den Vereinten Nationen, u.a. für den Deutschlandfunk. Sein Buch „Weltgemeinschaft am Abgrund“ wurde mit dem „Prix Nicolas Bouvier“ ausgezeichnet. Derzeit schreibt er an einem Buch über die Klimakrise, das 2021 erscheint. Foto: privat

Trotz seiner geringen Größe?

Ja, weil es ein Land ist, das diplomatisch auf der Weltbühne durchaus in Erscheinung tritt als ehrlicher Vermittler, als ein Staat, der viele verschiedene Staaten, auch innerhalb der EU, an einen Tisch bringen kann. Das war vielleicht schon mal stärker der Fall, als das heute noch ist, aber es gilt immer noch. Luxemburgs Chancen, dann mehrheitlich von allen 193 UN-Mitgliedstaaten gewählt zu werden, auch wenn es mehr Kandidaten in seiner Gruppe gibt, stehen demnach nicht schlecht.

Eine weitere Kritik am Menschenrechtsrat ist die, er sei nur ein Papiertiger und damit machtlos – sehen Sie das auch so?

Diese Kritiker fordern meistens, dass der Menschenrechtsrat ein Veto- oder Sanktionsrecht bräuchte, also ein paar harte Maßnahmen. Ich glaube das nicht. Schauen Sie sich den Sicherheitsrat an. Der hat das – und ist ständig aus dem Grund blockiert, weil es eben diese Sanktionsmittel gibt. Da passiert einfach gar nichts. Hier in Genf wird zumindest diskutiert. Vielleicht lässt sich am Menschenrechtsrat kritisieren, dass zu wenig passiert, aber wenigstens wird hier in Genf diskutiert.

B.G.
10. Dezember 2020 - 21.47

Im Traum sah ich letzte Nacht einen als Turnlehrer verkleideten ex- Schultheiß im Rat der Menschenrechte auf einem Poller sitzen .