ChamberStudie soll das Ausmaß von Rassismus in Luxemburg ermitteln

Chamber / Studie soll das Ausmaß von Rassismus in Luxemburg ermitteln
Luxemburg ist ein multikulturelles Land, dennoch gibt es auch hier Rassismus Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Hat Luxemburg ein Rassismus-Problem? Ein klares Ja gab es am Mittwoch von allen Fraktionsseiten im Parlament mit Ausnahme der ADR, die sich gegen eine Verallgemeinerung aussprach. Es gebe keinen strukturellen Rassismus. Das Parlament beschloss am Mittwoch, eine Studie zur Problematik durchführen zu lassen, um deren Ausmaß zu erfassen.

Mit CSV und Piratenpartei hatten gleich zwei Parteien die aktuellen Diskussionen über Diskriminierung unter anderem aufgrund der Hautfarbe aufgegriffen, um eine Aktualitätsstunde zum Thema Rassismus in Luxemburg zu beantragen. Rassismus sei eine der perfidesten Formen von Diskriminierung, so CSV-Sprecher Paul Galles. Rassismus werde immer dazu benutzt, einen anderen kleiner zu machen, um eigene Ziele zu erreichen. In Luxemburg habe man ein enormes Potenzial an friedlichem Zusammenleben. Aber die Begegnung mit anderen Kulturen könne Ängste hervorrufen. Angesichts einer drohenden Krise könnten Spannungen zunehmen. Man müsse einen realitätsgetreuen Blick behalten, aber keine Panik machen. Man sollte auf Menschen hören, die unter Rassismus leiden.

Luxemburg sei keine rassistische Gesellschaft, wohl aber gebe es rassistische Erscheinungen. Galles sprach von Diskriminierung bei der Wohnungssuche, auf dem Arbeitsmarkt und im Schulwesen, etwa bei der Orientierung von Schülern in den klassischen oder den technischen Unterricht. Das sei struktureller Rassismus.

Sven Clement (Piratenpartei) freute sich, dass vor allem junge Menschen sich gegen Rassismus und Diskriminierung einsetzen. „Wir haben Probleme mit Alltagsrassismus“, sagte er. Das dürfe nicht als individuelle Haltung abgetan werden, denn das führe zu strukturellem Rassismus. Clement sprach am Mittwoch als erster Abgeordneter die Rolle Luxemburgs im belgischen Kolonialismus an. Diese sei noch nicht ausreichend erforscht. Luxemburg sollte sich seiner Vergangenheit stellen und sich gegebenenfalls entschuldigen.

Nicht alles richtig gemacht

Luxemburg sei wohl ein multikulturelles Land, betonte auch Max Hahn (DP). Dennoch gebe es Rassismus. Er ging auf Maßnahmen der Regierung ein, die in den vergangenen Jahren ergriffen wurden. Mit der Einführung des Fachs „Vie et société“ in der Schule wurde Raum geschaffen, um diesen Fragen Raum zu geben. Hahn zufolge sollte das „Centre pour l’égalité de traitement“ (CET) gestärkt und seine Kompetenzen ausgebaut werden. Dazu reichte er im Namen der drei Regierungsparteien eine Resolution ein. Eine weitere Motion der drei Parteien regte die Erstellung einer Studie über Rassismus in Luxemburg an. Deren Ergebnisse würden dann im Parlament diskutiert werden.

Die Notwendigkeit einer Rassismus-Debatte im Parlament sollte auch der LSAP-Abgeordnete Yves Cruchten hervorheben. Luxemburg meistere die Herausforderungen der Immigration wohl besser als einzelne Nachbarländer, aber könne nicht behaupten, alles richtig gemacht zu haben. Allzu oft lebe man nebeneinander und nicht miteinander.

Rassismus sei in allen Gesellschaften zu finden, so Cruchten weiter. Es bestehe wohl eine psychologische Tendenz, sich von anderen abgrenzen zu wollen. Problematisch werde es, wenn andere Menschen als minderwertig eingestuft werden. Es gebe in Luxemburg noch immer Privilegien und Diskrimination. Je dunkler die Hautfarbe, umso schwieriger sei es auf dem Wohnungsmarkt, führte er als Beispiel an. Die Probleme müssten als solche erkannt werden, nur so könne man sie angehen. Nicht alle seien Rassisten, man sei aber noch weit entfernt von einer egalitären Gesellschaft. Die Diskussion dürfe nicht abgewürgt werden. Den Betroffenen müsse zugehört werden. Cruchten gab jedoch gleich einen praktischen Ratschlag. Beim Bäcker etwa sollte man es unterlassen, von „Mourekapp“ oder „Negerkuss“ zu reden. Man sollte auf den eigenen Sprachgebrauch achten.

Auch Charles Margue („déi gréng“) wies auf die Probleme des Nebeneinanderlebens in der Luxemburger Gesellschaft hin. Kommunitarismus sei eine Realität. Sich in seiner Gemeinschaft aufzuhalten, sei legitim, sich abzugrenzen, entspreche jedoch nicht dem Ideal des Miteinander. Es sei schwer nachvollziehbar, wie umfangreich die Problematik Rassismus in Luxemburg sei. Benötigt werde objektives Zahlenmaterial, das regelmäßig aktualisiert werde. Um Diskriminierungen am Arbeitsplatz zu verringern, regte er Unternehmen an, bei Bewerbungen auf Fotos und Namen der Bewerber zu verzichten.

Kein struktureller Rassismus

Einen etwas anderen Ton sollte der ADR-Abgeordnete Fernand Kartheiser in der Debatte anschlagen. Luxemburg habe keinen strukturellen Rassismus. Die Gesellschaft sei nicht rassistisch. Gegen Fälle von Rassismus müsse jedoch vorgegangen werden. So sei es nicht annehmbar, wenn ein Schüler wegen seiner Hautfarbe nicht in die gewünschte Schule orientiert werde. Man dürfe Hausbesitzern jedoch nicht vorschreiben, wen sie als Mieter nehmen sollten. Wo bleibe das Recht des Eigentümers? Auch Unternehmern sollte das Recht erhalten bleiben, ihren Wunschkandidaten einzustellen. Im Zuge der Bekämpfung des Rassismus dürften Grundprinzipien der Luxemburger Gesellschaft nicht infrage gestellt werden. Dem Sprecher der Piratenpartei warf Kartheiser vor, die sozialen Medien zensieren zu wollen. Bereits heute seien viele Menschen der Ansicht, sie dürften nicht mehr sagen, was sie denken. Der ADR-Abgeordnete sah da einen Schritt in Richtung Totalitarismus. Den Grünen warf er vor, E-Mobilität auf Kosten der Kinder im Kongo, die in den Kobalt-Minen arbeiten, zu fördern. Dem liberalen Unterrichtsminister hielt er vor, Antisemitismus zu tolerieren, weil das „Comité pour une paix juste au Proche-Orient“ vor Schulklassen auftreten dürfe.

Als Weißer sei es nicht so einfach, über Rassismus zu reden, weil man nie Opfer von Rassismus war, gab David Wagner („déi Lénk“) zu bedenken. Er ging auf die rezenten Ereignisse um die Zerstörung oder Entfernung von Standbildern in den USA und Belgien ein. Es gehe nicht um die Zerstörung der Vergangenheit, sondern um eine andere Interpretation der Geschichte. Auch Luxemburg hatte eine Vergangenheit im Kongo. Man müsse sich mit den Folgen auseinandersetzen. Er warf unter anderem die Frage nach Reparationen auf.

„Diskriminierung ist kein Kavaliersdelikt“

Kartheisers Vorwürfe sollten am Ende der Debatte zu vehementen Reaktionen vonseiten der Piratenpartei, der Familienministerin und DP-Präsidentin Corinne Cahen sowie Justizministerin Sam Tanson („déi gréng“) führen. Kartheiser rede „Brach“, so Clement. Er lüge, um politisch zu punkten. Zu keinem Zeitpunkt habe er (Clement) gefordert, in den sozialen Medien Kommentare zu löschen. Vielmehr sollte man die Debatte nicht scheuen. Es sei falsch zu behaupten, dass man im Internet alles schreiben könne. „Diskriminierung ist kein Kavaliersdelikt und wird vom Gesetz bestraft“, so Familienministerin Corinne Cahen. Wichtig sei, dass über Diskriminierung geredet werde und die Täter bestraft würden. 2019 habe sich die Polizei mit 50 Fällen von Hate Speech befasst, im Vorjahr mit 20. Justizministerin Sam Tanson zählte Kartheiser alle Artikel und Paragrafen des Strafgesetzbuches auf, die Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe, der Religion oder der sexuellen Orientierung verfolgen. Das Internet sei kein rechtsfreier Raum. Wenn ein Hauseigentümer einer Person die Wohnung wegen ihrer Hautfarbe nicht vermiete, sei das eine Straftat.

Einstimmig verabschiedete das Parlament die Motion zur Erstellung einer Studie zum Rassismus-Problem in Luxemburg. Eine Resolution, dem CET mehr Befugnisse einzuräumen, lehnte lediglich die ADR ab.

Mensch
2. Juli 2020 - 11.28

Es muss in der Zivilgesellschaft eine öffentliche internet Plattform geschaffen werden auf der jeder der Opfer von Ungerechtigkeit wurde, egal welcher Art, ohne Hürde und ohne Zensur seine Erfahrung schildern kann und was sehr wichtig ist Namen von Tätern (Privatpersonen, Firmen, Ämter, ...) preisgeben kann ohne diverses Datenschutzgefasel berücksichtigen zu müssen. Vielleicht würden sich Täter somit zweimal überlegen ob sie jemanden diskriminieren wollen oder nicht.