Europa LeagueDie UT Petingen will in Gibraltar Geschichte schreiben

Die Ungewissheit hatte am Sonntagabend ein Ende. Nach tagelangem Hin und Her kannte die Union Titus Petingen ihren Gegner und musste innerhalb eines Tages einen Charterflug und ein Hotel organisieren. Am Montagabend ging es zum vorgeschriebenen Covid-Test – es war der elfte Test seit Trainingsstart – und gestern wurde die Reise nach Gibraltar in Angriff genommen.

Verantwortlich für das Wirrwarr war die Vorqualifikationspartie zwischen den Lincoln Red Imps und dem FC Prishtina, die zur unendlichen Geschichte wurde. Der erste Versuch scheiterte, da acht Spieler der kosovarischen Mannschaft positiv auf das Coronavirus getestet wurden. Die Mannschaft wurde heimgeschickt und durch eine Truppe ersetzt, die aus Leihspielern aus der kosovarischen Meisterschaft zusammengesetzt wurde. Aber auch der zweite Versuch, die Partie auszutragen, scheiterte am vergangenen Samstag. Der FK Prishtina trat nicht an. Die Lincoln Red Imps teilten mit, dass die Partie von der UEFA abgesagt worden sei. Prishtina widersprach dieser Darstellung und teilte mit, dass die Behörden aus Gibraltar für die Absage verantwortlich seien. Am Sonntag teilte die Kontroll-, Ethik und Disziplinarkommission der UEFA dann mit, dass die Partie mit 3:0 für die Mannschaft aus Gibraltar gewertet worden sei.

Petingens Trainerteam fuhr bis dahin zweigleisig. „Wir haben uns Spiele der beiden möglichen Gegner besorgt und analysiert“, sagt Ismaël Bouzid. Der ehemalige Innenverteidiger (u.a. Galatasaray Istanbul, 1. FC Kaiserslautern und Niederkorn) steht seit rund zwei Wochen bei der UTP in der Verantwortung. Nach dem Rücktritt von Cyril Serredszum ist der 37-Jährige nun der Mann, der die Entscheidungen trifft. Sein Debüt am Wochenenede gelang. Petingen überzeugte vor allem in der ersen Hälfte und besiegte zum Saisonauftakt in der BGL Ligue die UNA Strassen mit 2:0.

Bei der Einschätzung des heutigen Gegners hat ihm jedoch ein weiterer Neuzugang geholfen. Vincent Pédaugé ist erst 24 Jahre alt und seit dieser Saison Videoanalyst der Petinger. Vorher war er freiberuflich für Klubs in Malta, Kanada und der US-amerikanischen MLS aktiv. „Lincoln mag den Ballbesitz und versucht, das Spielgerät so lange wie möglich zu halten“, sagt Pédaugé. Das Videomaterial, das den Petingern zur Verfügung stand, stammt aus dem vergangenen März. „Wir haben jedoch Überschneidungen bei den Aufstellungen der vergangenen Saison im Vergleich mit dem Spielbogen vor der Partie gegen den FK Prishtina gefunden. Das ist besser als nichts. Am Donnerstag (heute) werden wir sehen, was diese Analyse wert ist. Wir gehen davon aus, dass wir auf eine typische Mittelmeer-Mannschaft treffen, die technisch versiert ist. Wenn sie den Ball verlieren, geraten sie jedoch oft in Schwierigkeiten“, ergänzt Bouzid.  

Die Lincoln Red Imps sind so etwas wie eine Mischung aus der Jeunesse Esch und dem F91 Düdelingen. Sie sind Rekordmeister und die dominierende Mannschaft in Gibraltar. Vergangenes Jahr reichte es jedoch nicht zum 24. Meistertitel. Die „roten Kobolde“ schlossen die abgebrochene Saison auf dem dritten Platz ab. In der Eurobet Division wird der Petinger Gegner nur dann gefordert, wenn es gegen die beiden anderen Spitzenmannschaften College Europa und St. Joseph’s FC geht. Vergangene Saison standen für Lincoln im Schnitt vier Tore zu Buche und es gab auch Partien, die 15:0 oder 8:1 gewonnen wurden.

Für Aufsehen sorgten die Red Imps, als sie im Sommer 2016 Celtic Glasgow im Hinspiel mit 1:0 besiegten (Rückspiel: 0:3). In den Jahren danach schied die Mannschaft immer in der ersten Runde gegen Teams aus Armenien, Kosovo und Wales aus. Trotzdem wäre es fahrlässig von den Petingern, diese Mannschaft zu unterschätzen. Die acht Nationalspieler Gibraltars sind es gewohnt, auf internationalem Niveau die Schotten dichtzumachen, auf die Null zu hoffen und mit einem schnellen Konterangriff eine Partie zu entscheiden. 

In diesem Sommer wurde mit Scott Wiseman ein Rechtsverteidiger verpflichtet, der für Hull City und Barnsley FC 113 Spiele in der englischen Championship bestritt und zuletzt beim Viertligisten Salford City unter Vertrag stand. Aus Neuseeland wurde der ehemalige US-amerikanische Jugendnationalspieler Ahinga Selemani verpflichtet, der zusammen mit Sunday Emmanuel den Angriff bildet. Der Nigerianer wurde im vergangenen Winter geholt. Bei seinem einzigen Einsatz für Lincoln erzielte er im Pokal gleich sieben Tore.

Trotz dieser Zahlen geht Petingen als Favorit in diese Partie. „Der Mannschaft geht es gut nach dem gelungenen Meisterschaftsauftakt. Wir werden versuchen, unseren Weg weiterzugehen. Für uns ist es wichtig, die Müdigkeit zu überwinden und gut erholt in die Partie zu gehen. Es ist eine Europa-League-Partie. Das kommt nicht jeden Tag vor und wird viele Kräfte freisetzen. Wir müssen den Druck ablegen und das Spiel genießen“, sagte Trainer Bouzid gestern in den Morgenstunden vor dem Start in Richtung Südspitze Europas.

Mit dabei war neben dem 22-Mann-Kader und dem Betreuerstab auch Artur Abreu. Der beste Petinger Offensivspieler der vergangenen Jahren laboriert noch an einer Knieverletzung und wird frühstens im Spätherbst wieder für seinen Verein auflaufen. Bouzid muss auch auf Stoßstürmer Eddire Mokrani verzichten. Der Ausfall der beiden neuen Verteidiger Sonhy Sefil und Hugo Mesbah spielt eher eine untergeordnete Rolle, da beide noch kein offizielles Spiel für den Fusionsverein bestritten haben.

Obwohl gemeinsame internationale Auftritte und Ausflüge für die Petinger noch Seltenheitswert haben, bleibt keine Zeit, den Affenfelsen und die Aussicht in Gibraltar zu genießen. Die Mannschaft bleibt bis zum Spiel eingepfercht im Hotel an der spanischen Grenze. Ismaël Bouzid findet das schade, hat aber auch ein Argument parat, um diese kleine Enttäuschung zu überwinden. „Es ist schade, dass wir uns nicht frei bewegen können, denn etwas Kultur bereichert jeden Menschen. Auf der anderen Seite sind wir nicht als Touristen angereist, sondern mit einer klaren Mission. Und wenn wir es schaffen, uns für die nächste Runde zu qualifizieren, wird es den meisten wohl relativ egal sein, ob sie etwas vom Land mitbekommen haben.“