Interview / „Die Linien zwischen Mainstream und rechtem Rand verschwimmen“

Nicht wegschauen. Das sagt auch Léonie de Jonge: Politik und Medien müssen die Entwicklung von Parteien am rechten Rand genau beobachten.
Überall in Europa erstarken gerade Parteien vom rechten Rand des politischen Spektrums. Ist Luxemburg immun gegen diese Entwicklung? Nein, sagt Léonie de Jonge, Expertin für Rechtspopulismus und Rechtsextremismus in den Benelux-Ländern. Im Interview spricht die Politikwissenschaftlerin über die Internationalisierung von Nationalisten, Populismus in Luxemburg und den Weg der ADR.
Tageblatt: Frau de Jonge, in Ihrer Doktorarbeit über rechtspopulistische Parteien in den Benelux-Ländern haben Sie die ADR 2019 als „softe Version“ von Rechtspopulismus bezeichnet. In jüngsten Interviews mit Ihnen klingt es jedoch, als ob Sie Ihre Meinung mittlerweile geändert hätten.
Léonie de Jonge: Es ist weniger meine Meinung, die sich geändert hat, sondern die Partei. Parteien sind immer in Bewegung. Und ich habe das Buch auch mit der Aussage beendet, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass die ADR, wenn Gast Gibéryen in Rente geht, ihren Weg nach rechts weitergehen wird. Das sehen wir jetzt. Die „Softness“ ist ein bisschen verschwunden. Aber auch die populistischen Elemente. Die ADR nimmt mehr und mehr Standpunkte und Themen von Parteien am rechten Rand an. Diese Obsession mit Wokeness und Genderthemen, das wird jetzt auch von der ADR aufgegriffen. Das alles fügt sich zusammen zur größeren Entwicklung einer Partei, die sich immer weiter nach rechts bewegt.
Haben Sie eine Erklärung für diese Entwicklung?

Ein wichtiger Grund ist das Personal, das sich verändert hat. Die moderateren Leute verlassen die Partei oder gehen in Rente. Das ist in der Tat etwas, das sehr häufig bei Parteien des rechten Randes passiert. Lassen Sie uns für einen Moment akzeptieren, dass die ADR eine Partei rechtsaußen ist, in dem Sinne, als dass sie am rechten Rand unseres politischen Spektrums operiert. Man sieht interne Kämpfe, moderatere Flügel der Partei brechen weg und die radikaleren setzen sich durch. Im Fall der ADR spielte auch der Zusammenschluss mit der Bewegung „Wee2050“ eine Rolle. Der dritte Faktor ist die internationale Entwicklung: Die Normalisierung von äußerst rechten Ideen.
Seit Ihrer Doktorarbeit ist das rechte Parteienspektrum in Luxemburg größer geworden. Neben der ADR gibt es „Déi Konservativ“ und „Liberté-Fräiheet“.
Es gibt Wettbewerb im rechten Spektrum, aber in Luxemburg gibt es nicht genug Platz. In den Niederlanden haben wir vier rechtsradikale Parteien im Parlament. Wir sehen Wettbewerb innerhalb derselben Parteienfamilie. Zwischen moderateren und radikaleren Kräften. Das ist an sich nicht erstaunlich. Politikwissenschaftler sind fürchterlich schlecht darin, Vorhersagen zu treffen. Aber ich bin recht zuversichtlich, wenn ich sage, dass wir in naher Zukunft keine drei Parteien vom rechten Rand im luxemburgischen Parlament haben werden.
Zur Person
Dr. Léonie de Jonge ist Politikwissenschaftlerin und Expertin für Rechtspopulismus und Rechtsextremismus in Westeuropa. Sie lehrt als „Assistant Professor in European Politics & Society“ an der Universität Groningen in den Niederlanden. 2021 veröffentlichte sie das Buch „The Success and Failure of Right-Wing Populist Parties in the Benelux Countries“, das auf ihrer Doktorarbeit basiert.
Sie meinten eben, die ADR habe ihr populistisches Element verloren. Wie sieht es mit den anderen Parteien aus? Chefredakteur Chris Schleimer warf in dieser Zeitung den Piraten kürzlich Populismus vor, weil sie mit Slogans wie „géint Korruption“ und „CFL net privatiséiren“ Wahlkampf machen würden. Dabei ist niemand für diese Dinge.
Ist das wirklich populistisch? Tuen Sie mir den Gefallen und suchen sie mal den „schmopulism filter“. Und dann sagen Sie mir, ob Sie das immer noch populistisch finden. Populismus ist einer der meist- und falschbenutzen Begriffe in der Geschichte. Von den Medien, aber auch von Politikwissenschaftlern. Damit etwas populistisch ist, braucht man drei Elemente: Menschenzentrismus, Opposition zu den Eliten, und drittens: Man spricht im Namen des Volkes, als gebe es das Volk. Als hätte man das Monopol der Repräsentation: Ich, das Volk. Diese drei Elemente sind hier nicht sehr präsent.
Die luxemburgische Politik ist also nicht populistischer geworden?
Vielleicht werden die politischen Debatten ein bisschen harscher geführt. Man sieht, dass sich Dinge ändern, sicher. Aber ich würde nicht sagen, dass die Politik in Luxemburg im Allgemeinen populistischer geworden ist. Das ist eine falsche Annahme.
Zurück zur ADR. Die Partei hat in den vergangenen Jahren ihren Fokus verschoben.
Was in diesem Kontext sehr wichtig ist: Parteien haben oft eine sogenannte Bühnen-Performance (frontstage performance) und Backstage-Politik (backstage politics). Auf der Bühne will die ADR dieses Bild erhalten, glaubwürdige, moderate Kandidaten zu sein. Aber Backstage gab es immer wieder Themen mit Mitgliedern von Graswurzelbewegungen am rechten Rand, Kontakte mit Rechtsextremen. Auch diese internationalen Verbindungen, Parteimitglieder, die internationale Konferenzen besuchen, sich mit Leuten treffen, die ganz klar rechtsaußen im politischen Spektrum stehen. All dies zusammen legt nahe, dass die Partei eine Veränderung durchläuft.
Es liegt eine Diskrepanz darin, wie die ADR sich auf nationaler Ebene gibt und wie sie international auftritt. Man sah das kürzlich beim Civitas-Fall.
Es gibt immer mehr Untersuchungen über diese Internationalisierung des rechten Randes. Wir dachten früher, dass Parteien rechtsaußen zuallererst nationalistisch sind und deshalb nach innen schauen. Deshalb ist es ironisch, dass sie auch auf einer internationalen Bühne agieren. Aber wir sehen immer mehr von diesen Verbindungen. Kürzlich ist ein Buch erschienen über internationalen Populismus. Die Autoren Duncan McDonnell und Annika Werner argumentieren, dass Parteien das aus verschiedenen strategischen Gründen machen. Sie suchen nach Bestätigung, sie suchen aber auch den Austausch: Was in einem Land gut funktioniert, könnte auch in einem anderen Land gut funktionieren. Sie machen das oft auch, weil sie in ihren Heimatländern Parias sind, Ausgestoßene. Sie suchen anderswo nach Anerkennung und Bestätigung. Aber dann gibt es auch diese Idee, dass sie tatsächlich ideologische Gemeinsamkeiten haben. Sie teilen eine Weltsicht, wenn es zum Beispiel um Minderheiten geht, um Globalisierung. Die ADR ist da kein isolierter Fall.
Wie sehen Sie die Gründung der Sektion ADR International in diesem Kontext? Dabei geht es den Worten von Präsident Becker zufolge auch darum, Ideen und Einflüsse von außerhalb nach Luxemburg zu tragen.
Dabei geht es nicht nur darum. Die meisten Parteien haben internationale Zweige. Luxemburg ist keine Insel. In den Niederlanden haben alle Parteien internationale Büros, wo man Kontakte pflegt. Was jedoch interessant ist: Fernand Kartheiser und ADRenalin, die Jugendorganisation der ADR, haben die ADR-Mitgliedschaft in der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR, Anm. d. Red.: AfD und Rassemblement national sind Teil der Fraktion Identität und Demokratie) im Europäischen Parlament immer als Beweis dafür angeführt, dass sie moderat sind.
Die Fraktion von Giorgia Melonis postfaschistischen Fratelli d’Italia und der polnischen PiS.
Dieses Argument funktioniert heute also nicht mehr so gut. International sehen wir gerade zwei Dinge. Erstens: Die Linien zwischen der radikalen und der extremen Rechten verschwimmen. Deshalb fordern Wissenschaftler dazu auf, den Begriff „rechtsaußen“ (s. Infobox) zu verwenden, weil diese Unterscheidung weniger wichtig wird. Und zweitens: Auch die Linien zwischen dem Mainstream und dem rechten Rand verschwimmen. Das passiert international. Die Normalisierung von äußerst rechten Positionen. Auch in Luxemburg.
Zur Terminologie
Die Begriffe „rechtsaußen“, „äußerst rechts“ und „am rechten Rand“ in diesem Text sind Versuche einer bestmöglichen Annäherung im Deutschen an den englischsprachigen wissenschaftlichen Überbegriff „far right“, der sowohl die radikale als auch die extreme Rechte umfasst.
In Deutschland hat gerade die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung ihre regelmäßige Mitte-Studie veröffentlicht. Eines der Ergebnisse: Acht Prozent der Befragten zeigen ein sogenanntes geschlossen rechtsextremes Weltbild. Eine Verdreifachung gegenüber den Ergebnissen der vergangenen Jahre. Ist das die Normalisierung, von der Sie sprechen?
Wir wissen, dass es in jeder Gesellschaft zu jeder Zeit ein Potenzial von etwa zehn Prozent der Bevölkerung gibt, die diese Weltsicht haben. Aber weil diese Haltung tabu war, haben Menschen sie nicht so offen in einer Umfrage geteilt. Ich glaube also nicht, dass es einen Anstieg gibt. Es ist akzeptabler geworden, diese Weltsicht zu haben. Das ist absolut schockierend, ich will das nicht herunterspielen. Was wir sehen, ist eine Normalisierung des rechten Randes. Die Leute sind deshalb mehr willens, ihre Sympathien zu äußern.
Gilt das auch für Luxemburg?
Wir sind in Luxemburg definitiv nicht immun. Wir müssen unterscheiden zwischen dem rechten Rand im Parlament und den äußerst rechten Positionen auf der Straße. Da gibt es eine Diskrepanz. Wir wissen, dass der rechte Rand in Luxemburg bei Wahlen nicht so erfolgreich ist. Das hat verschiedene Gründe. Die Nachfrage, so nenne ich das in meiner Arbeit, ist hier sehr gering, weil die sozioökonomischen Umstände gut sind. Aber wir sind nicht immun. Es ist nicht so, dass die Leute hier irgendwie anders wären, weltoffener. Das ist etwas, das ich nicht genug betonen kann.
Es gibt ein riesiges Missverständnis darüber, was ein medialer „cordon sanitaire“ istPolitikwissenschaftlerin
Für die Normalisierung rechter Positionen werden oft auch die Medien kritisiert, weil sie über sie berichten. Die Zeitschrift Forum forderte kürzlich einen medialen „cordon sanitaire“ gegenüber der ADR.
Es gibt ein riesiges Missverständnis darüber, was ein medialer „cordon sanitaire“ ist. Es geht nicht darum, jemanden zum Schweigen zu bringen und auch nicht darum, dass man aufhört zu berichten. Man muss sich nur das Fallbeispiel Wallonie anschauen, direkt hinter der luxemburgischen Grenze. Es gibt dort einen sehr rigiden politischen und medialen „cordon sanitaire“ gegenüber dem rechten Rand. Und der ist sehr effektiv. Der Zweck eines „cordon“ ist nicht, zu ignorieren, sondern zu isolieren. „Abgrenzung“ oder „Brandmauer“ im Deutschen. Man entscheidet sich, keine Plattform zu geben.
Wie kann das aussehen?
Das ist etwas, was meiner Meinung nach jede Zeitung diskutieren muss, immer wieder aufs Neue. Eine Erkenntnis aus meiner Forschung: Es ist wichtig, dass Medien diese Diskussion führen, bevor eine Partei vom rechten Rand an die Macht kommt oder beliebt wird. In Luxemburg ist das ein bisschen schwierig. Weil wir eine Partei haben, die bereits im Parlament etabliert ist, aber die sich mit der Zeit verändert. Das ist auch der Fall bei der AfD in Deutschland. Ich nenne das ein trojanisches Pferd. Die AfD hat als euroskeptische Partei angefangen und sich mit der Zeit nach rechts bewegt. Das ist schwierig, weil man ein Ziel in Bewegung hat. Deshalb ist es so wichtig, dass Medien und Politik immer wieder reevaluieren: Welches Tier schauen wir da jetzt an? Wie verändert sich diese Partei? Wo ziehen wir eine Linie? Wenn man diese Entscheidungen nicht im Voraus trifft, erlaubt man Parteien von Rechtsaußen diese Linie immer weiter zu verschieben. Das ist die Normalisierung des rechten Randes.
Inwieweit hat die Demokratie Zähne und kann sich gegen innere Feinde wehren?Politikwissenschaftlerin
Spielt es überhaupt noch eine Rolle, wie sich Journalisten entscheiden? Rechte Politiker haben doch längst eigene Kanäle?
Es ist so lustig. Jeder Journalist fragt mich das. Und ich erkläre ihnen dann immer, wie wichtig ihr Job ist. Ich glaube wirklich, dass es noch eine Rolle für Mainstream-Medien gibt. Wenn es eine Sache gibt, die Social Media nicht tun können, dann ist es: legitimieren. Das können nur Mainstream-Medien. Man kann das deutlich in der Wallonie sehen, aber auch in den USA. Es war nicht Twitter, das Trump groß gemacht hat. Es waren CNN und Fox News, die seine Tweets aufgegriffen haben. Es gibt also noch eine Torwächterfunktion der Medien. Eine andere Diskussion ist: In welchem Maße sollten Medien diese Rolle als Wachhund ausfüllen? In Flandern und in den Niederlanden habe ich mit Journalisten gesprochen, die sagen: Das ist schlechter Journalismus. Als Journalisten müssen wir allen eine Stimme geben, die Leser entscheiden. In der Wallonie sagen sie: Wir sind Wachhunde der Demokratie. Es ist unsere Aufgabe zu bellen und wenn nötig auch zu beißen. Am Ende geht es um das Thema wehrhafte Demokratie. Inwieweit hat die Demokratie Zähne und kann sich gegen innere Feinde wehren? Das nennen wir das demokratische Paradox. Es gibt keine einfache Antwort auf die Frage: Wie viel Intoleranz kann eine liberale Demokratie tolerieren?
Kann kritische Berichterstattung dabei wirklich helfen? Es heißt ja: „There is no such thing as bad publicity“.
Stimmt. Populisten sind sehr geschickt im Umgang mit Medien. Sie profitieren von Berichterstattung. Wenn man Politikern vom rechten Rand keine Plattform mehr bietet, können zwei Dinge passieren. Entweder attackieren sie Journalisten und verklagen sie, was die ADR in Luxemburg gerade mit RTL macht. Oder sie inszenieren sich als Underdog, als Opfer. Es gibt also unterschiedliche Ergebnisse für diese konfrontative Strategie. Aber das gilt für jede Strategie. Es gibt keine magische Formel. Aber aus der Forschung wissen wir, dass eine Kombination aus Strategien wirken kann.
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Kümmert euch um die Zufriedenheit der Leute, dann seid ihr eure rechten Feinde los. „Weniger ist mehr“ „Ihr seid alle verwöhnt“ „Im Vergleich zu XX geht es uns sehr gut.“ „Wir müssen mehr arbeiten.“ „Wir brauchen Fachkräfte aus dem Ausland.“ „Wir sind alle frei.“ Floskeln schüren nur Frust. Jahrelang versucht ihr jetzt schon mit der Peitsche die Leute auf Linie zu halten.. Mit Corona habt ihr versucht einigen Leuten die Arbeit wegzunehmen, die keine Tests machen. Proteste auflösen. Jetzt führt ihr Kompetenztests ein, nicht nur Intelligenz, sondern auch Sozialkompetenz, Profiling, obligatorische Freundschaft. Ihr macht aus Freiheit ein System mit immer mehr Bedingungen. Ihr gebt Chefs immer mehr Macht. Es gibt nur negative Nachrichten, ich hätte sie in den letzten 20 Jahren aufschreiben sollen. Ihr seid alle verrückt. Und ihr wundert euch?
In einer parlamentarischen Demokratie hat die gewählte Regierung schon das Recht einige Entscheidungen, die nicht populär sind, aber der Gemeinschaft nützen, zu treffen. Wenn daraus aber ein permanentes Gängeln, Belehren, Reglementieren, Vorschreiben, Besteuern, Verbieten und dazu allgemein als überflüssig betrachtetes Ideologiezeugs wie z.B.das Gendern und die gebetsmühlenartig in fast allen Medien hirnerweichend wiederholt vorgetragenen, besseren vegetarischen Lebensweisen werden, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn ein gewisser Teil der Bevölkerung einfach starrköpfig und aufsässig wird. Verschlimmern tut solches Belehren und Gängeln noch die Tatsache, dass die Belehrer Wasser predigen und öffentlich Wein saufen. Viele Leute wählen dann ADR, AFD, RN oder solche Rechtspopulisten. Die Schuld an dieser Katastrophe haben ganz einfach die Parteien, die die Bevölkerung zu stark und zu schnell umerziehen wollen. Charakteristisch für die komplette Dämlichkeit solcher Parteien ist auch das Bemühen, aus erzkatholischen oder islamischen Ländern eingewanderten Leuten, die auf gar keinen Fall solche „progressiven“ Parteien wählen werden, das Wahlrecht zu verschaffen. Genau diese werden sie dann abwählen. Sie schaffen sich selbst ab, und jammern und wimmern dann, dass die Rechtsextremisten Aufwind haben. Ein Gehirn ist viel nützlicher als Zähne. Naja, „géint d’Dommheet gett et kee Mettel“ sagte mein Großvater immer. Der Mann hatte recht.