Ukraine-KriegDie Geheimnisse der Schlangeninsel – das kleine Eiland im Schwarzen Meer ist hart umkämpft – auf mehreren Fronten

Ukraine-Krieg / Die Geheimnisse der Schlangeninsel – das kleine Eiland im Schwarzen Meer ist hart umkämpft – auf mehreren Fronten
Von Russland besetzt, aber weiter umkämpft: Satellitenbilder zeigen zerstörte Gebäude auf der Schlangeninsel  Foto: AFP/Satellite image ©2022 Maxar Technologies

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Sie hat einen Durchmesser von nur 600 Metern. Trotzdem wird seit Kriegsbeginn in der Ukraine im Schwarzen Meer um die Schlangeninsel gekämpft. Zuletzt immer heftiger. Warum ist die Insel so wichtig? 

„Russisches Kriegsschiff, fick dich!“ – Die Tonaufnahme des ukrainischen Soldaten Roman Hrybow ist eingegangen in die Reihe der Geschichten, die der Krieg in der Ukraine erzählt. Entgegengeschleudert wurden die Worte dem Kommandanten des russischen Lenkwaffenkreuzers „Moskwa“, der die Ukrainer auf der Schlangeninsel zur Kapitulation aufgefordert hatte. Auf den Spruch hin eröffneten die Russen vom Meer aus das Feuer auf die wenigen ukrainischen Soldaten, die sich auf dem kleinen Eiland befanden. Russlands Krieg gegen die Ukraine hatte da gerade erst begonnen. Die Schlangeninsel gehörte zu den ersten Schauplätzen.

Die Antwort der Ukrainer an das Flaggschiff der Russen im Schwarzen Meer fand ihren Weg auf eine Erinnerungsbriefmarke. Diese zeigt einen ukrainischen Soldaten auf der Insel, wie er der „Moskwa“ den Mittelfinger emporreckt. In der Ukraine standen die Menschen dann Schlange vor den Postämtern, um sich mit der Marke zu versorgen. Die Insel war zum Symbol für den ukrainischen Widerstand geworden.

Beide Seiten behaupten, die andere Seite habe erhebliche Verluste erlitten

Militärexperte Markus Reisner

Anfangs hieß es, alle 13 ukrainischen Soldaten seien dabei getötet worden. Sie wurden als „Helden der Ukraine“ geehrt. Später stellte sich heraus, dass sie gefangen genommen wurden und nach einem Gefangenenaustausch wieder freikamen. Es sollte nicht das letzte Mal bleiben, dass die Schlangeninsel ihre Geheimnisse nur langsam freigibt. Wenn überhaupt.

Militärstratege Markus Reisner spricht gegenüber dem Tageblatt von „zwei Kriegen“ um die Schlangeninsel, einem Informationskrieg und einem Bodenkrieg. „Beide Seiten behaupten, die andere Seite habe erhebliche Verluste erlitten“, sagt Reisner, der die Forschungs- und Entwicklungsabteilung an der österreichischen Theresianischen Militärakademie leitet. „Die Russen betonen, dass ein ukrainischer Landungsversuch gescheitert sei, und die ukrainische Seite behauptet, sie hätten die Russen in Grund und Boden gebombt.“

Die Meldungen in den Nachrichtenagenturen der vergangenen Tage unterstreichen die undurchsichtige Lage.

„Heute wurden im Morgengrauen bei der Schlangeninsel zwei russische Boote des Typs Raptor vernichtet“, schrieb der ukrainische Oberbefehlshaber Walerij Saluschnyj am 2. Mai bei Facebook. Eingesetzt worden sei dabei eine Kampfdrohne des türkischen Typs Bayraktar. Ein dazu veröffentlichtes Video sollte den erfolgreichen Beschuss zeigen. Zuvor hatten die ukrainischen Streitkräfte nach eigenen Angaben zweimal vor allem die Luftabwehr auf der besetzten Insel mit Raketen angegriffen. Überprüfbar von unabhängiger Seite waren diese Angaben und Aufnahmen genauso wenig wie jene, die eine knappe Woche später durch die Welt gingen.

Die Rauchschwaden neben der Insel sollen von aus der Ukraine abgeschossenen Raketen stammen
Die Rauchschwaden neben der Insel sollen von aus der Ukraine abgeschossenen Raketen stammen Foto: AFP/Satellite image ©2022 Maxar Technologies

Am 8. Mai meldete das russische Militär, die eigene Luftabwehr habe über der Schlangeninsel zwei ukrainische Bomber und einen Hubschrauber abgeschossen. Zuvor hatte die ukrainische Seite ein Video veröffentlicht, das den Abschuss eines russischen Hubschraubers durch eine Bayraktar-Drohne belegen sollte. Auch die Aufnahmen eines tief geflogenen Angriffs durch zwei ukrainische SU24-Kampfbomber auf russische Stellungen auf der Insel wurden veröffentlicht. Kurz war spekuliert worden, ob die Ukrainer die Insel wieder eingenommen hätten. Die ukrainische Seite sagt, der Beschuss der Insel habe nur der Zerstörung russischer Abwehr- und Angriffssysteme gegolten, eine Rückeroberung sei nicht geplant gewesen. Die russische Seite spricht von einem Fiasko der Ukrainer und zählt deren angebliche Verluste auf. Vier Kampfflugzeuge und zehn Hubschrauber der Ukrainer habe man abgeschossen, heißt es in den russischen Lageberichten.

Ohne „Moskwa“ wenig Schutz

Am 11. Mai meldete das britische Verteidigungsministerium unter Berufung auf seine Geheimdienste, dass ukrainische Drohnenangriffe bislang eine Dominanz russischer Truppen im Schwarzen Meer verhindern würden. Russland versuche immer wieder, seine Kräfte auf der strategisch wichtigen Schlangeninsel zu verstärken. Die russischen Versorgungsschiffe hätten seit dem Untergang der „Moskwa“ und dem Rückzug der Marine zur annektierten Halbinsel Krim aber nur wenig Schutz.

Am Donnerstag nun meldeten ukrainischen Streitkräfte die Beschädigung eines russischen Logistik-Kriegsschiffs. Die „Wsewolod Bobrow“ sei in der Nähe der Schlangeninsel getroffen und in Brand gesetzt worden, erklärt ein Sprecher der Streitkräfte für den Militärbezirk Odessa im Internet. Am Freitag veröffentlichte Satellitenbilder des US-Unternehmens Maxar zeigen ein getroffenes russisches Versorgungsschiff der Serna-Klasse. Nach Angaben des Unternehmens befindet sich das beschädigte Landungsschiff unweit der Schlangeninsel nahe der ukrainischen Seegrenze zu Rumänien.

Die nur 0,17 Quadratkilometer messende Schlangeninsel liegt etwa 35 Kilometer von der ukrainischen Küste entfernt in der Nähe der Hafenstadt Odessa. Vor dem Krieg spielte sie vor allem eine Rolle für die maritimen Ansprüche Kiews, da sie die ausschließlichen Wirtschaftszonen von Rumänien und der Ukraine über die 200-Seemeilen-Grenze eingrenzte.

Das Satellitenbild soll das Ausweichmanöver eines russischen Schiffes vor ukrainischem Raketenbeschuss zeigen
Das Satellitenbild soll das Ausweichmanöver eines russischen Schiffes vor ukrainischem Raketenbeschuss zeigen Foto: AFP/Satellite image ©2022 Maxar Technologies

Doch was macht die Schlangeninsel so bedeutsam in diesem Krieg? Militärexperte Reisner nennt die Insel die „Tür“ nach Odessa. Der Hafen Odessas ist der letzte, der den Ukrainern theoretisch außerhalb der Reichweite der russischen Schwarzmeerflotte zur Verfügung stehen würde. „Entweder wird die Schlangeninsel von den Russen kontrolliert und die Tür ist geschlossen oder sie wird von den Ukrainern kontrolliert und die Tür ist offen“, sagt Reisner zum Tageblatt. Im Moment sei sie blockiert. Dies könne sich nur ändern, „wenn die Schlangeninsel in ukrainischer Hand ist und mit Luftabwehr und Langstreckenraketen gegen Schiffe verstärkt“ werde.

Die Ukraine wird so lange wie nötig um die Schlangeninsel kämpfen

Der Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes, Kirilo Budanow

Der Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes, Kirilo Budanow, zählte im ukrainischen Radio auf, warum die Insel so wichtig ist. Sie sei der einzige Ort, von wo aus Russland versuchen könnte, am Fluss Dnister zu landen. Der Dnister markiert einen Teil der Grenze zwischen der Ukraine und der Republik Moldau. Daneben könne, wer die Insel kontrolliert, die Durchfahrt ziviler Schiffe in alle Richtungen zur ukrainischen Küste blockieren. Hinzu komme die strategische Bedeutung, sowohl was die Verteidigung als auch Angriffe auf die russische Schwarzmeerflotte bedeuten. „Die Ukraine wird so lange wie nötig um die Schlangeninsel kämpfen“, sagte Budanow.