Kampf gegen RassismusDer „Ally Book Club“ will 200 Bücher kostenlos zur Verfügung stellen

Kampf gegen Rassismus / Der „Ally Book Club“ will 200 Bücher kostenlos zur Verfügung stellen
Vom Kinderbuch bis zur Biografie: In der Bücherliste des „Ally Book Club“ soll die gesamte Palette an Lektüre zum Thema Rassismus vertreten sein Foto: Laura Tomassini

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Eine Allianz schaffen, die gegen Ungerechtigkeiten ankämpft, das eigene Verhalten reflektiert und sich für Veränderungen einsetzt – das ist das Ziel von Sabrina Castello und Noëlle Gerin. Seit über einem Monat sammeln die Französischlehrerin und die Juristin Geld, um Bücher zu kaufen. Romane, Kinderbücher, Biografien, in denen Charaktere mit dunkler Hautfarbe vorkommen oder in denen über Rassismus aufgeklärt wird.

Das Projekt „Ally Book Club“ ist aus einem Gefühl heraus entstanden: dem Bedürfnis, etwas zu unternehmen. Noch bis Ende August läuft die Spendenaktion auf der Plattform leetchi.com, danach sollen rund 200 Bücher in den öffentlichen „Bicherschief“ des Landes Platz finden und so über Missstände aufklären.

„Eigentlich hat alles hier im Düdelinger Emile-Mayrisch-Park angefangen. Kurz nach dem Mord an George Floyd haben wir uns hier getroffen und geredet. Irgendwann fiel unser Blick auf den kleinen Bücherschrank neben uns und wir haben uns gesagt: ‚Stell dir mal vor, er wäre gefüllt mit antirassistischen Büchern’“, erzählt Sabrina Castello. Die Französischlehrerin ist seit Langem mit Noëlle Gerin, Juristin, befreundet. Feminismus, Gleichberechtigung und Rassismus – das sind alles Themen, mit denen sich die beiden jungen Frauen befassen. Doch im Sommer 2020 hat sich etwas verändert. Castello und Gerin wollen die gesellschaftliche – und eigene – Untätigkeit nicht länger hinnehmen.

Drei Tage später haben sie beiden ein Konzept ausgearbeitet. Sie haben sich mit antirassistischen Vereinigungen aus Luxemburg wie „Finkapé“ und „Lëtz Rise Up“ in Verbindung gesetzt, um deren Meinung einzuholen. Die Idee: eine Liste mit Büchern erstellen, die das Thema Rassismus behandeln oder in denen Personen mit dunkler Hautfarbe vorkommen, und diese dann in den „boîtes à lire“ im gesamten Land verteilen. „Das Ganze hat ein doppeltes Ziel“, erklärt Noëlle Gerin, „einerseits eine antirassistische Bildung oder Erziehung, die sich natürlich primär an weiße Mitmenschen richtet. Andererseits einfach die Repräsentation von Schwarzen in Büchern, denn diese ist zu einem Großteil in unserer Gesellschaft komplett inexistent.“

Unbewusster Rassismus ohne schlechten Willen

Es gehe darum, rassistische Einstellungen und Verhaltensmuster zu verlernen. „Manchmal hat man rassistische Tendenzen, ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein. Es steckt nicht immer schlechter Wille dahinter, sondern oftmals ein Mangel an Aufklärung“, sagt die Juristin. Als Kompliment gemeinte Mikroaggressionen à la „Du bist aber hübsch für eine Schwarze“, die Abwesenheit dunkelhäutiger Protagonisten in Kinderbüchern oder aber der automatische Blick über die Schulter, wenn abends eine Gruppe schwarzer Männer hinter einem spaziert – all jene Dinge mögen auf Außenstehende wie Kleinigkeiten wirken, können Betroffene aber tief treffen und ihren Alltag erschweren. „Für uns als Weiße ist vieles unvorstellbar, deshalb haben wir uns anfangs auch die Frage gestellt, ob wir überhaupt dazu berechtigt sind, ein solches Projekt zu starten“, meint Gerin.

Aus dieser Überlegung heraus fiel die Wahl des Namens der Initiative auf „Ally“, das englische Wort für Verbündete. „Es sind nicht wir, die systemischen Rassismus erleben – wir sind jene, die diesen auslösen. Und eben darin liegt unser erstes Privileg: Wir fühlen uns nicht von der Problematik betroffen. Dabei sind wir keinesfalls neutral, entweder man ist Rassist oder man ist Antirassist, dazwischen gibt es nichts“, sagt Castello. Man müsse eine Komplizität schaffen, um als Weiße den Kampf gegen Diskriminierung Schwarzer aufgrund ihrer Hautfarbe voranzutreiben, ergänzt die 32-Jährige. Das erste und weitaus mächtigste Mittel sei dabei die Bildung, vor allem im Bereich der Literatur. Doch genau hier fehlt es an Inhalt, denn wo andere Problematiken ausführlich im Elternhaus oder Klassenzimmer behandelt werden, herrscht beim Thema Rassismus im Bücherregal oftmals gähnende Leere.

Keine schwarzen Autoren im Schulunterricht

„Wir wollen mit unserer Aktion einen Impuls geben, eine Art Werkzeug, mit der die richtigen Ansätze weitergereicht werden können“, meint Gerin. Sie selbst habe im Lyzeum eine Literatursektion besucht und erinnere sich keinesfalls daran, während ihres schulischen Parcours jemals auf die Werke schwarzer Autoren gestoßen zu sein. „Dabei zeigen Studien, dass Bücher eine enorme Macht auf unser Gehirn auswirken“, betont Castello. „Für Kinder etwa ist die Darstellung von Helden mit anderer Hautfarbe primordial. Bereits in den 60ern wurde bewiesen, dass weiße Kinder, die in einem Umfeld aufwachsen, in dem es keine ethnische Diversität gibt, durch Bücher enorm beeinflusst werden. Eine Geschichte zu lesen, in der der Hauptcharakter schwarz ist, kann die gesamte rassische Grundeinstellung verändern. Deswegen ist das Vorhandensein der richtigen Lektüre auch so wichtig.“

Für das Projekt wurde eine Spendenaktion gestartet. Mindestens 2.000 Euro sollten gesammelt werden, um die Kosten für die mittlerweile über 200 Bücher der „Ally Book Club“-Liste zu decken. Ihr gesetztes Ziel haben Castello und Gerin bereits Anfang August erreicht, doch je mehr Geld zusammenkommt, desto breiter fällt die Palette an unterschiedlicher Lektüre aus. „Wir ergänzen unsere Liste nach und nach und werden diese auch nach Abschluss der Spendenaktion online veröffentlichen. Zu finden werden anschließend Bücher in den Sprachen Deutsch, Französisch und Englisch sein und diese aus allen möglichen Genres“, sagt Castello.

Nach Abschluss der Spendenaktion sollen in möglichst allen Bücherschränken des Landes Werke mit dem „Ally Book Club“-Aufkleber zu finden sein
Nach Abschluss der Spendenaktion sollen in möglichst allen Bücherschränken des Landes Werke mit dem „Ally Book Club“-Aufkleber zu finden sein Foto: Laura Tomassini

Zweite Phase: Events für den „Ally Book Club“

Ob mit Bildern illustrierte Taschenbücher für kleine Leseratten, Aufklärungslektüre oder aber Klassiker von Schriftstellern wie dem „Négritude“-Mitbegründer Aimé Césaire – in den „Bicherschief“ des Landes soll künftig jeder fündig werden, der sich mit dem Thema Rassismus und dem Kampf dagegen befassen will. „Wir fragen Interessierte, in welchen Gemeinden des Landes sie leben, damit wir die Bücher auch dort hinstellen können, wo sie gebraucht werden“, sagt Castello. Jedes Werk wird dabei mit einem „Ally Book Club“-Aufkleber gekennzeichnet und mit einem Infoblatt hinterlegt, das auf die Regeln des Projektes hinweist. „Die Idee ist nicht, dass die Bücher irgendwann bei den Leuten Zuhause im Regal verstauben, sondern dass sie für andere Leser wieder zurückgelegt oder aber an Bekannte weitergereicht werden“, erklärt Gerin.

Um über die reine Bereitstellung von Material hinaus eine Verbindung zu schaffen, enthält das Projekt ebenfalls die Note „Book Club“. „Wir wollen in einer zweiten Phase Lesungen und Veranstaltungen organisieren, bei denen sich die Leute austauschen können. Damit sie eine Anlaufstelle finden, falls sie selber von Rassismus betroffen sind oder einfach Fragen zur Thematik haben“, erklärt die 31-Jährige. Man wolle zuhören, lernen, das eigene Verhalten reflektieren, um so irgendwann Trennungen aufgrund der Hautfarbe verschwinden zu lassen.

„Es ist eine unangenehme Arbeit für uns Weiße, aber sie muss getan werden“, meint Castello bestimmt. Die Zeit, in der man als Nicht-Betroffene einfach die Facebook-App schließt, um sich so vor den Gewalt-geladenen Videos von Zeugen rassistischer Gräueltaten zu schützen, sei vorbei, sagt die 32-Jährige: „Wenn wir uns davon schon überwältigt fühlen, wie muss es denn Menschen gehen, die jeden Tag mit Rassismus konfrontiert werden?“

Das Projekt soll wie ein kleines Saatgut sein, das aus den öffentlichen Bücherschränken hinaus eine Message bis in die Hinterstübchen Luxemburgs trägt, um dort einen antirassistischen Gedanken zu pflanzen. „Die Leute denken immer, dass sie etwas verlieren, wenn sie anderen mehr Rechte zusprechen. Dem ist aber nicht so, denn im Kampf gegen Rassismus kann jeder nur gewinnen“, sagt Castello. Sie und Gerin sind sich einig, dass Diskriminierung nur mit aktivem Engagement entgegengewirkt werden kann: „Antirassismus bedeutet nicht Empathie oder dass man schwarze Mitmenschen toleriert. Es bedeutet Aufklärung und Umdenken, jeden Tag, und genau dafür sind Bücher der richtige Startpunkt.“

Zur Spendenaktion

https://www.leetchi.com/c/allybookclub

Tarzan
24. August 2020 - 21.58

[gelöscht] -------- Bitte argumentieren Sie sachlich. "Borderline" ist übrigens kein "Problem", sondern eine Persönlichkeitsstörung. - Ihre Redaktion