Autozulieferer Das Unternehmen Webasto setzt auf Hightech-Glas aus Grevenmacher

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Stimmungswechsel am Autoglasdach Foto: Webasto Group

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Nach wie vor ist der Finanzplatz der dominierende Sektor der luxemburgischen Wirtschaft. Doch seit jeher tummeln sich in den Industriezonen vieler Gemeinden etliche Global Player mit einem enormen Innovationspotenzial – wie etwa in Potaschberg.

Wie die Kulisse eines Theaters verändert sich der Himmel über mir. Zuerst ist er sonnenbeschienen mit einigen Wolken, dann verwandelt er sich in einen Nachthimmel. Einmal ist er in einem diffusen Licht, ein anderes Mal lassen sich die Farben verändern. Wer erwartet das schon vom Dach seines Autos. Längst wollen immer mehr Menschen nicht einfach nur mit dem Auto fahren, sondern wünschen sich den größtmöglichen Komfort. Was mir Axel Berning, Managing-Direktor, vorher in der Theorie erklärt hat, kann ich jetzt an einem Simulationsmodell sehen. Der Umsatz bei Glasdächern würde deutlich steigen, sagte er und fasst es in der Formel „Glas statt Blech“ zusammen.

Besondere Lichteffekte, Verschattung auf Knopfdruck und integrierte Solarzellen in Autodächern – was bisher nach Schnickschnack für teure Edelmarken klingt, soll einmal die Zukunft des Elektroautofahrens bilden. Dafür hat Webasto, einer der weltweit hundert größten Autozulieferer aus Stockdorf bei München, vor einem Jahr die auf Autofenster spezialisierte Fabrik der Firma Carlex übernommen. Dort werden seit mehr als 30 Jahren Glasprodukte für Fahrzeuge hergestellt. Webasto plant, den Standort zu einem Kompetenzzentrum für das sogenannte Automotive Glazing auszubauen. „Hightech-Glas ist unser großes Thema“, sagt Webasto-Pressesprecherin Birgit Felske, die aus München angereist ist, „und hier sitzt die Kompetenz dafür.“

Axel Berning und Birgit Felske
Axel Berning und Birgit Felske Foto: Editpress/Alain Rischard

Die Glasproduktion für Autos hat in Grevenmacher bereits eine erfolgreiche Geschichte, die 1992 begann. Das Werk wurde damals von dem amerikanischen Unternehmen Guardian Industries Corp. gebaut. Das Gelände umfasst mittlerweile eine Gesamtfläche von mehr als 50.000 Quadratmetern: 2005 folgte eine erste Erweiterung der Produktion für die Laminierung von Frontscheiben. Der Standort wurde weiter aufgerüstet, als 2018 eine moderne Produktionslinie von Windschutzscheiben in Betrieb genommen wurde. 2014 hatte die Central-Glass Co. Ltd. Gruppe, mit Sitz der Muttergesellschaft in Tokio, die Produktionsstätte unter dem Namen Carlex übernommen. Der Standort Potaschberg stand zum Verkauf. Im vergangenen Jahr schlug schließlich die Stunde der Webasto-Gruppe, deren Angebot von Dach-, Heiz- und Kühlsystemen für Fahrzeuge über Batterien und Ladelösungen für Hybrid- und Elektrofahrzeuge bis hin zu Thermomanagement und Elektromobilität reicht. Der Global Player, der zugleich ein Pionier unter den Autozulieferern für schaltbare Verglasungen in Panoramadächern ist und bereits zu den Kunden von Carlex zählte, griff zum richtigen Zeitpunkt zu und stieg in die Glasveredelung ein.

Das 1901 gegründete Traditionsunternehmen aus Oberbayern, das im vergangenen Jahr einen Umsatz von 4,4 Milliarden Euro erzielte und etwa 16.800 Mitarbeiter an mehr als 50 Standorten beschäftigt, übernahm das Werk in der Industriezone Potaschberg. Gut 500 Menschen arbeiten hier, bald sollen es etwa 60 mehr sein. Gefragt sind unter anderem Entwicklungsingenieure im Bereich von Keramik und Glas sowie Mechatroniker und Facharbeiter. Kürzlich fand der Spatenstich zur Erweiterung der Fabrik um 13.000 Quadratmeter statt. Spätestens Ende 2024 dürfte es losgehen.

„In das Glas der Dachsysteme werden innovative Technologien wie schaltbare Verglasung oder Solarzellen eingebaut“, erklärt Axel Berning. Das klingt einfach und hat eine spielerische Komponente, wenn sich das gläserne Dach eines Autos per Knopfdruck verdunkelt und dann wieder transparent wird, was mit Hilfe von Folien funktioniert, die in das Glas eingebunden sind. Durch elektrische Steuersignale wird die Lichtdurchlässigkeit verändert. Der Managing-Direktor gibt mir einen Schnellkurs in der Materie. Selbst ein einfaches Autoglasdach (Pure Glass) besteht aus drei Schichten: Im Werk kann ich verfolgen, wie zwei Facharbeiter in weißen Schutzanzügen eine Folie aus Polyvinylbutyral (PVB) mit Routine, Fingerspitzengefühl und millimetergenau auf einer Scheibe anbringen und darüber eine weitere Scheibe legen. Das Glas durchläuft mehrere Stationen.

Webasto in Potaschberg
Webasto in Potaschberg Foto: Editpress/Alain Rischard

Ein beschichtetes Glasdach besteht dagegen aus fünf Schichten, beim „Switchable Glazing / Ambient Light“ und beim Solardach aus noch mehr. Webasto hat sein erstes Solardach bereits 1989 in einem Audi 80 eingebaut. Seither hat das Unternehmen seine Solardächer kontinuierlich weiterentwickelt. Die Solarzellen wurden effizienter und können heute deutlich mehr Strom produzieren, was die Lichtmaschine weniger belastet und den Kraftstoffverbrauch gesenkt hat. Mit einem Solardach zur Batterieladung stößt ein benzinbetriebenes Fahrzeug durchschnittlich 3,8 Gramm pro Kilometer weniger CO2 aus, bei einem Dieselfahrzeug sind es 2,65 Gramm pro Kilometer. Bei Elektroautos können zusätzlich etliche Kilometer dank der „getankten“ Sonnenenergie gefahren werden. „Switchable Glazing“, schaltbare Verglasung, lautet das Zauberwort. Liegt die Beschichtung aus sogenannten Polymer Dispersed Liquid Crystals (PDLC) kreuz und quer, verdunkeln sie das Glas, werden sie unter elektrische Spannung gesetzt, richten sie sich senkrecht auf, sodass das Glas für Lichtstrahlen durchlässig wird.

Insgesamt werden in Potaschberg etwa zwei Millionen Windschutz- und Heckscheiben hergestellt. Mit den Hightech-Panoramadächern, die hinzukommen, ob schallgedämpft, extradünn, heizbar oder infrarotes Licht abweisend, dürfte der Standort auf längere Zeit gesichert sein.

Grober J-P.
17. Juli 2023 - 9.47

Von Guardian über Carlex zu Webasto. Was war eigentlich los mit Guardian? In den 90-gern war das Glas aus Grevenmacher eines der besten in der Automobilbranche, laut H. Franck, hatten die Angst vor Saint-Gobain?