Prostitution in LuxemburgDas schwere Los von Sexarbeiterinnen während der Corona-Krise

Prostitution in Luxemburg / Das schwere Los von Sexarbeiterinnen während der Corona-Krise
Die rue de Strasbourg ist in ganz Luxemburg bekannt Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Von März bis Mai herrschte in Luxemburg Stillstand – und auch das städtische Rotlichtmilieu bekam die Corona-Krise zu spüren. Nach Aufhebung des Lockdowns haben sich die Straßen der Stadt wieder mit Leben gefüllt, doch die Nachwirkungen sind spürbar. Im Drop-in der „Croix-Rouge“ erhalten Prostituierte, aber auch Drogenabhängige materielle, psychologische sowie medizinische Unterstützung. Travestiekünstlerin Sabrina* und die Drop-in-Verantwortliche Tessy Funck kennen die prekäre Lage des Milieus, das durch Covid-19 nun noch mehr an den Rand der Gesellschaft gedrängt worden ist. Die Krise könnte gravierende Folgen für Sexarbeiter haben.

Das „Garer Quartier“ lebt wieder. An den Ecken der rue de Hollerich, rue de Strasbourg und Umgebung zeigt sich das gewohnte Bild: Sexarbeiterinnen warten auf potenzielle Kunden. Wer allerdings während der Quarantäne durch die städtischen Häuserblöcke fuhr, dem fiel vor allem eines ins Auge: gähnende Leere. Der Anblick mag wohl wenig verwundert haben, schließlich galt die Ausgangssperre für (quasi) jeden. Doch während die gewohnte Präsenz von Kassierern, Busfahrern und Polizisten weiterhin als normal abgestempelt wurde, blieb die Abwesenheit anderer „Dauerarbeiter“ des Viertels eher im Schatten versteckt.

„Wir sind da, aber wir sind auch nicht da“, sagt Sabrina*, eine Travestiekünstlerin, die in der Nähe des Bahnhofs arbeitet. Die 46-Jährige ist seit 1999 im Straßenmilieu tätig. Dass ihre Existenz größtenteils ignoriert wird, ist sie gewohnt. „Die Travestie wird von vielen Männern in Anspruch genommen. Ein typischer Satz, den ich aber immer verwende, lautet: ‚C’est un secret inavouable.‘ Viele lieben unsere Kunst, würden sich jedoch nie trauen, darüber zu sprechen. Es ist wie ein geheimer Garten“, erklärt Sabrina. Während der Covid-19-Krise ist die Schattenexistenz von Sexarbeitern noch deutlicher geworden, denn während andere Sektoren auf die Hilfe des Staats zurückgreifen konnten, gingen sie gänzlich leer aus.

Kein Anspruch auf „chômage partiel“

„Der Großteil unserer Klienten hat kein anderes Einkommen und aufgrund ihres Status keine Rechte auf ein Mindesteinkommen oder Arbeitslosengeld. Prostituierte konnten deshalb auch keinen ‚chomâge partiel‘ anfragen, sodass viele in finanzielle Schwierigkeiten gerieten und nicht wussten, wie sie ihre Miete bezahlen sollten“, erklärt Tessy Funck, Verantwortliche des Drop-in. Seit drei Jahren leitet die 30-Jährige die Anlaufstelle der „Croix-Rouge“, die sich an Sexarbeiter und Drogenkonsumenten richtet. Sie kennt die Sorgen ihrer Klientel. Das Drop-in ist einer der wenigen Orte, an dem sich diese frei austauschen können. Deshalb kam eine komplette Schließung aufgrund von Corona zu keinem Zeitpunkt infrage. „Wir hatten die ganze Zeit über geöffnet, allerdings mit reduziertem Betrieb sprich weniger Personal vor Ort und Beratungen via Telefon“, so Funck.

Die Travestie wird von vielen Männern in Anspruch genommen. Ein typischer Satz, den ich aber immer verwende, lautet: ‚C’est un secret inavouable.‘ Viele lieben unsere Kunst, würden sich jedoch nie trauen, darüber zu sprechen. Es ist wie ein geheimer Garten.

Sabrina, Travestiekünstlerin

Der Tausch alter gegen neue Spritzen, die Nutzung von Sanitäranlagen sowie die medizinische Betreuung durch eine Krankenschwester in Notfällen waren weiterhin vor Ort erlaubt, doch der wöchentliche Bereitschaftsdienst von freiwilligen Ärzten musste während der Quarantäne eingestellt werden und auch Streetwork lag mehrere Monate lang auf Eis. Das EXIT-Programm, welches 2016 im Rahmen des nationalen Aktionsplans zur Prostitution eingerichtet wurde und Betroffenen helfen soll, aus dem Milieu auszusteigen, funktionierte hingegen weiter – allerdings mit massiven Einschränkungen. „Es wurde versucht, das meiste über Telefon oder Videokonferenzen zu regeln, aber da Stellen wie die Arbeitsagentur geschlossen waren, blieben viele unserer Verfahren natürlich auch hängen“, berichtet Funck.

Von der Gesellschaft vergessen

Für die Arbeitstätigen des Milieus sind die Angebote des Drop-in jedoch eine wichtige Hilfe, denn anderorts treffen sie meist auf Vorurteile statt Verständnis für ihre prekäre Situation. „Ich benutze den Ausdruck ‚doppelt gestraft‘ zwar nur ungern, aber in diesem Fall lässt er sich leider nicht vermeiden. Aus gesundheitlicher Sicht ist der Beruf von Prostituierten ohnehin eine enorme Zumutung, da sie quasi permanent Risiken ausgesetzt sind. Die Gesellschaft denkt zwar immer, dass sie diejenigen sind, die jede mögliche sexuelle Krankheit übertragen, aber in Wahrheit ist es eher umgedreht. Die meisten stecken sich entweder privat oder bei Kunden an. Von Prostituierten selbst geht die Gefahr eher selten aus. Aufgrund ihrer beruflichen Situation sind viele unserer Klienten allerdings nicht bei der Krankenkasse versichert. Wenn sie krank werden, stellt sich demnach die Frage, wer für ihre Behandlung aufkommt. Sie haben also weder soziale Rechte noch eine ordentliche Versicherung.“

Wie das zuständige Ministerium für Gleichstellung von Frauen und Männern (ehemaliges ministère de l‘Egalité des chances) erklärt, ist die Prostitution „in Luxemburg weder erlaubt noch verboten – sie ist toleriert“. Aufgrund dieser besonderen legalen Stellung gehören Sexarbeiter zur selben Population wie Obdachlose und Drogenabhängige. Doch auch wenn ihre Sorgen meist übersehen werden, waren sie während des Lockdowns reeller denn je und sind auch jetzt noch deutlich spürbar. „Manche haben zwar versucht, sich weiterhin wenigstens mit ihren Stammkunden zu treffen, ich persönlich habe mich allerdings schon vor der Ankündigung der Maßnahmen dazu entschieden, aus Sicherheit zu Hause zu bleiben. Die Zeit war nicht einfach und auch nach der Wiedereröffnung merkt man, dass vieles noch immer eingeschränkt ist“, bestätigt Sabrina.

Weit über 700 Betroffene

Mehrere Wochen lang herrschte im Rotlichtmilieu absoluter Stillstand. Wo sonst Discobesucher nach der Party die Gesellschaft von Sexarbeitern aufsuchen, um die Nacht gemeinsam ausklingen zu lassen, ist nun ein großes Loch. Für Sabrina hat dies erhebliche Konsequenzen für ihr Einkommen, die nur schwer auszugleichen sind. „Wir kommen irgendwie zurecht und versuchen langsam unseren Weg zurück in die Normalität zu finden, aber es ist kompliziert“, so die 46-Jährige. Mithilfe der Caritas-Corona-Hotline konnten zwar wenigstens einige Spenden an all jene vergeben werden, die die Krise mit am härtesten getroffen hat – um die entstandenen finanziellen Probleme des Milieus jedoch auch nur annähernd zu decken, hätte es weitaus größere Beträge offizieller Seite gebraucht.

Das Schlimmste für sie ist es, ignoriert zu werden, und während der Quarantäne wurden sie noch mehr ins Unsichtbare gedrängt, als sie es bereits waren

Tessy Funck, Verantwortliche des Drop-in

Im vergangenen Jahr waren über 700 Prostituierte im Drop-in „registriert“. Sie sind dort unter ihrem Künstlernamen mit einem medizinischen Dossier aufgelistet. Die reale Zahl liegt Schätzungen der Direktion zufolge jedoch weitaus höher. „Auf verschiedenen Internetverkaufsseiten sieht man immer wieder Anzeigen von Sexarbeitern und dann gibt es noch Zeiträume, etwa zur ‚Rentrée’ im September, in denen sich manche punktuell prostituieren, um aufkommende Kosten abzudecken“, erklärt Funck. Besonders für „Neue“ in der Branche wäre eine Legalisierung eine wichtige Stütze für die Zukunft, meint Sabrina: „Ich bin eher am Ende meiner beruflichen Laufbahn, aber für Mädchen, die jetzt erst anfangen, wünsche ich mir, dass der Staat sich des Themas annimmt und Mut zeigt, um vielleicht einen legalen Rahmen zu schaffen, wie es ihn in anderen europäischen Ländern bereits gibt.“

Abwehr von Armutsprostitution

Durch die Konvention mit dem Ministerium für Gleichstellung von Frauen und Männern besteht ein regelmäßiger Kontakt zwischen dem Drop-in und den zuständigen Behörden. Eine Zusammenarbeit, die wichtig ist, besonders jetzt, meint auch Tessy Funck: „Wir gehen von einer kommenden sozialen Krise aus. Deshalb müssen wir gemeinsam mit dem Ministerium sehen, wie wir Armutsprostitution abwehren können.“

Aus dem zuständigen Ministerium heißt es auf die Frage, ob durch die Krise ein Umdenken ausgelöst wurde und man eventuell in Zukunft spezifische Hilfen für die Betroffenen in Ausnahmesituationen anvisiert: „Diskussionen, um die einzelnen Elemente der generellen Vorgehensweise (des Nationalplans) zu vertiefen oder zu verbessern, werden insgesamt mit allen Partnern geführt. Insbesondere nach den Erkenntnissen der vergangenen Monate. Zu diesem Zeitpunkt ist es allerdings noch zu früh, auf einzelne Elemente einzugehen.“

Auf die Frage nach einer möglichen Legalisierung der Prostitution gibt es keine konkrete Aussage offizieller Seite, nur dass die Strategie für den gegebenen Rahmen und existierende Hilfsangebote speziell auf den luxemburgischen Kontext ausgelegt seien. Ob legal oder nicht, steht derzeit auch eher weniger im Fokus des Gesprächs, denn für das Team des Drop-in geht es vor allem darum, Schadensbegrenzung zu leisten. „Ein großes Problem, das immer auf dem Strich besteht, ist die Frage nach den Preisen“, meint Funck. „Wir befürchten, dass nun als Folge der Krise anstelle von Solidarität ein Konkurrenzverhalten unter den Sexarbeitern auftreten wird, die gängigen Preise von Einzelnen gebrochen werden oder manche vielleicht sexuelle Dienste ohne Kondom anbieten, um so ihre finanziellen Verluste wieder auszugleichen.“

Ein Leben im Verborgenen

Die Arbeit auf dem Terrain geht deshalb auch nach dem Lockdown intensiv weiter, denn die Probleme des Milieus verschwinden nicht einfach dadurch, dass nun Geschäfte, Bars und Co. wieder geöffnet haben. „Wir versuchen permanent soziale Krisen abzuhalten. Ich habe beispielsweise einen Aufruf für Kleiderspenden gemacht, der super ankam und durch den wir Kleidung an viele verteilen konnten. Daneben haben wir ebenfalls mit Caritas zusammengearbeitet, um unserer Klientel finanziell etwas unter die Arme greifen zu können. Wir haben Einkaufsgutscheine für Supermärkte ausgestellt“, erzählt die Drop-in-Verantwortliche. 

Ein Faktor, der für Außenstehende meist nicht nachvollziehbar ist, die Lage der Betroffenen jedoch noch schwieriger gestaltet, ist, dass zahlreiche Sexarbeiter ihre Arbeit im Geheimen ausüben. Die Familie, der Freundeskreis – viele trauen sich nicht, mit ihren Liebsten darüber zu reden, und behalten ihr „zweites Leben“ für sich. „Diese Deckung riskiert in einer Situation wie der jetzigen natürlich aufzufliegen, da Bekannte nicht verstehen, warum die Betroffenen plötzlich kein Einkommen mehr haben oder keinen Anspruch auf finanzielle Hilfe vom Staat“, erklärt Funck.

Aufruf zur gesellschaftlichen Toleranz

Monatelange Flaute im Portemonnaie, vermehrte Risikofaktoren für die eigene Gesundheit – Maskentragen wird den Prostituierten zwar vom Team des Drop-in wärmstens ans Herz gelegt, bei Oralverkehr oder anderen gängigen Dienstleistungen gestaltet sich dies jedoch als unmöglich. Das Gefühl von Ausgrenzung, all die Phänomene, mit denen Betroffene bereits im Normalen kämpfen, wurden durch Corona nochmals intensiviert. „Das Schlimmste für sie ist es, ignoriert zu werden. Und während der Quarantäne wurden sie noch mehr ins Unsichtbare gedrängt“, sagt die Verantwortliche des Drop-in.

Vor Ort kann das Team seine Klientel nun zwar wieder mit den dringend benötigten Utensilien wie Reinigungstüchern oder Kondomen versorgen, auf der Straße geht die Krise jedoch weiter. „Wir stehen alle vor einem großen Fragezeichen. Es ist wohl unumgänglich, dass sich der Beruf viel ändern wird“, meint Funck. Für sie ist eines am wichtigsten: die Toleranz innerhalb der Gesellschaft und die Erkenntnis, dass auch Sexarbeit ihren Platz in ebendieser hat: „Die Leute sollen die Augen nicht vor diesem Thema verschließen, denn man weiß nie, wie schnell man sich selbst in einer prekären Lage wiederfinden kann.“

* Anmerkung der Redaktion: Es handelt sich hierbei um einen Künstlernamen

jemp
8. Juli 2020 - 16.20

AIDS und Geschlechtskrankheiten haben nicht zum Ende der Prostigution geführt. Wird auch nicht bei Corona der Fall sein.