PhilatelieBriefmarke für Köpenick: Post ehrt den preußischen „Hauptmann“

Philatelie / Briefmarke für Köpenick: Post ehrt den preußischen „Hauptmann“
Mit seinem dreisten Coup wird der vermeintliche Hauptmann von Köpenick über die deutschen Grenzen hinaus ein Begriff

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Am 16. Oktober 1906 erlebte Georg Langerhans, erster Bürgermeister von Köpenick, eine böse Überraschung. Um 15.27 Uhr verhafteten zehn Soldaten, angeführt von einem preußischen Hauptmann, das Stadtoberhaupt sowie den Stadt-Rendanten unter dem Vorwurf des Abrechnungsbetrugs beim Bau der Kanalisation. Der Hauptmann nahm mit der „amtlich“ beschlagnahmten Stadtkasse – insgesamt 3.557 Mark und 45 Pfennige – Reißaus. Die dreiste Betrugsmasche wurde international bekannt. Zum 100. Todestag von Friedrich Wilhelm Voigt, so der bürgerliche Name des Hauptmanns von Köpenick, gibt die Luxemburger Post nun eine Sondermarke aus.

In Luxemburg wird der Hauptmann in falscher Uniform zum 100. Todestag regelrecht gefeiert. Nebst der philatelistischen Ehre lud das Kasemattentheater im Januar zur Uraufführung der Komödie „Madame Köpenick“, aus der Feder von Guy Helminger, ein. Die Vorstellungen waren restlos ausverkauft, der Spott um den deutschen Untertanengeist, der nach der Köpenickiade infrage gestellt wurde, hält bis heute an. Die „Feierlichkeiten“ in Luxemburg rund um den 100. Todestag des Schuhmachers haben allerdings einen besonderen Hintergrund. Und die haben nicht alleine mit dem deutschen Duckmäusertum zu tun.

Lange Gefängnisstrafen

Friedrich Wilhelm Voigt kam am 13. Februar 1849 in Tilsit, der heutigen Stadt Sowetsk in Russland zur Welt. Die Stadt, die einst zu Ostpreußen gehörte, liegt in der Oblast Kaliningrad, direkt an der litauischen Grenze. Voigts Mutter Eleonore Ussat stammte aus dem Grenzland bei Coadjuthen. Sie heiratete vier Monate vor seiner Geburt den Schuhmachergesellen Johann Carl Christian Voigt aus Kalkappen. Viel zu lachen hatte der Bube im Elternhaus nicht. Sein Vater war ein gewalttätiger Alkoholiker, das väterliche Schuhmachergeschäft ging der Familie verloren. Es kursieren Gerüchte, der Vater habe seine Mutter tot geprügelt. Der Junge wuchs in einem schwierigen Umfeld geprägt von Gewalt und Armut auf.

Die elterliche Wohnung befand sich gegenüber der Kaserne des 1. Litauischen Dragoner-Regiments. Hier schien der Knabe das Soldatenleben genauestens studiert zu haben. Wilhelm Voigt verbrachte mehr als 30 Jahre in Gefangenschaft. Total verarmt versuchte er sich mit Gaunereien, Diebstahl oder Urkundenfälschung durchzuschlagen. Mit 14 landete er erstmals hinter Gittern. Während seiner Zeit im Freien versuchte Voigt eine Anstellung als Schuster zu bekommen. Jedoch vergeblich, immer wieder wurde er von den Obrigkeiten aufgrund seines kriminellen Verhaltens ausgewiesen.

Nach seiner Freilassung Anfang 1906 wurde der Schuhmacher auch aus Berlin-Rixdorf ausgewiesen. Er blieb dennoch illegal in der Hauptstadt und schmiedete seine Pläne für die Köpenickiade. Dabei inspirierte er sich an Michael Kohlhaas Feldzug gegen die Obrigkeit.

Trotz krimineller Energie wurde Voigt für seine Dreistigkeit gefeiert
Trotz krimineller Energie wurde Voigt für seine Dreistigkeit gefeiert Ansichtskarte 1906

Im Prozess um den dreisten Streich in Köpenick wurde der Mann erneut zu Schloss und Riegel verdonnert. Er kam im August 1908 frei. Seinen Lebensunterhalt verdiente er mit der Vermarktung seiner Geschichte sowie mit Grammofon- und Filmaufnahmen. Die Polizei und Behörden blieben dem selbsternannten Hauptmann auf den Fersen und versuchten hartnäckig, Voigts Auftritte zu unterbinden. Immerhin sollte man doch nicht über das Militär lachen.

Auf der Suche nach einem Neuanfang in einer neuen Heimat verließ Voigt im Mai 1909 Berlin und zog nach Luxemburg. Im Haus der Witwe Emilie Blum-Bernier im Bahnhofsviertel mietete der Schuster ein kleines Zimmer und führte ein „normales“ Leben. Es kam sogar laut Presseberichten zu einem bilderbuchhaften Familienleben mit der Witwe und ihren Kindern.

1910 beantragte der falsche Hauptmann die luxemburgische Staatsbürgerschaft. Mit seinen öffentlichen Auftritten und dem Verkauf von Autogrammkarten erwirtschaftete sich Voigt einen gewissen Wohlstand. Er arbeitete zudem als Kellner und Schuhmacher und gehörte zu den ersten Autobesitzern im Ländchen. An Sonntagen fuhr er zusammen mit seiner Vermieterin und den Kindern oft an die Mosel – um deutsches Land zu sehen, wie aus einem Interview mit seiner Wirtin hervorging.

Abschied mit militärischen Ehren

Der Erste Weltkrieg führte dazu, dass Voigt völlig verarmte. Am 3. Januar 1922 verstarb er nach einer Lungenentzündung. Die Kosten für das Begräbnis trug das Sozialamt der Stadt Luxemburg. Wenn auch nur wenige Menschen am Trauerzug teilnahmen, so soll Wilhelm Voigt angeblich mit militärischen Ehren zu Grabe getragen worden sein. Als der Trauerzug an einem Trupp französischer Soldaten, die in Luxemburg stationiert waren, vorbeikam, soll jemand dem französischen Offizier erzählt haben, man trage den „Capitaine de Koepenick“ zu Grabe. Daraufhin habe der Truppführer seine Leute angewiesen, den Leichenzug mit einer militärischen Ehrenbezeugung für den verstorbenen Offizier passieren zu lassen.

 Design: Post Luxembourg/Anne Mélan

1944 wurde die Grabkonzession um weitere 30 Jahre dank eines unbekannten Spenders verlängert. Der Deutsche-Presse-Agentur-Journalist Hans Joachim Weber beantragte im Juli 1961 beim Bundesministerium für Verteidigung eine Spende für eine Gedenktafel zu Ehren des bekannten Uniformträgers sowie die Renovierung der Grabstätte. Das deutsche Militär hatte scheinbar nicht den erforderlichen Humor und lehnte das Gesuch ab. Stattdessen stiftete der Zirkus Sarrasani eine Gedenktafel und bezahlte die Grabkonzession für 15 Jahre. Heute wird das Grab von der Stadt Luxemburg gepflegt.

1975 wurde Voigts Grab laut der Zeitung Lëtzebuerger Land von deutschen Europaparlamentarier besucht. Immer wieder besuchen deutsche Touristen und Schüler die Grabstätte. Marc Jeck, Historiker und ein Luxemburger Fan des Hauptmanns, trug durch seine Vorträge in Deutschland und die Zusammenarbeit mit dem Hauptmann-Darsteller Jürgen Hilbrecht ebenfalls zu engen Verbindungen zwischen den beiden Staaten rund um die Köpenickiade bei.

Erhältlich ist die Sondermarke im Wert von 1,05 Euro in einem Heftchen von zehn Briefmarken. Dieses kann am Philatelie-Schalter in der rue Robert Stümper auf Cloche d’Or bezogen werden oder im Internet auf postphilately.lu. Das Design stammt von der Luxemburger Künstlerin Anne Mélan. 

 Stempel: Post Luxembourg

Die Köpenickiade

Friedrich Wilhelm Voigt kann man zweifelsohne als Genie bezeichnen. Die Köpenickiade, so wird der Streich des Schwindlers genannt, war von der ersten bis zur letzten Sekunde durchgeplant. Der Schuster besorgte sich bei verschiedenen Trödelhändlern entsprechende Uniformteile. Daraus schuf er die Uniform eines Hauptmanns des preußischen 1.-Garde-Regiments. Anlässlich des Wachwechsels am 16. Oktober 1906 stellte der selbsternannte Hauptmann „auf allerhöchsten Befehl“ zehn Soldaten unter sein Kommando.
Erstaunlich ist, dass während der Fahrt nach Köpenick keiner der Soldaten die Aktion infrage stellte. Denn die Fahrt von Berlin nach Köpenick erfolgte mit der Stadtbahn. Unterwegs spendierte der Schuster den Soldaten ein Bier sowie ein Mittagsessen am Köpenicker Bahnhof. Dort weihte er seine Untertanen in die weitere Prozedur ein. Voigt ließ das Köpenicker Gemeindegebäude von seiner Truppe besetzen. Alle Ein- und Ausgänge wurden verriegelt, jeglicher Verkehr auf den Fluren verboten. Zudem ließ der falsche Hauptmann die Telefonzentrale stilllegen, um jegliche Kommunikation nach außen zu unterbinden.
Nach all diesen Vorbereitungen erfolgte die Verhaftung des Bürgermeisters Georg Langerhans sowie des Stadtrendanten. Anwesenden Gendarmen gab er den Befehl, für Ruhe und Ordnung zu sorgen, während er das Oberhaupt der örtlichen Polizei in Urlaub entsandte.
Im Anschluss stellte Voigt die Stadtkasse, dessen Barbestand sich auf 3557,45 Mark (umgerechnet und kaufkraftbereinigt etwa 23.000 Euro) beläuft, sicher. Der Bürgermeister sowie seinen Rendanten ließ Voigt von den Soldaten zur Neuen Wache nach Berlin abführen. Er selbst verschwand mit dem nächsten Zug nach Berlin. Erst zehn Tage später fasste die Polizei den Gauner. Ein ehemaliger Zellengenosse wusste von den Plänen des Schusters und gab der Polizei in Erwartung einer hohen Belohnung den entsprechenden Tipp.