StandpunktBidens große Neugewichtung im Steuersystem

Standpunkt / Bidens große Neugewichtung im Steuersystem
 Foto: dpa/Andrew Harnik

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Die Ausgabenpläne von US-Präsident Joe Biden haben für Schlagzeilen gesorgt, und das zu Recht. Das Hilfspaket und der Infrastrukturplan der US-Regierung könnten durch die damit verbundene Stärkung des sozialen Sicherheitsnetzes und die Erhöhung der Ausgaben für Transport, Breitband und Bildung zu einer Neugestaltung des US-Wohlfahrtssystems führen.

Da die Ausgaben der US-Regierung aber auch nach der Covid-19-Pandemie hoch bleiben dürften, müssen die Steuereinnahmen steigen, da nicht alles mit zusätzlicher Kreditaufnahme finanziert werden kann. Daher hat die Biden-Administration eine ebenso weitreichende Steuerreform unter dem Titel Made in America Tax Plan vorgestellt, im Rahmen dessen sich der Anteil der Unternehmenssteuern an den Steuereinnahmen erhöhen würde.

Eine Anhebung der Körperschaftsteuer bietet in dieser Hinsicht die beste Option. Im ersten Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg machten Steuern auf persönliche Einkommen sowie die Einnahmen aus der Sozialversicherung etwa 50 Prozent der gesamten US-Steuereinnahmen aus, während weitere 30 Prozent auf Unternehmenssteuern entfielen. Seitdem ist der Anteil der Steuern aus persönlichen Einkommen jedoch stetig gestiegen und hat etwa 85 Prozent des gesamten US-Steueraufkommens erreicht, während der Anteil der Unternehmenssteuern unter 10 Prozent gefallen ist.

Gewinne noch nie so hoch wie heute

Außerdem waren die Unternehmensgewinne in den USA noch nie so hoch wie heute, wohingegen der auf Arbeit entfallende Anteil am Nationaleinkommen von etwa 66 auf 58 Prozent gesunken ist. Das ist ein Hinweis darauf, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen immer größeren Teil der gesamten Steuern zahlen, obwohl der Anteil, den sie vom wirtschaftlichen Kuchen erhalten, immer geringer wird. In meinen eigenen wissenschaftlichen Untersuchungen kam ich zu ähnlich hohen Ungleichgewichten zwischen effektiven Grenzsteuersätzen auf Arbeit (über 25 Prozent) und auf Kapitalinvestitionen wie etwa Software und Ausstattung (5 Prozent).

Diese Grenzsteuersätze bilden die Richtschnur für die Investitionsentscheidungen der Unternehmen. Gemäß der derzeitigen Steuerstruktur in den USA verfügen die Unternehmen über viel stärkere Anreize, exzessive Automatisierung zu betreiben, als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu beschäftigen, auszubilden und angemessen zu bezahlen. Die Automatisierung ist jedoch nicht der einzige technologische Weg, der US-Unternehmen offensteht. Im Falle anderer Anreize würden sie stattdessen in Technologien investieren, die Mitarbeiter produktiver werden ließen. Insgesamt kommen die tiefen Ungleichgewichte in der aktuellen Steuerstruktur der US-Wirtschaft nicht nur in Form von Arbeitsplätzen teuer zu stehen, sondern auch hinsichtlich verminderter produktiver Effizienz und eines geringeren Wachstums.

Die Trump-Administration senkte zwar mit dem Steuergesetz aus dem Jahr 2017 den Körperschaftssteuersatz von 35 auf 21 Prozent, doch der Anteil der Unternehmenssteuern an den Gesamtsteuereinnahmen fällt schon seit 50 Jahren. Viele Unternehmen sind zu Private Partnerships oder S-Corporations geworden, die von der Körperschaftssteuer befreit sind. Weiter befeuert wurde dieser Trend durch Abschreibungsmöglichkeiten, die es Unternehmen ermöglichen, Investitionsausgaben von ihrem steuerpflichtigen Einkommen abzuziehen.

Wichtiger Schritt, aber nicht ausreichend

Bidens Versprechen, den Regelsteuersatz für die Körperschaftsteuer von 21 auf 28 Prozent zu erhöhen, ist daher ein wichtiger Schritt, aber für sich genommen nicht ausreichend. Weder werden damit die unterschiedlichen Bedingungen in der Besteuerung von Kapital und Arbeit nivelliert, noch werden in den USA ansässige Unternehmen dadurch abgehalten, ihre Firmensitze zur „Steueroptimierung“ in andere Jurisdiktionen zu verlegen oder ihre Gewinne zu ausländischen Tochterunternehmen zu verschieben. Ungebundene Unternehmensgewinne waren ein entscheidender Faktor bei der langfristigen Senkung der Steuersätze auf Kapital und Unternehmensgewinne und multinationale Konzerne hätten immer noch jede Menge Tricks zur Verfügung, um ihre in den USA ausgewiesenen Gewinne herabzusetzen wie etwa durch interne Finanztransaktionen zur Anhebung ihrer Schuldverpflichtungen in den Vereinigten Staaten und durch die Nutzung ausländischer Tochterunternehmen, die ihre US-Niederlassungen über Gebühr belasten (Verrechnungspreise).

Glücklicherweise ist im Biden-Plan eine zweite Säule vorgesehen, die sich genau dieses Problems annimmt: eine globale Mindestkörperschaftssteuer.

In der Theorie präsentiert sich die Idee simpel. Im Idealfall würden Irland, Luxemburg, die Schweiz, Panama, die Britischen Jungferninseln und andere Länder, die es Unternehmen ermöglichen, sich ihren Steuerpflichten durch „Arbitrage“ zu entziehen, beträchtlich anheben. Geschähe das nicht, würde ein Unternehmen mit Hauptsitz in den USA, das dem globalen Mindestkörperschaftssteuersatz von 21 Prozent unterliegt und seine gesamten Gewinne in Irland ausweist, wo der Körperschaftssteuersatz 12,5 Prozent beträgt, mit zusätzlichen US-Steuern in Höhe von 8,5 Prozent auf seine Gewinne belastet.

In der Praxis wäre diese Vorgehensweise freilich komplizierter. Niedrigsteuerländer sind mittlerweile in derartigem Ausmaß auf steuervermeidende internationale Unternehmen angewiesen, dass sie der Koordinierung eine Absage erteilten. Angesichts des globalen Mindeststeuersatzes in den USA könnten einige internationale Unternehmen versucht sein, ihren Hauptsitz in solche Länder zu verlegen (weshalb Bidens Steuerplan auch Bestimmungen zur Verhinderung einer Steuerflucht der Unternehmen enthält). Verweigerten einige der berüchtigtsten Steuerparadiese die Zusammenarbeit, würde jedes neue internationale Rahmenwerk scheitern.

Eine Revolution

An dieser Stelle kommt die Führungsrolle der USA ins Spiel. Die USA verfügen über unglaubliche fiskalpolitische Macht, nicht nur als größte Volkswirtschaft der Welt, sondern auch als regulatorische Zentrale der globalen Finanzindustrie. Wenn die US-Politik mit ausreichender Überzeugung vorangeht, werden andere Länder gezwungen sein, zu folgen. Bidens Steuerplan enthält bereits Bestimmungen zur Vermeidung der Steuerinversion und sieht auch die Begrenzung von Steuerabzügen für multinationale Konzerne vor, die Steuerarbitrage betreiben. Die USA verfügen auch über die Möglichkeit, rechtliche Schritte gegen ausländische Finanzinstitutionen einzuleiten, die in Steuerbetrug und systematische Innovationen verwickelt sind, und sie können sich multilateral für eine stärkere Harmonisierung der internationalen Besteuerung von Unternehmensgewinnen einsetzen.

Ein globaler Mindestkörperschaftssteuersatz würde bei vollständiger Umsetzung die internationale Kapitalbesteuerung revolutionieren. Aber nicht einmal das würde Amerikas fiskalische Probleme lösen. Um die ungerechte und ineffiziente Senkung der Unternehmenssteuern rückgängig zu machen, muss die Biden-Administration auch den übertrieben großzügigen Abschreibungsmöglichkeiten ein Ende setzen und die Steuerbasis verbreitern, damit Unternehmen nicht einfach durch Änderung ihres rechtlichen Status Steuern vermeiden können.

Eine höhere Unternehmensbesteuerung sollte von anderen Maßnahmen zur Förderung von Investitionen und Innovationen begleitet werden. Neben Subventionen für Forschung und Entwicklung kann der Staat mehr tun, um das Angebot an gut ausgebildeten Arbeitskräften in den Bereichen Ingenieurwesen, Wissenschaft und Fachpersonal zu erhöhen und die Verbreitung von technologischem Know-how zu erleichtern.

Mit der Angleichung der Bedingungen in der Besteuerung von Kapital und Arbeit können Unternehmen zur Entwicklung und Umsetzung neuer Technologien motiviert werden, die zu einer Erhöhung der Arbeitsproduktivität führen, anstatt den Trend zur übermäßigen Automatisierung fortzusetzen, der die US-Wirtschaft in den letzten zwei Jahrzehnten geprägt hat. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Bestrebungen sind Maßnahmen zur Beendigung der Vorherrschaft einiger weniger Unternehmen im Technologiesektor.

Ein gerechteres Steuersystem allein würde nicht alle wirtschaftlichen Probleme Amerikas lösen. Aber es wäre ein bedeutender Schritt in die richtige Richtung und würde Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie der Wirtschaft helfen und gleichzeitig den alarmierenden Anstieg der Staatsschulden eindämmen.

* Daron Acemoglu ist Professor für Ökonomie am MIT und Ko-Autor des gemeinsam mit James A. Robinson verfassten Buchs „Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut“. 

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

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