Prozess um Angriff mit Wagen in Wiltz„An dech kréien ech och nach“: Angeklagter soll absichtlich gehandelt haben

Prozess um Angriff mit Wagen in Wiltz / „An dech kréien ech och nach“: Angeklagter soll absichtlich gehandelt haben
Neben den Ermittlern der Spurensicherung kamen am Donnerstag auch Zeugen der Tat in Wiltz zu Wort, darunter zwei Opfer. Sie gehen davon aus, dass der Angeklagte mit voller Absicht in sie gefahren sei. Foto: Editpress/Julien Garroy

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Am Nachmittag des 2. Januar 2019 fährt ein Luxemburger mit seinem Wagen in Wiltz in eine Menschenmenge. Schnell ist klar: Der Mann kennt die Opfer. Sein zweijähriger Sohn kommt beim Aufprall ums Leben, die Mutter und deren Lebensgefährte werden schwer verletzt. Der Angeklagte habe bewusst gehandelt, sagen Zeugen am Donnerstag vor Gericht. Der Beschuldigte dementiert: Er könne sich an nichts erinnern.

„Ich trage vielleicht Schuld daran, doch schuldig bin ich nicht“: Stoisch, fast emotionslos hat der Angeklagte im Prozess um den tödlichen Zwischenfall in Wiltz am Donnerstag vor dem Bezirksgericht in Diekirch erneut jegliche Verantwortung von sich gewiesen. Der Tod seines zweijährigen Sohnes, die schweren Verletzungen des neuen Lebensgefährten seiner Ex-Freundin, die seelischen und körperlichen Wunden der anderen Beteiligten – alles das führt der heute 49-Jährige auf eine Mischung aus „Freude, Blackout und Überreaktion“ zurück.

Genau diese drei Gründe hatte der Angeklagte bereits am Abend kurz nach der Tat gegenüber den Ermittlern der Kriminalpolizei angegeben und während seiner ersten Anhörung zum Prozessauftakt am Montag wiederholt. An die Tat selbst aber kann er sich eigenen Aussagen zufolge nicht erinnern. Dieser Darstellung blieb der Luxemburger auch am zweiten Verhandlungstag treu: „Leider hunn ech keng Erënnerungen. Mee ech sinn der Meenung, datt ech a keen gerannt sinn“, so der 49-Jährige gegenüber einem verdutzten Vorsitzenden der Kriminalkammer, dem es auch im Anschluss nicht gelingen sollte, dem Angeklagten kohärente Antworten zu entlocken.

Diesen Part hatten zuvor mehrere Zeugen übernommen. Sie zeichneten am Donnerstag das übereinstimmende Bild einer Beziehungstat, die am frühen Nachmittag des 2. Januar 2019 in voller Absicht verübt wurde und einem kleinen Jungen das Leben kostete. Nur wenige Monate zuvor hatte sich die ehemalige Lebensgefährtin vom Angeklagten getrennt, was dieser nicht hinnehmen wollte.

Wochenlang habe er versucht, die Mutter seines Sohnes zurückzugewinnen, jedoch ohne Erfolg. Von nächtlichen Kontaktaufnahmen war die Rede, von unerwiderten Botschaften und ungewollten Begegnungen. Regelrecht aufgelauert habe er ihr, sie und ihren neuen Freund beschattet, so die 44-Jährige im Zeugenstand. Einen Heiratsantrag habe er ihr unterbreitet und mindestens eine Drohung. Geantwortet aber habe sie ihm nie.

„Alles ging so schnell“

Falsche Hoffnungen habe sie ihm nicht gemacht, auch wenn der Angeklagte bis zuletzt daran geglaubt habe, so die Zeugin, die beim Zwischenfall verletzt wurde. „Er wusste von der Trennung. Er war sogar damit einverstanden, dass ich unseren Sohn bei meinem neuen Lebensgefährten anmelde. Er war eifersüchtig auf ihn“, beteuerte die 44-Jährige, während der Angeklagte mehrere ihrer Aussagen mit einem verächtlichen Schnaufen quittierte. Dies waren denn auch die einzigen Gefühlsausbrüche des 49-Jährigen, den nicht mal die Ausführungen zum Tod seines Sohnes aus der Bahn zu werfen schienen.

Im Gegensatz zur Mutter, die bei der Schilderung des Tatherganges mehrmals in Tränen ausbrach. Mit ihrem Sohn, einer guten Freundin und deren Tochter sowie dem neuen Lebensgefährten habe sie am Nachmittag des 2. Januar 2019 einen Spaziergang machen wollen. Kurz nachdem sie ihre Wohnung in der rue Grande-Duchesse Charlotte verlassen hatten, sei der Angeklagte vorbeigefahren. Dieser habe kurz abgebremst, sei dann weitergefahren, um beim Krankenhaus zu wenden. Daraufhin habe er beschleunigt, sei auf den Bürgersteig gefahren und in die kleine Menschengruppe gerannt. „Alles ging so schnell, ich konnte nicht mehr reagieren“, so die Zeugin unter Tränen.

Aussagen, die von der besten Freundin bestätigt wurden. Niemand habe mit so einer Tat gerechnet, so die Zeugin: „Wir dachten, er wolle uns nur erschrecken.“ Was dann aber passierte, habe niemand für möglich gehalten. Dabei habe er die Schuld nach der Tat der Mutter in die Schuhe schieben wollen: „Dat ass alles deng Schold“, habe er ihr zugerufen, was eine Passantin bestätigte.

Diese Frau hatte der Angeklagte kurz zuvor gleich zweimal über die Straße gelassen. „Beim zweiten Mal dachte ich noch, er sei wütend, weil meine Tochter und ich so langsam über den Zebrastreifen gingen“, gab die dritte Zeugin vor Gericht zu Protokoll. „En hat eng richteg Roserei an der Panz“, sagte sie später vor Ermittlern. Ob er den Opfern noch gedroht habe, wisse sie aber nicht.

Damit konnte zumindest eine Aussage der Mutter vor Ermittlern nicht bestätigt werden: „Ech hoffen, dir vreckt alleguerten! Elo sidd der mech jo mol fir eng Zäitche lass!“, soll ihr der Angeklagte nach der Tat zugerufen haben. Dass der Angeklagte seinen Wagen beschleunigt habe und ohne zu Bremsen in die Menschengruppe reingefahren sei, darin aber waren sich sämtliche Zeugen einig.

„Dir hat et richteg op e sëtzen“

Belastendes Material wurde indessen auch von den Ermittlern sichergestellt. Und das in Form von Botschaften und Kurznachrichten sowie Zeugenaussagen aus der Zeit vor der Tat. Im Mittelpunkt stand vor allem eine Facebook-Mitteilung, die der Angeklagte seiner Ex-Freundin kurz nach deren Einzug beim neuen Lebensgefährten geschickt hatte: „An dech kréien ech och nach!“ Damit habe er den neuen Freund gemeint und nicht die Mutter seines Sohnes, gab der Angeklagte vor Gericht zu Protokoll.

Er sei nämlich der Auffassung, dass dieser die Gespräche überwache, so der Beschuldigte. Was der Richter mit der Antwort quittierte: „Dir hutt e jo schlussendlech kritt.“ Tatsächlich wurde der neue Lebensgefährte schwer verletzt. „Dir hat et richteg op e sëtzen“, meinte der Richter, was der Angeklagte vehement verneinte. Er habe ihn am Tag der Tat gar nicht mal bemerkt. Wissentlich sei er nicht in ihn gefahren.

Vielmehr versteckte sich der Angeklagte weiter hinter seiner Zuckerkrankheit. Diese soll seiner Auffassung nach zum „Aussetzer“ geführt haben – was mehrere Experten schon am Montag ausgeschlossen hatten. Davon ließ sich der Beschuldigte aber nicht beirren. Die Experten hätten nichts von seiner Krankheit gewusst: Schließlich sei seine Krankenakte in einem anderen Krankenhaus aufbewahrt worden.

„Sie drehen sich im Kreis. Sie bleiben bei Ihrer Darstellung und die Experten sagen etwas anderes“, schlussfolgerte der vorsitzende Richter. Die Verhandlung wird am Freitag mit den Plädoyers fortgesetzt.