Interview Alternativ und rebellisch: René Pennings Vision für die Kulturfabrik

Interview  / Alternativ und rebellisch: René Pennings Vision für die Kulturfabrik
René Penning meint, die Frage nach seiner „Handschrift“ sei eine Ego-Frage – und findet es weitaus wichtiger, dass die Kufa als Team funktioniert Foto: Editpress/Alain Rischard

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Inmitten der Corona-Krise wurde René Penning zum Leiter der Kulturfabrik ernannt. Wir haben uns mit Penning, der vor seiner Nominierung bereits administrativer Direktor der Kufa war, im Hof des früheren Schlachthauses über Zukunftsvisionen, künstlerische Ausrichtung, die Zusammenarbeit mit der Gemeinde, das heikle Dossier „Esch 2022“ und die Auswirkungen der Pandemie unterhalten.

Tageblatt: Erst wurde Marc Scheer zum musikalischen Programmleiter der Kulturfabrik ernannt, nun treten Sie in Serge Bassos Fußstapfen: Ist das ein Bruch oder steht dies in der Kontinuität dessen, was in den letzten Jahren in der Kufa passiert ist?

René Penning: Ich sehe die Nominierung viel mehr als nächste Etappe einer langjährigen Entwicklung. Es handelt sich dabei keineswegs um einen Neuanfang oder ein Wiederaufleben: Ich war ja auch davor administrativer Direktor, habe Initiativen und Ideen mit an Bord gebracht, an denen wir seit Jahren arbeiten. Dieser Schritt war langjährig, zusammen mit Serge Basso, geplant. Manche fragen mich, was die Handschrift von René Penning ist. Das sind Ego-Fragen, die mir missfallen. Wichtig ist, dass es eine Handschrift der Kufa oder unseres Teams gibt. Weswegen es auch ein Glücksgriff war, jemanden wie Marc Scheer für unser Team zu gewinnen. Wir arbeiten eben auch anders als andere Kulturhäuser – bei uns ist es nicht so, dass der Direktor programmiert oder allein entscheidet. Bei uns überwiegt der Teamgeist.

Gibt es Pläne, die Programmierung anders auszurichten?

In den letzten Jahren haben wir festgestellt, dass unser Programm ein bisschen diffus war: Wir hatten einen Kalender und Programmgestalter, die ihre Events planen, ohne dass man die Ausrichtung infrage gestellt hat. Deswegen haben wir in den letzten Jahren eine Strategie entwickelt, deren Ziel es ist, der Kufa eine Identität zu verleihen, die klarer definiert ist. Es gibt jetzt eine Anzahl von Kriterien, die es uns erlauben, zu bestimmen, ob ein Projekt zu uns passt oder nicht. Dabei gilt es natürlich, den Programmmachern eine gewisse Freiheit zu lassen – in unserer zweiwöchigen Programmgestaltungsversammlung muss nicht jeder Workshop oder jedes Konzert durchdiskutiert werden, es geht vielmehr darum, klare ästhetische Linien zu haben und große Projekte nach diesen Kriterien zu bewerten.

Wie gelingt es der Kufa, sich von anderen Kulturhäusern zu unterscheiden?

Das Schärfen unseres Profils ist nicht so leicht, weil wir eine Vielzahl an Aktivitäten – Theaterveranstaltungen, Filmprojektionen, das Urban Art, Konzerte – programmieren: Die Kufa war stets ein polyvalentes Kulturzentrum. Wir sollten aber wieder mehr zu dem zurückkehren, was die Kufa mal war: rebellisch, alternativ. Solche Wörter klingen vielleicht mittlerweile abgenutzt, ich benutze sie aber trotzdem. Wir müssen uns von den anderen Kulturhäusern dieses Landes unterscheiden – indem wir an einem gewissen Unabhängigkeitsgeist festhalten, oder unsere Art, als Team zu arbeiten, hervorheben.

Gibt es dabei Aspekte eures Programmes, die sich besonders für das Profilschärfen eignen?

Nicht wirklich. Jérôme Netgens Programmgestaltung im Kinosch entspricht exakt dem, was ich mir unter dem Gesamtprofil der Kufa vorstelle – hier werden unabhängige Indie-Filme, die man sonst nirgendwo sehen kann, projiziert. Marc Scheers Musikprogramm entspricht genau dem, was wir für die Konzerte in der Kufa wollen. Ein Festival wie das „Out of the Crowd“ spiegelt den Spirit wider, den wir für die Kufa brauchen. Marc lebt in dieser Welt – er muss sich folglich nicht verstellen, um ein kohärentes und spannendes Programm aufzustellen. Wir haben zudem das Glück, einen Aufsichtsrat zu haben, der uns viel Freiraum lässt und sich nicht in das Alltagsgeschäft einmischt.

Apropos Aufsichtsrat: Mit dem Weggang von Guy Dockendorf, Michel Clees und Christian Kmiotek kündigt sich dort eine größere Umstellung an. Wie soll der zukünftige Vorstand der Kufa aussehen?

Wir haben einen Aufsichtsrat, der aus alten weißen Männern besteht – eigentlich brauchen wir jetzt junge schwarze Frauen. Die drei Posten sollen auf jeden Fall von drei Frauen besetzt werden. Das kann ich natürlich nicht selbst entscheiden, das muss in der Generalversammlung abgestimmt werden. In den kommenden Jahren wollen wir in diese Richtung gehen, um mehr Dynamik und frischen Wind in den Vorstand zu bekommen. Wie beim Zusammenstellen unseres Teams ist es auch hier wichtig, jemanden zu finden, der die Kufa ausreichend kennt, um unsere Aktivitäten kritisch zu begutachten. Wenn wir uns jemanden für den Vorstand aussuchen, schauen wir auch nach fachlichen Kompetenzen, die uns weiterbringen können.

Man hatte Ihnen auch die Leitung der Rotondes angeboten. Bedauern Sie es, diese Chance nicht ergriffen zu haben?

Wenn man dir eine solche Möglichkeit anbietet, wiegt man stets die Vor- und Nachteile des Angebots ab. Es wurde sich viel dafür eingesetzt, dass ich in der Kufa bleibe. Im Gegensatz zu dem, was viele meinen, finde ich, dass Esch ein großes Potenzial hat und sich in den nächsten 20 bis 30 Jahren enorm weiterentwickeln wird. Ich denke da an Viertel wie Esch-Belval, Rout Lëns, vor allem aber an das Esch-Schifflingen-Gelände, das gleich nebenan ist und dessen Entwicklung auch die Rolle der Kufa beeinflussen wird – wir haben die Möglichkeit, ein Bindeglied zwischen dem alten und dem neuen Esch zu sein. Für mich ist es spannend, dies in den nächsten 20 Jahren mitzuerleben und zu gestalten. Davon abgesehen lebe ich hier, ich kann mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren, muss mich nicht durch den Stau kämpfen, um in die Stadt zu gelangen.

Wie bewerten Sie das Verhältnis der Kufa zur Escher Gemeinde?

In den letzten zehn Jahren ist das Verhältnis zunehmend besser geworden – bis zu dem Punkt, dass manche denken, wir wären ein Teil der Gemeinde. Das ist natürlich nicht der Fall, wir bleiben eine unabhängige Asbl, auch wenn wir in der Tat viel mit der Gemeinde zusammenarbeiten. Jeder hat begriffen, dass die Kufa in Esch unumgänglich ist. Sie ist ein fester Teil der Stadt. Auch mit der neuen Koalition ist die Zusammenarbeit ausgezeichnet. Die Gemeinde schätzt unsere Rolle, impliziert sich beim Urban Art Festival und hat uns beim Entwickeln der Kulturstrategie stark eingebunden.

Sie erwähnten das Potenzial der Stadt Esch. Wurde im Laufe der Jahre beim Projekt „Esch 2022“ nicht sehr viel Potenzial verschenkt? Auch die Kufa musste ja einige Projekte absagen?

Ich würde mir wünschen, dass die Entschleunigung, die wir zurzeit erleben, genutzt wird, um etwas Ruhe ins Dossier zu bringen. Das Projekt stellt eine große Chance für den Süden im Allgemeinen und für Esch insbesondere dar. Falls keine Ruhe ins Dossier einkehrt, sehe ich nicht, wie diese Chance noch genutzt werden kann. Wir haben uns entschieden, die großen Projekte abzusagen, weil es in dem verbleibenden kurzen Zeitraum kaum mehr möglich gewesen wäre, sie umzusetzen. Wir planen jetzt kleinere Projekte, es gab Anfragen von „Esch 2022“, um Projekte bei uns in der Kufa durchzuführen und wir haben ca. ein Viertel der 30 Partnerprojekte ausgewählt. Für uns bleibt „Esch 2022“ ein wichtiges Event – wir haben das ganze Kalenderjahr für das Kulturjahr reserviert und gestalten unser Programm um „Esch 2022“ herum. Der Schwerpunkt wird dabei auf die Kreation gelegt.

Ist es nicht frustrierend, dass die größeren Projekte nicht umgesetzt werden?

Es ist umso frustrierender, weil wir mit Nathalie Ronvaux jemanden eingestellt haben, der sich exklusiv um diese Projekte kümmern sollte. Jahre an Arbeit sind verloren. Andererseits bringt es auch nichts, Trübsal zu blasen, weswegen wir versuchen, das Gute an der Sache zu sehen: Wir konzentrieren uns einfach auf die bereits erwähnte Strategie, an der wir für die Kufa arbeiten – und kommen da jetzt viel schneller voran.

Stichwort Trübsal blasen: Die aktuelle Pandemie erlaubt es Ihnen vielleicht, die Zukunft der Kufa in Ruhe zu planen. Andererseits steht die Zukunft des ganzen Kulturbetriebes auf dem Spiel. Wie arbeitet man mit dieser Ungewissheit?

Es ist schwierig, eine Voraussage zu machen. Gestern hatten wir eine Zoom-Sitzung mit dem Kulturministerium. Auf unsere Fragen gab es keine Antworten – was verständlich ist. Es gibt momentan Fragen, auf die niemand eine Antwort hat. Manchmal habe ich das Gefühl, wir würden glauben, dass irgendwann alles wieder seinen gewohnten Lauf nimmt. Dieser Gedanke ist utopisch. Ich weiß nicht, wie die Welt nach der Pandemie aussehen wird – aber ich bin überzeugt, dass es eine ganz andere Welt sein wird. Vielleicht wird es positive Elemente geben – beispielsweise wird zurzeit die Idee eines Grundeinkommens debattiert. Andererseits entstehen aus vielen Krisen meist weitere Krisen. Wie fangen wir die Arbeitslosigkeit auf? Welche Rolle kann die Politik in der Krisenbewältigung spielen? In der Kufa haben wir die erste Phase, in der wir die Absagen und das Umprogrammieren planen mussten, abgeschlossen und haben begonnen zu überlegen, wie wir kurzfristig die Künstler unterstützen können. Unsere Zukunft ist fürs Erste gesichert: Wir sind ein konventioniertes Kulturhaus, unsere Gehälter werden ausgezahlt. Bei den freien Kulturschaffenden ist das nicht der Fall.

Kulturevents werden zudem wohl erst ganz am Schluss der Pandemie wieder stattfinden?

Dass Kultur stets an letzter Stelle kommt, ist nicht neu. Der Andrang für den Posten des Kulturministers ist meistens überschaubar. Aber vielleicht werden sich die vereinsamten Menschen jetzt bewusst, dass Kultur nicht nur schmückendes Beiwerk, sondern eine Grundversorgung ist. Zudem kommen früher oder später die Grenzen der virtuellen Übertragungsform zum Vorschein: Ein Online-Konzert hat niemals das Flair eines echten Musikfestivals – schon alleine, weil die soziale Komponente wegfällt.