Außenminister im Interview„Als würden wir uns nicht kennen“: Asselborn über geschlossene Grenzen und gestrandete Luxemburger

Außenminister im Interview / „Als würden wir uns nicht kennen“: Asselborn über geschlossene Grenzen und gestrandete Luxemburger
Die Coronakrise macht Außenminister Jean Asselborn zum Rückholminister: „Die Situation ist sehr, sehr schwierig“ Foto: Editpress/Isabella Finzi

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Das Außenministerium appellierte mehrfach. Luxemburger im nicht-europäischen Ausland sollten schnellstmöglich heimreisen. Seitdem hat sich die Lage verschärft. Die Coronakrise greift weltweit weiter um sich, immer mehr Grenzen schließen. Jean Asselborn ist vom Außen- zum Rückholminister geworden. Doch die gestrandeten Luxemburger sind nicht die einzige Sorge. Die innereuropäischen Grenzschließungen machen Asselborn fassungslos. Vor allem für ein Nachbarland fehlt Luxemburgs Chefdiplomat das Verständnis.

Tageblatt: Sind mittlerweile alle Luxemburger zurück im Land?

Jean Asselborn: Nein. Wir haben auf allen Kontinenten Leute sitzen, die jetzt zurückkommen wollen. Denen zu helfen, ist jetzt unsere Hauptaufgabe als Außenministerium. Aber wir stehen vor nie dagewesenen Schwierigkeiten. Die meisten Flüge sind abgesagt. Und falls nicht, weiß man trotzdem nicht, ob sie tatsächlich abheben werden. Man kommt auch kaum mehr in die Europäische Union hinein. Das macht es sehr, sehr schwierig.

Wie läuft die Hilfe ab?

Im Außenministerium haben wir einen Krisenstab mit erfahrenen Diplomaten eingerichtet. Jeder Anruf, der uns erreicht, jede SMS, jede Nachricht über Facebook, WhatsApp, Twitter oder was auch immer, alles wird gesammelt. Bislang konnten zumindest alle persönlich angerufen werden.

Mit welchen Situationen wird das Außenministerium da konfrontiert?

Wir haben beispielsweise einen Fall, da hängt eine Gruppe von rund 20 Leuten auf Kuba fest. Weil ein Corona-Verdachtsfall darunter ist, sitzen die jetzt in richtig schwierigen Bedingungen dort. Unter solchen Umständen alleine zurechtzukommen, ist nicht ohne. Zusammen mit den Botschaftern aus Belgien, Deutschland und Frankreich versuchen wir, diese Menschen zu erreichen und ihnen, so gut es geht, zu helfen.

Auch Reisende in Europa, die keinen Direktflug nach Luxemburg hatten, berichten von Schwierigkeiten. Wie ist die Situation jetzt dort?

Das ist ein anderes Problem, das hoffentlich bald gelöst ist. Dabei ging es um Luxemburger, die zum Beispiel aus Palma zurückkamen und dann in Frankfurt am Flughafen festgehalten wurden. Das ist auch einigen Österreichern und Schweizern so passiert. Genau da zeigt sich, was geschieht, wenn solche Ansagen von oben herab kommen und dann von Grenzbeamten interpretiert werden müssen. Denn genau das war es, was die Luxemburger in Frankfurt zu hören bekamen: Befehl von oben!

Die Luxair fliegt keine Langstrecken. Gibt es Übereinkünfte mit Nachbarstaaten, Luxemburger in deren Flugzeuge zu lassen?

Mit Deutschlands Außenminister Heiko Maas bin ich vergangene Woche übereingekommen, dass Luxemburger bei deutschen Rückholaktionen mit ins Flugzeug können. Mit Belgien ebenso, wir stehen in permanentem Kontakt. So haben wir zum Beispiel Leute aus Senegal zurück nach Luxemburg holen können. Die Deutschen haben da geholfen. Da zeigt sich, wie wichtig es in solchen Krisenzeiten ist, dass nicht jeder nur sein eigenes Ding dreht, dass wir dort Solidarität zeigen, wo sie gezeigt werden kann. Das ist das Gegenteil von dem, was sonst gerade in Europa vor sich geht.

Wir können doch nicht zwischen Deutschland und Frankreich und Luxemburg auf einmal so tun, als würden wir uns nicht kennen, als wollten wir nichts mehr miteinander zu tun haben

Mittlerweile haben ein gutes Dutzend EU-Staaten ihre Grenzen zumindest zum Teil geschlossen. Am Montag unterhalten sich die EU-Außenminister per Videokonferenz. Haben Sie Verständnis für die Grenzschließungen angesichts der derzeitigen Krise?

Uneuropäischer geht es nicht mehr. Das war nicht einmal koordiniert. Ein Schlamassel wie jetzt hatten wir noch nie in Europa, nicht in der Finanzkrise und nicht einmal in der Migrationskrise. Das tut weh. Und geht es so weiter, bricht die Nahrungsmittelkette irgendwann ein – man muss sich ja nur die dutzende Kilometer langen Staus anschauen, die es jetzt schon gibt. Alles mit dem Argument, wir müssten unser Volk schützen. Auf einmal ist jedes Volk nur noch ein nationales Volk und kein europäisches Volk mehr. Europa wurde gegründet, um zusammen, gemeinschaftlich, in Solidarität die Probleme zu lösen, die sich alleine nicht lösen lassen. Genau dieses Problem, das wir jetzt haben, mit diesem Coronavirus, und das vielleicht nur mit dem Klimaschutz vergleichbar ist, kann nur zusammen angegangen werden – und nicht, indem der eine oder andere meint, er müsse den Nachbarn die Tür vor der Nase zuschlagen.

Von unseren Nachbarstaaten kontrolliert mittlerweile nicht nur Deutschland an seinen Grenzen, auch Belgien tut das. Wie sehr hat Sie vor allem die Entscheidung der Deutschen überrascht?

Von unseren Nachbarn haben die Deutschen begonnen. Die erste Argumentation war die, man könne es nicht zulassen, dass von französischer Seite aus in Deutschland Hamsterkäufe gemacht würden. Wir wissen, was daraus geworden ist: Deutschland hat seine Grenzen nach Luxemburg, nach Frankreich, nach Österreich geschlossen, jedoch nicht zu Belgien oder den Niederlanden. Es tut mir leid, aber ich verstehe den Sinn nicht. Während wir in Luxemburg unsere Bürger aufforderten, daheim zu bleiben, Schulen geschlossen haben, genau wie Geschäfte, Restaurants und all das andere, saßen die Leute auf der anderen Seite der Grenze noch in Restaurants und auf Terrassen herum – was für eine verrückte Geschichte!

Luxemburg wurde vorab nicht über die Grenzschließungen informiert. Wie kann so etwas sein?

Es tut mir weh, das zu sagen, aber es gibt einen Unterschied, wie Deutschland uns behandelt und wie Frankreich uns behandelt. Ich sage nicht, die Deutschen würden kein Verständnis für die Luxemburger Situation zeigen. Das tun sie. Und trotzdem nehmen sie diese Eingriffe vor. Ich verstehe einfach nicht, wieso sie das tun. Frankreich zeigt nicht nur Verständnis für die Situation in Luxemburg mit unserer Abhängigkeit von Pendlern vor allem im Gesundheits- und Sozialwesen. Frankreich lässt auch die Grenzen offen. Das ist das Wichtige! Verständnis ist gut, reicht alleine aber nicht.

Deutschland kontrolliert seine Grenze zu Luxemburg: „Ich kann es einfach nicht verstehen“, sagt Jean Asselborn
Deutschland kontrolliert seine Grenze zu Luxemburg: „Ich kann es einfach nicht verstehen“, sagt Jean Asselborn Foto: dpa/Christoph Reichwein

Was sind die Folgen der Grenzschließungen?

Wenn da nicht überlegt wird, sind wir gleich in Gefahr. Nehmen wir nur das Beispiel mit dem Vorhaben, alle deutsch-luxemburgischen Grenzübergänge nördlich von Echternach zu schließen. Dann kommen Bauern nicht mehr auf ihr Feld. Dann braucht zum Beispiel eine Krankenschwester aus der Eifel einen hundert Kilometer langen Umweg, um im Krankenhaus in Ettelbrück arbeiten zu können. Daran kann doch keiner Interesse haben! Nach intensiven Gesprächen ist es uns ja schließlich gelungen, Vianden und Dasbourg-Pont offenzuhalten. Die Deutschen schließen die Grenzen ja nicht, um das Virus zu bekämpfen. Bei ihnen ist alles erlaubt, bei uns alles zu. Unser Vorschlag aus Luxemburg war, die deutschen Behörden mit 50 Luxemburger Grenzbeamten zu unterstützen. Das scheint geholfen zu haben. Wenn wir so dazu beitragen können, die Grenzen offenzuhalten, dann sehe ich nichts Negatives daran.

Was wollen Sie Ihren Außenministerkollegen am Montag beim EU-Ratstreffen sagen?

Dass das so doch nicht geht. Wir können doch nicht zwischen Deutschland und Frankreich und Luxemburg auf einmal so tun, als würden wir uns nicht kennen, als wollten wir nichts mehr miteinander zu tun haben. Als würde es Europa nicht geben. Wenn wir so weitermachen, können wir den Schengenraum vergessen – und das ist der größte Acquis, die größte Errungenschaft, den wir als Europäische Union haben.



Wie schützt man sich am besten vor einer Ansteckung?

Die Schutzmaßnahmen sind die gleichen wie bei anderen Infektionen der Atemwege: Hände regelmäßig und gründlich waschen, in den Ellbogen oder in ein Papiertaschentuch niesen und das Taschentuch sofort in einem abgedeckten Mülleimer entsorgen, Händeschütteln und Küssen vermeiden, von engem Kontakt mit kranken Menschen absehen, zu Hause bleiben, wenn man krank ist, und es unterlassen, das Gesicht mit den Händen zu berühren.

Seit dem 2. März 2020 ist eine Hotline für die Öffentlichkeit unter der Nummer 80 02 80 80 in Betrieb.

Menschen mit Symptomen einer Infektion oder solche, die aus einem Risikogebiet zurückkehren, sollen nicht zum Arzt oder in die Notaufnahme gehen, sondern die Nummer 80 02 80 80 (oder im Notfall 112) anrufen. Darüber hinaus sollten sie von Besuchen bei gefährdeten Personen absehen.

Das Coronavirus im Steckbrief

– Name: Coronavirus, Covid-19
– Übertragungsweg: Tröpfcheninfektion
– Am meisten betroffene Körperregion: Lungen
– Symptome: trockener Husten, Fieber, Atemnot
– Inkubationszeit: bis zu 14 Tagen
– Gefährlich besonders für ältere Menschen oder Personen, die schon (schwere) gesundheitliche Probleme haben

Hildegard Beck
15. April 2020 - 14.42

Ein Virus macht auch vor einer geschlossenen Grenze nicht halt. Da bin ich genau der Meinung wie die Vorgänger. Ich war immer schon gegen die offenen Grenzen, seither haben wir ganz viele Probleme, in jeder Hinsicht. Sei es die Kriminalität oder die Flüchtlingsprobleme. Sicher fühlen in Deutschland fühlt sich anders an.

Jacques Zeyen
23. März 2020 - 9.03

Und noch einmal.Das Problem ist ein europäisches Problem.Wenn Merkel die gleiche Freizügigkeit mit Europäern,also ihren Bündnisgenossen, aufbringen würde wie für Flüchtlinge,gäbe es keine Grenzprobleme. Das Virus ist omnipräsent,also was soll das Theater.Selbst in Deutschland macht jedes Bundsland was es will.Einheit sieht anders aus...

Alois
22. März 2020 - 22.33

Mit dem schliessen der Grenzen haben die deutschen Politiker ihre wahre Einstellung zur Europäischen Union gezeigt.