Gerade haben die muslimischen Bosnier unter weltweiter Medienanteilnahme des von serbischen Verbänden verübten Massakers an bis zu 8000 Jungen und Männern vor 17 Jahren gedacht. Es war das schwerste Kriegsverbrechen in Europa seit 1945. Das gleichzeitige Gedenken an die mehr als 3000 serbischen Opfer in dieser Region während des Bürgerkrieges (1992-1995) aber fand nicht den Weg in die Schlagzeilen der Weltpresse.
„Es ist bis heute immer noch das gleiche falsche Schema“, sagt Aleksandar Mladjenovic, der Pfarrer der hiesigen orthodoxen serbischen Gemeinde resigniert: „Wie im schlechten Cowboy- oder Gangsterfilm sind die Serben immer die Bösen, die bestraft werden müssen“. Es brodelt unter der Oberfläche. Die Serben provozieren die Muslime. Diese versuchen alles, um den Wiederaufbau kriegszerstörter serbischer Dörfer zu verhindern und die Serben zum Auswandern zu zwingen.
Muslimische Bosniaken und Serben
Vor dem Krieg wohnten in Srebrenica 37.000 Menschen. Knapp 80 Prozent waren muslimische Bosniaken, der Rest Serben. Die kleine Stadt stand wirtschaftlich gut da. Heilquellen speisten ein Bad, das Touristen in diese ein wenig abgelegene Gebirgsregion brachte. Der Bergbau, der hier seit der Antike betrieben wurde, beschäftigte hunderte Menschen. Die Holzindustrie sowie die Zulieferer für Autos hatten im gesamten damaligen Jugoslawien einen guten Ruf.
Heute leben noch geschätzte 5000 Menschen in Srebrenica, 3000 Bosnier, 2000 Serben. Im Sommer kommen noch 2000 Menschen hinzu, die neben ihren im Krieg zerstörten Häusern in Schuppen oder Zelten campieren. Jeder Zweite ist arbeitslos. Besserung ist trotz aller internationalen Finanzhilfen nicht in Sicht. Natürlich ist viel geschehen mit ausländischen Geldern: Es gibt eine funktionierende Wasserversorgung und Abwasserentsorgung. Auch das ruinierte Stromnetz ist wieder intakt. Viele Häuser sind wieder aufgebaut.
„Man mag uns nicht“
Doch es könnte viel besser laufen, sagen Bosnier und Serben unisono. „Man mag uns nicht“, begründet der muslimische Bürgermeister Camil Durakovic die „Zwitterstellung“ seiner Stadt: „Nicht in Sarajevo (das von Bosniern kontrolliert wird), weil wir in der serbischen Landeshälfte liegen, und nicht in der serbischen Landeshälfte, weil wir die einzige Gemeinde mit einem bosnischen Bürgermeister sind“.
Wie den Menschen in Srebrenica Knüppel zwischen die Beine geworfen werden, zeigt der Aufbau des Kurbezirks. Ein Serbe aus Prijedor hatte von der muslimischen Stadtverwaltung den Zuschlag bekommen und bereits fünf Millionen Euro in ein Stadt- und ein Kurhotel investiert. 350 Menschen sollten direkt beschäftigt werden, knapp 1000 als Zulieferer indirekt profitieren.
Baugenehmigungen mit fragwürdigen Methoden
Doch die Regierung des serbischen Landesteils in Banja Luka hatte die Baugenehmigungen mit fragwürdigen Methoden kassiert. Als auch die Gerichte der Stadtverwaltung Recht gaben, erteilte die Regierung das Nutzungsrecht für das stark eisenhaltige Quellwasser („Schwarzes Guber“) einer völlig unbekannten zwielichtigen Firma. Das Projekt liegt jetzt für viele Jahre auf Eis.
„Die Regierung tut alles, um die Wirtschaftsentwicklung Srebrenicas nach Kräften zu behindern“, sagt Nermin Alivukovic, der das Büro des Bürgermeisters leitet. „Und jetzt soll uns noch das Bürgermeisteramt von den Serben weggenommen werden“, klagt der Mann. In der Tat braut sich mit der Kommunalwahl am 7. Oktober Unheil zusammen. Angesichts des Völkermordes vor 17 Jahren und der großen Auswanderungswelle, durften bisher auch die Muslime wählen, die zwar aus Srebrenica stammten, jetzt aber in aller Welt verstreut leben. Diese Sonderregelung, mit der stets ein Bosnier an die Spitze der Stadtverwaltung gelangte, ist jetzt weggefallen. In Zukunft darf nur derjenige wählen, der einen Personalausweis besitzt, der in Srebrenica ausgestellt ist, und der auch hier lebt.
„Nicht den Hauch einer Chance“
In der Wahlliste stehen heute 8000 Serben und 4000 muslimische Bosnier. „Mathematisch haben wir nicht den Hauch einer Chance“, klagt Alivukovic. Doch das sieht der heutige Stadtratsvorsitzende Radomir Pavlovic ganz anders. „Ich bin nicht sicher, dass wir gewinnen“, sagt der Serbe und beklagt „die ungleichen und unfairen Bedingungen“. Allein die USA hätten 40.000 Dollar bereitgestellt, damit möglichst viele Bosnier nach Serbrenica gebracht werden können. Sie sollten sich in letzter Minute hier registrieren lassen, um Anfang Oktober wählen zu können. Der Stichtag ist der 23. August. „1000 Bosnier haben sich schon zusätzlich angemeldet, jeden Tag kommen rund 50 dazu“, berichtet Pavlovic. „Das wird ein Rennen mit Fotofinish“.
Die Atmosphäre ist aufgeladen. Erstmals in der Geschichte Bosniens haben sich die eigentlich zerstrittenen serbischen Parteien auf eine gemeinsame Kandidatin für das Bürgermeisteramt geeinigt. Erstmals haben auch alle muslimischen Parteien, die sich normalerweise bis aufs Messer bekämpfen, hinter den amtierenden Bürgermeister Durakovic als ihren Kandidaten gestellt.
„Nicht die Kollektivschuld eines Volkes“
Die Bosniaken laufen Sturm gegen einen möglichen Wahlsieg der Serben. Es könne nicht sein, dass die Täter in der Stadt der Opfer die Macht übernehmen. Es dürfe nicht sein, dass Politiker ans Ruder kommen, die den Völkermord leugneten. Die serbische Kandidatin Vesna Kocevic formuliert vorsichtig. Man dürfe bei dem ungeheuerlichen Verbrechen nicht von eine Kollektivschuld eines Volkes ausgehen, sagt die heutige Leiterin der Wirtschaftsabteilung in der Stadtverwaltung im dpa-Gespräch. Die individuellen Täter müssten zur Verantwortung gezogen werden, nicht ein ganzes Volk.
Schließlich müsse auch Srebrenica wie die anderen Gemeinden im ganzen Land endlich wieder nach demokratischen Regeln regiert werden: „Eine Person eine Stimme“, heiße der Grundsatz. Alle Einwohner der Gemeinde würden durch ihre Wahl zur Bürgermeisterin profitieren: „Denn bisher gab es weniger Investitionen und Unterstützungen von der serbischen Regierung, weil ein Bosnier Bürgermeister war“. Auch der serbische Stadtratsvorsitzende Pavlovic spricht von einem „politischen Neuanfang“. „Mit der Aufstellung von Vesna Kocevic als erster Frau an der Spitze einer Gemeinde in ganz Bosnien zeigen wir allen, dass wir für eine neue Politik stehen“.
„Bürger zweiter Klasse“
„Es geht um unsere Existenz“, schildert der Priester Mladjenovic die Bedeutung der bevorstehenden Abstimmung. In den letzten drei Amtszeiten muslimischer Bürgermeister seien die Serben zu „Bürgern zweiter Klasse“ geworden. Serbische Dörfer würden vernachlässigt, serbische Friedhöfe geschändet. Selbst in Schulen mit zwei Dritteln serbischer Kinder werde nach Lehrplänen der muslimischen Landeshälfte unterrichtet. Die zerstörten Moscheen seien mit großzügiger ausländischer Hilfe wiederaufgebaut worden und neue entstanden, erzählt der 26 Jahre junge Geistliche, der aus dem Nachbarort Bratunac stammt und alle Gräueltaten miterlebt hatte. Doch für die Reparatur seiner Kirche, die im Krieg als Viehstall missbraucht worden war, fehle das Geld an allen Ecken und Enden.
Im Hinterland Srebrenicas lebt der orthodoxe Mönch Luka. Der 40-Jährige hat vor einem Jahr die im Krieg angezündete kleine Kirche «Karno» wieder zum Leben erweckt. Er hält hier die serbische Stellung inmitten von muslimischen Dörfern. Die von ihm besuchten serbischen Dörfer der Gegend sind immer noch bis auf die Grundmauern zerstört. Die einstigen Einwohner sind abgewandert. „Es gibt keine Bedingungen zum Leben“, zuckt Luka die Schultern. „Keine Straßen, kein Wasser, kein Strom und keinerlei auswärtige Unterstützung“.
In Srebrenica selbst sind die Serben in einer besseren Lage und können manchmal sogar Stärke zeigen. Einen Steinwurf weit vom Friedhof Potocari, der Gedenk- und Ruhestätte tausender muslimischer Massakeropfer, steht eine kleine orthodoxe Kirche im Rohbau. „Das ist eine Verhöhnung und Erniedrigung der Opfer“, zeigt man sich in der heutigen muslimischen Stadtverwaltung erschüttert. Die Gemeinde hatte den Bau verboten, doch die serbische Regierung am Ende doch den Weiterbau durchgesetzt. In der Nachbarschaft befinden sich Schilder, die auf die vielen Massengräber mit Bosniern ganz in der Nähe hinweisen.
De Maart

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