Der Taubenzähler: Lyndon Sosa scheitert knapp am Finale

Der Taubenzähler: Lyndon Sosa scheitert knapp am Finale

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Mathematik, Backgammon und Konzentration. Diese drei Dinge braucht Lyndon Sosa für den perfekten Schuss. Der Trapschütze aus Kayl verpasste am Sonntag die Teilnahme am Finale der European Games um vier Treffer und schloss die Quali als 15. ab. Der Student glaubt jedoch weiterhin an die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio. Er macht aus diesem Wunsch aber keine Obsession.

Abwarten, nach vorne treten, Waffenöffnung auf den Fuß. Lyndon Sosa durchläuft seine Rituale. Gewehr laden, visieren, zielen. Lyndon Sosa trifft die „Taube“ und wirft die leere Patrone mit einer lockeren, aber bestimmten Handbewegung in den Korb. Das ganze Szenario wiederholt sich an einem normalen Wettkampftag 75 bis 125 Mal.

Eiskalt kalkuliert

Im Qualifikationswettbewerb ist seine Bewegung ganze 114 von 125 Mal perfekt. Trotzdem reicht es nicht, um ins Finale zu kommen, an dem nur sechs Schützen teilnehmen.
Der monotone Bewegungsablauf ist eine Kunst für sich. Nicht zu unterschätzen sind allerdings die Methoden, mit denen Sosa zwischen den Schüssen die Konzentration hält und mit denen er in den Pausen abschaltet.

Kalkül spielt in seinem Leben und auf der Bahn eine wichtige Rolle. Der Mathematik-Student befindet sich derzeit im Examensstress. Nächste Woche stehen drei Prüfungen an. Algebra, Wahrscheinlichkeitsrechnungen und Gleichungen. Zwischendurch muss er sich mit der Elite Europas im Trapschießen messen. Und auch hier kommt die Mathematik zum Einsatz. In einem Casino würde er für seine Methoden ein Hausverbot bekommen. Der Luxemburger zählt nämlich die Tauben vor dem Wettkampf. „Spätestens nach einigen Runden weiß ich, in welchem Winkel und aus welcher Richtung die Taube kommt. Ich stelle mir das visuell in den kleinen 40-Sekunden-Pausen vor“, erklärt er.

Umfeld beherrschen

Sosa will sein Umfeld beherrschen. „Ich will den fremden Stand zu meinem machen.“ Die Anlage im Sporting Club in Minsk ist ungewohnt für die meisten Schützen. Die Tauben werden nicht gleichmäßig ins Feld geschleudert. Es kann zu Verzögerung zwischen 0,1 und 0,15 Sekunden kommen. „Es ist nicht einfach, hier seinen Rhythmus zu finden. Aber ich habe das sofort gemerkt und versucht, mich der Situation anzupassen.“

Ein Trap-Wettbewerb zieht sich über mehrere Stunden hin, in denen die Konzentration immer wieder hochgefahren werden muss. Genauso wichtig sind jedoch die Entspannungsphasen. Sosa lenkt sich mit Kartenspielen und Backgammon ab. Vor seinem Auftritt macht er sich meistens 20 Minuten mit einem Tennisball warm. Das macht die Muskulatur locker und dient der Augen-Hand-Koordination. Danach schallt melodischer Heavy Metal durch die Kopfhörer. „Das pusht mich noch einmal“, sagt Sosa.

Der Luxemburger ist auf dem Platz ein Perfektionist, im Privatleben laut eigener Aussage aber eher „schlampig“. Obwohl er im Sporting Club die Taube immer wieder zersplittert, wirkt sein Blick unzufrieden. „Lyndon strebt nach Perfektion“, sagt sein Trainer Frank Best. Der Deutsche betreut Sosa seit 2013 und hat seinen Anteil zu dessen Aufstieg in der Szene beigetragen. 2016 verbesserte er den 22 Jahre alten Luxemburger Rekord von Michel Think und schoss bei der WM 2014 in Granada 123 Tauben (von 125) ab. „Damals hat er sein Potenzial gezeigt, aber es fehlte noch an Stabilität. Er war noch ein junger Schütze und musste sich erst an das internationale Klima gewöhnen.“ Danach folgte der Weltcup-Sieg Ende 2018 in Guadalajara (Mexiko). „Die Arbeit zahlt sich aus und die Entwicklung ist sichtbar“, sagt Best.

„Technischer Schütze“

Dabei ist Sosa keiner, der mehr als die Konkurrenz trainiert. „Ich bin eher ein technischer Schütze und gehe bewusst an die Sache ran. Ich brauche nicht massenhaft Wiederholungen, um ein gewisses Niveau zu erreichen. Ich kann es mir auch ehrlich gesagt nicht vorstellen, wie ich mehr als 20.000 Schüsse pro Jahr hinbekommen könnte. Studium und Sport unter einen Hut zu bekommen, ist nicht einfach“, sagt Sosa, der als 15-Jähriger mit dem Trapschießen anfing.

Das Studium ist dem Kayler wichtig, denn er weiß, dass man auch als Elitesportler auf Weltniveau von diesem Sport nicht leben kann. Sogar bei den Top-Wettbewerben gibt es keine Preisgelder. Wenn man Glück hat und gut ist, stellen Sponsoren Munition und Flinten. Ohne die Unterstützung des COSL und des nationalen Sportschießverbandes wäre eine Karriere auf diesem Niveau unmöglich. „2015 hatte ich ein volles Programm. In diesem Jahr hat der Verband 35.000 Euro für mich ausgegeben. Vor allem die Anreise und die Hotels sind teuer. Insgesamt hat dieses Jahr 45.000 Euro kostet. Am Ende bleibt nichts übrig“, erklärt Sosa.

Trapschützen sind Überzeugungstäter. „Es ist wie eine Sucht. Ich mag die Dynamik. Es ist ein tolles Gefühl, wenn der Puls hochgeht und man den Elan mitnehmen kann, um die Taube zu treffen“, erklärt Sosa seine Leidenschaft. Der Luxemburger und seine Kontrahenten werden zudem von der Konkurrenzsituation angetrieben. In wenigen Sportarten ist die Weltspitze so breit wie im Trapschießen. „Ein Weltcup kann sowohl von der Nummer 100 als auch von der Nummer 1 gewonnen werden“, sagt Trainer Frank Best.
Auch deshalb verspricht der Kampf um die restlichen Olympiatickets Spannung. Bis zu den Spielen in Tokio kann sich Sosa noch beim Weltcup in Lahti (11. bis 22. August), bei der EM in Lonato (3. Bis 17. September), bei einem Qualifikationsturnier in Châteauroux sowie über die Weltrangliste für Olympia qualifizieren. „Ich weiß, dass ich es kann, denn ich habe bereits einen Weltcup gewonnen.“ Der 26-jährige Sosa weiß auch, dass er noch einige Jahre vor sich hat. Sein gestriger Konkurrent Giovanni Pellielo aus Italien ist 48 und gehört noch immer zur Weltspitze.