KolumnePetz Lahure über den Sport in Zeiten von Corona: Der Letzte schließt die Tür 

Kolumne / Petz Lahure über den Sport in Zeiten von Corona: Der Letzte schließt die Tür 
Fußball ohne Fans in leeren Stadien. Wenn das die Zukunft sein sollte, dann „Gute Nacht, lieber Sport“. Foto: Petz Lahure

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Die Entscheidung des Luxemburger Fußballverbandes, keinen Meister für die Saison 2019/2020 zu küren, ist in der Öffentlichkeit mit viel Verständnis aufgenommen worden. Gewiss gab es auf dem Galgenberg einige enttäuschte Gesichter, doch im großen Ganzen waren die Kommentare in Bezug auf den nicht vergebenen Titel weder geharnischt noch bösartig. Egal, wie und was das oberste Fußballgremium auch beschlossen hätte, Kritiken wären nicht ausgeblieben. Dessen war man sich in der FLF von vornherein bewusst.
Bei allem Verständnis für den Titelanspruch des CS Fola aber konnten Verbandspräsident Paul Philipp und sein Verwaltungsrat die Escher nicht zum Meister machen. Immerhin standen neun von 26 Meisterschaftstreffen aus, zu holen blieben theoretisch 27 Punkte. Fast ein Drittel der Meisterschaft war nicht unter Dach und Fach, sodass die Entscheidung, weder einen Titelträger noch zwei Absteiger zu bestimmen, sich regelrecht aufdrängte.

Die Politik diktiert

Weil der Verband die beiden Ersten der Ehrenpromotion (Wiltz und Hesperingen) mit dem Aufstieg belohnen wollte, wird die Meisterschaft in der höchsten Klasse ab Herbst (falls Corona es erlaubt) mit 16 Mannschaften ausgetragen. Die vier letzten Teams müssen Mitte 2021 in die Ehrenpromotion zurück, es könnte gar einen fünften Absteiger geben, falls dieser sich im Barragespiel gegen den Dritten der Ehrenpromotion nicht durchsetzt.
In Luxemburg wurde die Fußballmeisterschaft demnach frühzeitig beendet. Die UEFA muss dem Entscheid der FLF zwar noch ihren Segen geben, doch ist das die reinste Formsache. Genauso wie der europäische Fußballverband die Nominierung von CS Fola Esch (Champions League), Progrès Niederkorn, FC Differdingen 03 und Titus Petingen (alle drei Europa League) problemlos gutheißen wird. Der FLF und der UEFA sind eigentlich die Hände gebunden. Wenn die Politik entscheidet, dass unter den augenblicklichen Gegebenheiten kein Platz für den Leistungssport ist, bleibt den Funktionären nichts anderes übrig. als mit dem Kopf zu nicken.

Viel Geld

Mit einem frühzeitigen Ende der Meisterschaft muss man sich auch in Frankreich abfinden. Im Gegensatz zu Luxemburg aber ging dort nicht alles reibungslos über die Bühne. In seiner Ansprache vor dem Parlament versetzte Premierminister Edouard Philippe der Meisterschaft in der Ligue 1 und der Ligue 2 den Dolchstoß („La saison 2019-2020 des sports professionnels, notamment du football, ne pourra pas reprendre“).
Tags darauf tagte der Verwaltungsrat der „Ligue de Football Professionnel“ (LFP) und erklärte Paris Saint-Germain zum Meister. Toulouse und Amiens müssen absteigen, wollen das aber nicht akzeptieren.
Wenn man den Kollegen von L’EQUIPE glauben darf (und warum sollte man das nicht?), riefen nach des Premierministers Rede mindestens zehn (!) Klubpräsidenten im Kabinett der Sportministerin Roxana Maracineanu an, bettelten und fragten, ob nicht doch eine kleine Möglichkeit bestehe, dass die Regierung ihre Meinung ändere. Es ginge nämlich um einen dicken Batzen Geld. Weil noch eine ganze Reihe Punkterunden zu absolvieren blieben, berief sich der Fernsehsender Canal+ auf seine Rechte und kündigte den
Vertrag mit der „Ligue“, der dadurch 243 Millionen Euro flöten gingen.

Der Querulant

Damit aber scheint der Kuchen noch nicht gegessen zu sein, denn es drohen Anfechtungen des Klassements mit möglichen Gerichtsverfahren. Größter Querulant ist einmal mehr der Präsident von Olympique Lyon, Jean-Michel Aulas, der sich mit fadenscheinigen Argumenten der Lächerlichkeit preisgibt. Weil sein Verein, der auf Platz 7 klassiert wurde, erstmals seit 1997 nicht für einen europäischen Wettbewerb
qualifiziert ist, stellt er Milchmädchenrechnungen auf und beanstandet, dass Nice (Rang 5) öfter zu Hause gespielt hat als Lyon und nur einmal gegen den PSG antrat, sein Klub dagegen zweimal. Zudem habe Lyon in der Schlussphase der Meisterschaft mindestens dreimal innerhalb von zehn Jahren zehn Punkte Rückstand auf den Zweiten wettgemacht. Aulas will Schadenersatz in mittlerer zweistelliger Millionenhöhe. „A wann s de net gees …!“
Während wie in Frankreich und Luxemburg auch in Holland ein Schlussstrich unter die Saison gezogen wurde (der Titel blieb vakant), herrscht in Belgien Unklarheit, ob es denn nun weitergeht oder nicht. Die Meisterschaft war eigentlich beendet, dann kam es zu einer Kehrtwendung, und nun wartet man auf ein Machtwort des „Conseil national de sécurité“ und der Premierministerin Sophie Wilmès.

Der „Geisterplan“

Ähnlich kann es in Deutschland verlaufen, denn auch hier hält eine Frau die Fäden in der Hand. Die Entscheidung, ob der Spielbetrieb in der ersten und der zweiten Bundesliga wieder aufgenommen wird, fällt am nächsten Mittwoch. Angela Merkel will dann darüber informieren, unter welchen Bedingungen bestimmte sportliche Betätigungen möglich sind.
Sollten die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer grünes Licht geben, könnte der Neustart des Profifußballs in Deutschland auf den 15. Mai fixiert werden. Ein Konzept für den Wiederbeginn hat die Deutsche Fußball-Liga (DFL) auch schon parat. Mit sogenannten Geisterspielen, bei denen sich im Stadion maximal 322 Personen befinden dürfen, soll es weitergehen. Am Tag vor den Begegnungen müssen alle Akteure auf Covid-19 untersucht werden. Bis zum Ende der Saison (82 Spiele in der 1., 81 Spiele in der 2. Bundesliga) würden diese Tests die schöne Stange Geld von 2,5 Mio. Euro verschlingen.
Unter den 322 Personen, die pro Spiel präsent sein dürfen (und spätestens jetzt müssen die Medien hellhörig werden), sollen neben 71 Kameraleuten, Videoassistenten und Datenanalysten nur 10 Journalisten und 5 Fotografen sein.

Pressefreiheit

Frage1: Wer bekommt Zugang?  Frage 2: Wer sucht diese Medienvertreter aus?  Der Verband Deutscher Sportjournalisten (VDS), dessen Präsident Erich Laaser Einlass für jeden akkreditierten Reporter oder Fotografen fordert, muss wachsam sein. Es besteht die Gefahr, dass die Presse unter dem Deckmantel der Präventivmaßnahmen, die hinsichtlich Covid-19 getroffen werden müssen, ganz legal ausgeschaltet wird. Die Fans aber haben Anrecht auf eine normale und ausführliche Berichterstattung, es darf nicht sein, dass zwei Handvoll (ausgewählter?) Journalisten und Fotografen ein Privileg gewährt wird.
Geisterspiele, mit denen der Luxemburger Fußballverband im letzten Herbst seine Erfahrung machte (Serbien-Luxemburg fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, nur Jugendliche durften in Belgrad ins Stadion), sind übrigens der allerletzte Quatsch. Der Fußball lebt von Emotionen, das Publikum gehört einfach dazu.

Makulatur

Genauso verhält es sich mit dem Radsport. Wer glaubt, die Tour de France oder auch nur die Vorbereitungsrennen auf die „Grande boucle“ ohne Zuschauer über die Straßen rollen zu lassen, den lässt der Sport vermutlich kalt wie einen Fisch. Der denkt vor allem ans liebe Geld.
Der internationale Verband (UCI) soll morgen Dienstag, den 5. Mai, seinen neuen Kalender (den wievielten eigentlich?) vorstellen – eine Mischung aus Utopie und Träumerei, die ganz schnell von der Realität eingeholt werden kann. Nicht in die Planung mit einbezogen werden kann einmal mehr das Coronavirus, das seit März die Marschroute im Sport bestimmt. Weil die Pandemie noch lange nicht unter Kontrolle ist, nützt es wenig, immer wieder neue Kalender zu veröffentlichen, in der Hoffnung, das Virus würde sich über Nacht davonschleichen und von selbst auflösen. Die Geschichte lehrt uns, dass schon morgen alles anders sein kann.
Wäre es nicht sinnvoller, den Dingen endlich realistisch in die Augen zu sehen? Das gilt auch für die Veranstalter der Tour de France, die lange warteten, ehe sie in die Öffentlichkeit traten und mit einer Verlegung um zwei Monate glauben, die größte Rundfahrt der Welt gerettet zu haben.

September ist nicht August

Gewiss bleiben bis zum Start am 29. August in Nizza fast vier Monate Zeit, doch müssten spätestens am letzten Dienstag die Alarmglocken geläutet haben, als der französische Premierminister Edouard Philippe in der „Assemblée nationale“ verkündete, dass vor September 2020 keine Großveranstaltungen im „Hexagon“ stattfinden dürfen. Was heißt das in Wirklichkeit? Zählt das etwa nicht für die Tour de France, die wie der Eiffelturm oder der Arc de Triomphe zum „Patrimoine national“ gehören?
Beim Veranstalter ASO scheinen die Ausführungen des Premierministers jedenfalls auf taube Ohren zu stoßen. Man vertraut der Sportministerin und schert sich im Moment nicht sonderlich darum, dass der „Grand départ“ von Nizza mit der Mannschaftsvorstellung und dem ganzen Drumherum in den August fällt. „Abwarten, die Dinge kommen lassen und nur nicht in Panik verfallen“ lautet die Devise.
Im Geheimen soll es sogar Überlegungen geben, die Fahrerzahl pro Mannschaft von acht auf sieben zu reduzieren. Davon könnten ein paar zweitklassige Teams profitieren, die im Nachhinein eine Wildcard erhalten würden. Und am Start hätte man den kommenden „Shootingstar“ Mathieu Van der Poel, der eigentlich geplant hatte, in Tokio olympisches Gold im Mountainbike-Fahren zu holen. Aber Halt! Da war doch noch etwas. Ach ja, dieses verdammte Coronavirus …