Serie „Kopfsache“LIHPS-Direktor Alwin de Prins über Sportpsychologie: „Wäre absurd, keine Begleitung in diesem Bereich anzubieten“ 

Serie „Kopfsache“ / LIHPS-Direktor Alwin de Prins über Sportpsychologie: „Wäre absurd, keine Begleitung in diesem Bereich anzubieten“ 
Alwin de Prins bietet den Sportlern, die vom LIHPS betreut werden, einfachen Kontakt zu Sportpsychologen an Foto: Editpress/Tania Feller

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Schon vor der offiziellen Eröffnung des LIHPS (Luxembourg Institute for High Performance in Sports) im Juni 2018 stand in den Statuten fest, dass Psychologie ein fester Bestandteil der Institution werden sollte. Vier Personen kümmern sich als externe Experten des LIHPS um die mentalen Zustände der Athleten – dabei geht es nicht nur um Leistungsoptimierung. Direktor Alwin de Prins legt auf diesen Bereich großen Wert. Der dreifache Olympionike erklärt in der Tageblatt-Serie „Kopfsache“, wie das LIHPS im Sektor Psychologie mit den Sportlern zusammenarbeitet.

Tageblatt: Alwin de Prins, wird das Thema Psychologie im Sport bei Athleten als Tabu-Thema aufgegriffen?

Alwin de Prins: Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass das eher selten ist. Ein Sportler ist froh über jede Unterstützung, die er bekommt. Die Psychologen sind aber immer noch mit Vorurteilen in der Gesellschaft konfrontiert: Dahin gehen nur Leute, die psychische Störungen haben. Oder: Ein Psychologe löst deine Probleme innerhalb kürzester Zeit. Das gibt es immer noch. Aber im Leistungssport sind diese Vorurteile dabei, sehr stark zu schrumpfen. In meiner Zeit als Aktiver war das noch anders.  

Inwiefern?

Während meiner sportlichen Karriere gab es sehr lange Bemühungen, Sportpsychologen zu integrieren. Allerdings wurden dabei so manche Fehler gemacht. Ein Sportpsychologe wurde früher nur zum Wettkampf mitgeschickt. So wie die Feuerwehr: Wenn es Probleme gab, kam er zu einer Sitzung, um den Sportler auf den Wettkampf vorzubereiten. Das ist natürlich utopisch. Mit der Zeit hat sich das geändert. Ich selbst habe lange mit einem Sportpsychologen zusammengearbeitet und habe das nie als Tabu-Thema empfunden. 

War für Sie deswegen von Anfang an klar, dass das LIHPS einen Psychologie-Bereich aufbauen würde?

Als LIHPS haben wir den Anspruch, den Elitesportlern das Beste an Dienstleistungen anzubieten, das es gibt. Es ist völlig normal, dass man dabei nicht nur die körperliche, sondern auch mentale Vorbereitung betrachtet. Ein Athlet, der nicht in der richtigen mentalen Verfassung an den Start geht, kann möglicherweise sogar weniger gut abschneiden als ein Athlet, der Trainingsrückstand hat. Der mentale Aspekt ist so wesentlich, dass es absurd wäre, wenn wir keine Begleitung in diesem Bereich anbieten würden. Bei der Gründung des LIHPS haben wir das Thema von Anfang an voll integriert. In den Statuten stehen alle Aktivitäten, für die wir zuständig sind. Da ist Sportpsychologie ausdrücklich erwähnt und unter den anderen Bereichen als gleichwertiger Punkt aufgeführt. Ich glaube, dass die mentale Vorbereitung sichtbarer geworden ist. Viele Tabus sind weggefallen, die Sportler reden offen darüber. Es gibt Sportarten, da ist es mittlerweile unüblich, nicht mehr mit Sportpsychologen zu arbeiten und bei großen Teams haben sie einen festen Platz im Team. 

Wie ist das Psychologen-Team des LIHPS aufgebaut?

Es gibt mit Frank Muller einen Sportpsychologen, der hauptsächlich im Bereich des Mental Coachings und der sportpsychologischen Unterstützung bei Verletzungen arbeitet. Alioune Touré ist Sportpsychologe mit einer Ausbildung im klinischen Bereich, der zudem große Sporterfahrung mitbringt: 2004 war er als Trainer bei Olympia dabei. Alain Massen ist zusätzlich Psychotherapeut und hat schon vor dem LIHPS mit Sportlern aus den COSL-Kadern zusammengearbeitet. Dr. Katy Seil-Moreels ist Psychiaterin und verfügt ebenfalls über umfangreiche Erfahrung auf dem Gebiet des Sports. Diese vier Personen sind aber keine festen Angestellten, sondern arbeiten auf Honorarbasis für das LIHPS. Wir decken also das ganze Kontinuum der mentalen Gesundheit ab: Es geht von der reinen Leistungsoptimierung bis hin zur Behandlung von psychischen Störungen. Das LIHPS bietet den Sportlern den Vorteil einer multidisziplinären Mannschaft: Geht der Sportler beispielsweise zum Sportpsychologen, der aber erkennt, dass klinische Probleme vorliegen, dann kann er ihn zu unserem Psychotherapeuten oder Psychiater weiterleiten. 

Hatten Sie zu Ihrer aktiven Karriere nicht die Möglichkeit, auf einen solchen Pool an Psychologen zurückzugreifen?

Als ich früher meine biomechanischen Untersuchungen gemacht habe, musste ich jedes Mal nach Estland fliegen. So was können sich Sportler heute gar nicht mehr vorstellen. In der Sportpsychologie war es nicht so extrem, aber ähnlich. Ich habe meinen Sportpsychologen selbst gesucht, konnte das auch beim COSL abrechnen, aber es war zumeist Eigeninitiative. Das größte Problem war jedoch, dass mein Umfeld nicht komplett vernetzt war. Viele waren gezwungenermaßen Einzelkämpfer, kein Team. Und das ist der große Vorteil vom LIHPS. Hier arbeiten alle Spezialisten um den Sportler herum in einem Team. Sie sind im ständigen Austausch und so ist die Betreuung einfach viel besser, alles ist aufeinander abgestimmt.

Gibt es noch Sportler, die in Bezug auf Psychologen noch Berührungsängste haben?

Aus eigener Erfahrung in meiner Arbeit beim LIHPS kann ich sagen, dass es bei Sportlern oft weniger Berührungsängste als in ihrem Umfeld gibt. In einigen Fällen, bei denen Sportler etwas Widerstand gegenüber Sportpsychologie zeigten, war beispielsweise der Trainer davon nicht überzeugt. Der Trainer ist aber eine wichtige Bezugsperson für den Sportler. Sie meinen das nicht schlecht, aber manche älteren Trainer kennen das aus ihrer aktiven Zeit nicht und übertragen die Berührungsängste auf ihre Sportler. Doch das sind absolute Ausnahmen und ich möchte das nicht nur auf ein Generationsproblem schieben. Wir haben sehr viele Trainer, auch ältere, die sehr konstruktiv in diesem Bereich mit uns zusammenarbeiten. Es bleiben also Einzelfälle, aber meine Erfahrung zeigt, dass es oft das Umfeld ist, das die Berührungsängste der Sportler verursacht.

Ist es heutzutage unabdingbar, einen Sportpsychologen zu haben, um die Leistung zu verbessern?

Es gibt Sportler, die sich so wohlfühlen und nie Probleme mit Druck gehabt haben, dass sie keinen brauchen. Sie können ihr volles Potenzial abrufen. Wenn ein Sportler aber sagt, dass er im Wettkampf seine Leistung nicht abrufen kann oder generell seine Leistung optimieren will, dann kann er auf den Sportpsychologen zurückgreifen. Wir würden aber niemals jemanden zwingen, sich einen Sportpsychologen zu holen. Das wäre kontraproduktiv. Die meisten sind jedoch sehr offen. 

Kann man durch die Arbeit mit einem Sportpsychologen nicht immer ein bis zwei Prozent verbessern?

Ich glaube, dass man das so allgemein nicht sagen kann. Die Frage zielt natürlich darauf ab, ob Sportler, die nicht mit einem Sportpsychologen arbeiten, nicht noch besser werden können. Ich glaube, dass das individuell ist. Manche Sportler sind in ihrem Ablauf so gefestigt, dass sie im Wettkampf ihr Können vollständig abrufen. Wenn ein Athlet keinen Sportpsychologen konsultieren möchte, dann muss man das respektieren. 

Will sich das LIHPS in Zukunft in dem Bereich der Sportpsychologie noch weiterentwickeln?

Es gibt viele Aspekte, in denen wir uns noch weiterentwickeln wollen. Im Bereich der Leistungsoptimierung hätten wir gerne weibliche Verstärkung. Es ist nicht gut, dass wir im Bereich Mental Coaching keine Frau haben. Manche Sportlerinnen sagen offen, dass sie lieber mit einer Frau als Sportpsychologin zusammenarbeiten würden. Das kann ich absolut nachvollziehen. Aber auch insgesamt würde ich mir wünschen, dass das Team größer wird. Es melden sich zwar interessierte Leute bei uns, mit sehr guten Absichten, aber wir arbeiten mit der absoluten Elite im Sport – und brauchen daher Spezialisten, die von ihrer Qualifikation, ihren ethischen Grundsätzen und ihrer Arbeitsphilosophie her in unser multidisziplinäres Team passen. Das ist keine leichte Aufgabe.


Die Tageblatt-Serie „Kopfsache“

Mentale Probleme sind zwar in der allgemeinen Gesellschaft mittlerweile etwas enttabuisiert – doch gerade im Profisport sieht das oft noch anders aus: Mit etwas nicht klarzukommen, wird oft als Schwäche gewertet – in einem Business, in dem man keine Schwächen zeigen darf. Problematisch sind vor allem mangelnde Aufklärung oder die fehlende Sensibilisierung von Funktionären, Sponsoren oder den Medien. In der Tageblatt-Serie „Kopfsache“ sprechen nicht nur Sportler über das sonst so sensible Thema. Auch andere Experten sprechen über verschiedene Aspekte des Mentalen im Sport – vom Umgang mit Depressionen bis hin zu Methoden zur Leistungsoptimierung.

26. Oktober: Ehemalige Fußball-Nationalspielerin Kim Olafsson
2. November: Sportpsychologe Frank Muller
9. November: Ehemalige Tennisspielerin Anett Kontaveit
16. November: Basketball-Nationalspielerin Joy Baum
23. November: Judoka Claudio dos Santos
30. November: LIHPS-Direktor Alwin de Prins 
7. Dezember: Psychologen des LIHPS in der Diskussion