Serie „Kopfsache“ Sportpsychologe Frank Muller: „Vor allem wegen des Stigmas reden Sportler nicht gerne über mentale Probleme“

Serie „Kopfsache“  / Sportpsychologe Frank Muller: „Vor allem wegen des Stigmas reden Sportler nicht gerne über mentale Probleme“
Frank Muller will Sportlern bei mentalen Problemen weiterhelfen  Foto: Editpress/Julien Garroy

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Frank Muller hat seine beiden Leidenschaften, den Sport und die Psychologie, verbunden: Als einer der wenigen Sportpsychologen im Land hilft er Athleten bei mentalen Problemen. Für die Tageblatt-Serie „Kopfsache“ erklärt er seinen Job, welche Grenzen er nicht überschreiten darf und warum er nicht alle Sportler aufnehmen darf. 

Tageblatt: Frank Muller, was ist die Aufgabe eines Sportpsychologen?

Frank Muller: Das ist sehr vielfältig und ganz individuell. Sportler können zum Sportpsychologen kommen, um ihre Leistung zu optimieren. Wie gehe ich in entscheidenden Situationen mit Druck um? Wie kann ich im Wettkampf konzentrierter sein? Häufig kommen Athleten zu einem Sportpsychologen, weil sie keine gravierenden Probleme haben, sondern sich einfach in verschiedenen Bereichen verbessern wollen.

Es gibt vier Grundbereiche: Athletik, Taktik, Technik und das Mentale. In allen kann man sich verbessern. Selbst Weltklasse-Athleten, die sehr gute mentale Fertigkeiten haben, arbeiten mit Sportpsychologen zusammen, um ihre Leistung noch mal um ein Prozent zu steigern. Andere Sportler können kommen, weil sie gestresst sind, sich generell nicht wohlfühlen oder sonst bei einem konkreten Problem nicht mehr weiter wissen. Das Wichtige für mich als Sportpsychologe ist dabei immer, abzusehen, ob ich mich des Sportlers mit seinen Problemen annehmen kann. 

Das bedeutet, dass Sie nicht alle Sportler aufnehmen?

Es geht erst mal darum, dass der Sportler seine Symptome erkennt. Diese können psychologisch sein, wie beispielsweise übermäßige Sorgen, Angst, Stimmungsschwankungen oder zu viel Druck. Sie können aber auch somatisch (körperlich) sein. Psychische Erkrankungen können starke Einflüsse auf den Körper haben. Man kann innere Unruhe entwickeln, Schlafprobleme oder Appetitlosigkeit haben.

Wenn der Sportler oder manchmal sogar der Trainer solche Symptome bemerkt, dann können sie sich beim LIHPS melden und eine Anfrage stellen. Der Sportler beschreibt dann seine Probleme und dann wird entschieden, was wir tun. Je nachdem, was das Problem ist, hat das LIHPS (Luxembourg Institute for High Performance in Sports) verschiedene Experten. Je näher das Problem des Sportlers an eine psychische Störung kommt, desto nötiger ist es, dass sich eine geeignete Fachkraft wie beispielsweise ein Psychiater oder Psychotherapeut um den Sportler kümmert. Hier darf ich als Sportpsychologe dann nicht mehr die alleinige Ansprechperson sein.

Frank Muller, Sportpsychologe im „Sportlycée“
Frank Muller, Sportpsychologe im „Sportlycée“

Sie arbeiten also auch eng mit Psychiatern oder Psychotherapeuten zusammen?

Beim LIHPS haben wir ein multidisziplinäres Team. Neben Sportpsychologen gibt es auch noch Mitglieder, die als Psychotherapeut oder Psychiater ausgebildet sind. Es geht darum, den Sportler bestmöglich zu unterstützen. Wir haben beispielsweise auch Ernährungsberaterinnen, die im Falle von Essstörungen eine wichtige Rolle spielen können. Das Gute dabei ist, dass alle Experten zusammenarbeiten – natürlich nur im Einverständnis des Sportlers. Dieser multidisziplinäre Ansatz ist extrem wichtig. So arbeitet nicht jeder Experte auf seiner kleinen Insel mit dem Sportler – sondern der Sportler merkt, dass wir gemeinsam im Team kommunizieren, um ihn zu unterstützen. 

Optimal wäre es, wenn der Sportler sich so wohlfühlt, dass er mit seinem ganzen Umfeld offen redet. Dazu gehört dann auch der Trainer oder der Physiotherapeut. Mit dem Trainer ist der Sportler jeden Tag im Kontakt. Es ist schon sehr sinnvoll, wenn der Trainer über alles Bescheid weiß. Häufig wollen die Sportler wegen der Stigmata nicht mit vielen Personen darüber sprechen. „Wie sehen mich dann andere Leute?“ „Verliere ich meinen Vertrag oder das Sponsoring?“ „Werde ich als schwach angesehen?“ Das sind dann die Gedanken, die Sportler haben. Das ist ein Problem. 

Ist Psychologie in der Welt des Sports weiterhin ein Tabu-Thema?

Ja, definitiv. Die Stigmata sind der Hauptgrund, warum Sportler einerseits nicht gerne über mentale Probleme reden und andererseits womöglich auch keine Hilfe holen – obwohl sie Hilfe benötigen. Die Kenntnis über mentale Gesundheit – also was es für psychische Erkrankungen gibt, welche Risikofaktoren es gibt oder welche Symptome man haben kann – ist ein allgemeines Problem in der Bevölkerung.

Viele sind nicht aufgeklärt genug. In der Fachliteratur gibt es „public stigma“, also was die Gesellschaft über mentale Gesundheit und Menschen, die psychische Störungen entwickeln, denkt. Dann hast du „self stigma“, also was die Sportler über sich selbst denken. Gerade männliche Sportler leiden hier häufig unter der „hypermasculinity“, übertriebener Männlichkeit: Ich muss als Mann mit meinen Problemen alleine klarkommen und darf weder Schwäche noch Emotionen zeigen. All das führt oft dazu, dass sich Menschen und Sportler keine Hilfe holen. 

Zur Person: Frank Muller

Bis zu seinem Karriereende im Jahr 2021 spielte Frank Muller für den T71 Düdelingen und die Basketball-Nationalmannschaft. „Als Spieler habe ich selbst gemerkt, wie wichtig die mentale Komponente im Sport ist“, sagt Muller. „Du brauchst gewisse mentale Fertigkeiten, damit du konstant deine Leistungen abrufen kannst.“ Durch Zufall habe er herausgefunden, dass er Sportpsychologie studieren könnte. In Luxemburg machte er seinen Bachelor-Abschluss in Psychologie, in Berlin spezialisierte er sich durch einen Master-Abschluss auf Sportpsychologie. Seit 2020 ist er fest angestellt beim „Sportlycée“ sowie externer Experte beim LIHPS und COSL. Er ist vom europäischen Dachverband der Psychologen und der europäischen Vereinigung für Sportpsychologie zertifiziert.

Sollten sich Sportler für Hilfe eines Sportpsychologen entscheiden, wie sieht die Kontaktaufnahme aus?

Anfangs geht es um den Beziehungsaufbau zwischen Sportler und Psychologe. Wir lernen uns kennen und dann schauen wir, ob das passt. Stimmt die Chemie? Bin ich für den Sportler die richtige Ansprechperson? Es ist wichtig, dass ich als Sportpsychologe meinen Kompetenzbereich kenne, aber auch die Grenzen davon. In einem Erstgespräch stelle ich aber auch eine Anamnese auf und gebe dem Sportler Informationen mit. Die Sportler sollen oder können dann in Ruhe mit einer Vertrauensperson sprechen und sich dann noch mal bei mir melden. Die Beziehung zwischen Sportler und Sportpsychologen ist das A und O. Wenn sich der Athlet nicht wohlfühlt, dann ist es sehr schwierig, eine erfolgreiche Zusammenarbeit zu führen. 

Wie sieht eine Sitzung bei Ihnen aus?

Generell gehe ich davon aus, dass eine Sitzung etwa 60 Minuten dauert. Man kann sich auch mal mehr Zeit nehmen, wenn man sich länger nicht gesehen hat. Es läuft aber immer sehr individuell ab. Die Athleten bringen ihre Themen mit und dann ist es sehr wichtig, dass uns klar wird, was der Athlet will. Ich gebe ihm nicht seine Ziele für unsere Zusammenarbeit vor, kann ihm aber helfen, diese auszuarbeiten. Ich visualisiere viel am Whiteboard, das hilft häufig, gedanklich aus dem Kopf rauszukommen, wenn man Dinge vor Augen sieht. Manchmal haben wir Sessions draußen. Viele Sportler sind es gewohnt, sich zu bewegen. Ihnen fällt es leichter, in der Bewegung zu reden. Einige Sportler sehe ich nur in echt, andere viel über Videoanrufe, weil sie viel reisen. 

Die Tageblatt-Serie „Kopfsache“

Mentale Probleme sind zwar in der allgemeinen Gesellschaft mittlerweile etwas enttabuisiert – doch gerade im Profisport sieht das oft noch anders aus: Mit etwas nicht klarzukommen, wird oft als Schwäche gewertet – in einem Business, in dem man keine Schwächen zeigen darf. Problematisch sind vor allem mangelnde Aufklärung oder die fehlende Sensibilisierung von Funktionären, Sponsoren oder den Medien. In der Tageblatt-Serie „Kopfsache“ sprechen nicht nur Sportler über das sonst so sensible Thema. Auch andere Experten sprechen über verschiedene Aspekte des Mentalen im Sport – vom Umgang mit Depressionen bis hin zu Methoden zur Leistungsoptimierung.

26. Oktober: Ehemalige Fußball-Nationalspielerin Kim Olafsson
2. November: Sportpsychologe Frank Muller
9. November: Ehemalige Tennisspielerin Anett Kontaveit
16. November: Basketball-Nationalspielerin Joy Baum
23. November: Judoka Claudio Dos Santos
30. November: LIHPS-Direktor Alwin de Prins 
7. Dezember: Psychologen des LIHPS in der Diskussion

Ist ein Sportpsychologe in der heutigen Zeit unabdingbar, um seine Leistung zu optimieren?

Nein, das würde ich nicht sagen. Jeder kann vom Sportpsychologen profitieren, aber keiner muss. Es gibt Weltklasse-Sportler, die bestimmt noch nie mit einem Sportpsychologen zusammengearbeitet haben. Aufgrund der Komplexität, die heute im Leistungssport herrscht, und des ständigen Drucks von außen haben viele Athleten aber erkannt, dass sie durch die Arbeit mit Sportpsychologen profitieren können. Dabei geht es nicht nur um Leistungsoptimierung, sondern auch um die Aufrechterhaltung der mentalen Gesundheit – beides geht Hand in Hand. 

Ihre Aufgabe ist es, den Sportlern auf dem Weg zur Lösung zu helfen, richtig?

Ich verfolge den Ansatz, dass die Sportler über die nötigen Ressourcen verfügen, um ihre eigenen Lösungen zu finden. Die Sportler sind Experten für sich selbst. Ich sehe meine Rolle darin, sie dabei zu unterstützen. Aufgrund von bestimmten Fragen, Techniken oder Methoden kann ich ihnen auf ihrem Weg helfen. Es geht viel mehr darum, dass sich die Sportler selbst kennen, auf sich selbst hören und ihre eigenen Gedanken und Emotionen besser verstehen. Dann können sie am Ende ihre eigenen Lösungen generieren. Es ist nicht so, dass der Sportler zu mir kommt, sich hinsetzt und ich ihm eine Lösung gebe. Die Hauptverantwortung für ihre eigene Entwicklung tragen die Sportler selbst.

Gibt es andere Möglichkeiten, sich in Luxemburg Hilfe eines Sportpsychologen zu holen?

Das LIHPS ist ja tatsächlich den luxemburgischen Eliteathleten vorbehalten. Im Jugendbereich können Sportler aus Nationalkadern auch auf meine Dienste im „Sportlycée“ zurückgreifen. Darüber hinaus gibt es meines Wissens vielleicht noch ein paar weitere Psychologen, die nebenbei im Sportbereich arbeiten. Dann gibt es auch noch „Mental Coaches“ oder „Mentaltrainer“. Generell sollte man einfach wissen, dass es in Luxemburg in diesem Bereich momentan noch keine Regularien gibt und es daher als Sportler wichtig ist, sich im Vorfeld über die Ausbildung der Person zu informieren, mit der man zusammenarbeiten will.