Serie „Kopfsache“ „Du weinst alleine“: Kim Olafsson über den schmerzhaften Abschied vom Profifußball

Serie „Kopfsache“  / „Du weinst alleine“: Kim Olafsson über den schmerzhaften Abschied vom Profifußball
Kim Olafsson will sich nach ihrer aktiven Karriere als Trainerin versuchen Foto: Editpress/Alain Rischard

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Sie galt als eines der größten Talente im luxemburgischen Fußball: Kim Olafsson spielte mit 17 Jahren in der 2. Bundesliga und wurde früh für die A-Nationalmannschaft nominiert. Doch immer wieder warfen sie Verletzungen zurück, bis sie ihre Karriere mit 24 Jahren beenden musste. Für die Tageblatt-Serie „Kopfsache“ gewährt sie tiefe Einblicke in ihren mentalen Zustand während sowie nach ihrer aktiven Zeit – und erklärt, warum Sportpsychologe Frank Muller in dieser Zeit zu einer wichtigen Person wurde.

Es ist ein ungewöhnlich warmer Oktoberabend in Hamm. Die Bedingungen für das Training der weiblichen U11 könnten auf dem Kunstrasenplatz kaum besser sein. Doch für „Neymar“ geht es vorerst nicht weiter. Das zehnjährige Mädchen, welches das Trikot des brasilianischen Superstars trägt, bricht die Dribbel-Übung ab und setzt sich in den Schneidersitz auf den Boden. Kim Olafsson erkennt das. Die 25-Jährige trägt einen schwarz-grauen Trainingsanzug der FLF, zwei Logos des nationalen Fußballverbandes zieren ihre Kleidung. Sie ist eine von drei Trainern an diesem Abend. Olafsson hockt sich neben das „Neymar“-Mädchen, dehnt die Wade, gibt ihm ein paar aufmunternde Worte mit – ehe der Neymar-Fan erst leicht humpelnd, dann aber problemlos das Training fortsetzt.

So einfach kann es manchmal sein, mit Verletzungen im Fußball. Doch ganz so leicht wie dieses Mädchen hatte Olafsson es nicht. Bei ihr halfen weder Dehnübungen noch aufmunternde Worte. Dreimal musste sie operiert werden, am Ende führten ihre Verletzungen sogar zum Karriereende – die körperlichen Belastungen wurden mit der Zeit vor allem zur Kopfsache.

Auf diesem Foto von 2014 ist Olafsson zusammen mit Maria Martinez Galaz zu sehen. Damals spielte sie noch für Canach.
Auf diesem Foto von 2014 ist Olafsson zusammen mit Maria Martinez Galaz zu sehen. Damals spielte sie noch für Canach. Foto: Editpress-Archiv/Jerry Gerard

Olafssons Talent wird früh erkannt: Mit 15 Jahren führt sie Canach mit zwei Toren im Finale zum Pokalsieg. Scouts des 1. FFC Frankfurt entdecken die Luxemburgerin – und geben ihr die Chance ihres Lebens. Sie schließt sich dem Klub vom Main an, darf ein Jahr später sogar für Island bei der U17-EM-Endrunde auflaufen. Die Probleme beginnen mit dem Übergang in den Damen-Bereich: Die Zweikämpfe sind härter, die Trainingseinheiten intensiver – insgesamt ist es eine deutlich größere körperliche Belastung.

Am 1. April 2017 findet sich Olafsson erstmals nach langer Zeit in der ersten Elf wieder. Die zweite Mannschaft des 1. FFC Frankfurt muss auswärts beim 1. FC Köln ran. Tolle Anlage, guter Platz, alles angerichtet – doch nach 25 Minuten wird die Luxemburgerin in einem Zweikampf hart angegangen. Olafsson liegt auf dem Platz, hält sich das Knie, befindet sich im Schockzustand. Die Diagnose kommt einen Tag später: Kreuzbandriss im linken Knie. Mit 18 Jahren.

Sie lebt zu diesem Zeitpunkt mit Mitspielerinnen in einer Frankfurter Wohngemeinschaft. Ihre Eltern leben im 240 Kilometer entfernten Luxemburg. Olafsson muss alleine zum Arzt, alleine zum Physio, alleine ihren Alltag meistern. Unterstützung bekommt sie von ihrer Mannschaft, doch „es ist keiner da, der dich in den Arm nimmt. Du weinst alleine“, sagt sie. Es ist eine harte Zeit für die 1,72 Meter große Fußballspielerin – und das in einer Stadt, die mit all den Wolkenkratzern, den vielen Menschen und der bleibenden Einsamkeit nur so auf sie einzustürzen scheint.

Erstes Comeback

Doch lange lässt sich Olafsson nicht unterkriegen: Sie will so schnell wie möglich wieder auf den Platz zurück. Sie nimmt den Kampf auf, Tag für Tag. Körperlich wie auch mental: Nach der Operation geht es in die Reha. Sie fährt von einem Termin zum nächsten, von einem Physio-Besuch zum nächsten, von einem Spiel ihrer Mannschaft zum nächsten.

Aus Tagen werden Wochen, dann Monate – und bald spürt Olafsson erste Zweifel, ob der Atem wirklich lang genug ist. „Nach dem Eingriff siehst du schnell deine Fortschritte: die ersten Schritte mit Krücken, dann kannst du ohne Hilfe selbst gehen und irgendwann kannst du wieder laufen, das ist wirklich ein tolles Gefühl. Doch dann siehst du keine Fortschritte mehr. Das ist nicht gut für den Kopf.“

Olafsson fühlt sich alleine. Wenn sie in ihrem grauen Auto durch Frankfurt fährt und ein sentimentales Lied aus ihrer Playlist läuft, bricht es aus ihr heraus. „Ich bin nicht der Typ, der vor dem Schlafengehen weint. Aber im Auto bei der passenden Musik, da kamen mir die Tränen.“

Die nächsten Verletzungen

Olafsson hält dem Druck stand: Am 26. August 2018, fast anderthalb Jahre nach ihrer Verletzung, feiert sie ihr Pflichtspiel-Comeback – auswärts, wieder gegen den 1. FC Köln. Doch lange bleibt sie nicht verschont: Sie absolviert gerade einmal drei Pflichtspiele, dann verletzt sie sich wieder am Knie, diesmal trifft es den Innenmeniskus. Es folgt eine weitere OP, Reha, bis zum Re-Comeback. Sie ist wieder auf dem Platz, doch dauert es nicht lange, bis sie sich erneut verletzt. 2019 ist es wieder der Innenmeniskus, wieder muss sie operiert werden, wieder fängt alles von vorne an. Und sie beginnt sich Fragen zu stellen. „Warum passiert mir das alles? Das hat mich am meisten beschäftigt. Aber es war unmöglich, eine Antwort darauf zu finden“, sagt sie.

Du kannst einer Person deine Verletzung erklären. Aber wenn diese Person noch nie verletzt war, dann wird sie nicht ansatzweise verstehen können, was du empfindest. Weder körperlich noch mental. Ich war im Kopf sehr durcheinander.

Die Zeit in Frankfurt wird für sie immer schwerer. Vor allem die Spiele ihres Teams, die sie als Zuschauerin besucht, werden zur nervlichen Belastung. Kaum betritt sie den Platz, muss sie sich den Fragen der Anwesenden stellen. „Wie läuft die Reha?“, „Hast du Schmerzen?“, oder „Wann kommst du wieder?“. Sie antwortet aus Höflichkeit, dann geht sie weiter – bevor die nächste Person fragt. „Ich weiß, dass niemand es mit diesen Fragen böse meint. Aber es sind immer die gleichen Fragen. Das ist mental belastend.“

Aber Olafsson kämpft sich zurück – erneut. Und sie beschließt, sich neben Trainern und Physiotherapeuten weitere Unterstützung zu holen. „Du kannst einer Person deine Verletzung erklären. Aber wenn diese Person noch nie verletzt war, dann wird sie nicht ansatzweise verstehen können, was du empfindest. Weder körperlich noch mental. Ich war im Kopf sehr durcheinander. Ich hatte das Gefühl, dass mir jemand helfen müsste, mich auf den richtigen Weg zu bringen.“ Olafsson kontaktiert den luxemburgischen Sportpsychologen Frank Muller.

Kontakt zum Sportpsychologen Muller

Die Fußballspielerin erzählt ihrer Familie von Muller. Doch die Reaktionen fallen nicht so aus, wie Olafsson sich das vorgestellt hat. „Meine Mutter wusste gar nicht, was sie dazu sagen sollte. Sie sagte irgendwann, dass ich mir ja auch Bücher kaufen könnte“, erinnert sie sich. „Sie sagte, dass ich auf die Zähne beißen soll. Mein Vater hat mir Sprüche gesagt wie ‚Kopf hoch‘. Er wusste eben auch nicht, was er sagen soll. Und meine Oma hat überhaupt nicht verstanden, was ich da mache. Sie haben alle gedacht, dass ich sie nicht mehr alle hätte.“

Ich war nicht mehr die Kim, die Fußball spielt – sondern die Kim, die immer nur verletzt ist. Das hat mir schon sehr wehgetan.

Sie hat die ersten Treffen mit Muller, bevor sie wieder ins Gespräch mit ihrer Familie geht. Olafsson nennt ihn „Mental Coach“, was weniger abschreckend auf ihre Verwandten wirken soll. Als RTL eine Reportage über ihr Comeback dreht, regt sie an, auch den Sportpsychologen darin vorkommen zu lassen.

Der Beitrag sorgt schließlich auch dafür, dass ihre Familie sie besser versteht. „Sie kommen alle aus einer anderen Generation, da war das Wort ‚Psychologe‘ noch mehr Tabu-Thema als es heute ist. Es ist aber schade, dass wir heute in der Hinsicht nicht aufgeklärter sind.“

Als schließlich die Corona-Pandemie auch den Fußball in den Lockdown schickt, zieht Olafsson wieder nach Luxemburg. Sie bekommt mit, was die Menschen im Land hinter ihrem Rücken sagen. „Ich war nicht mehr die Kim, die Fußball spielt – sondern die Kim, die immer nur verletzt ist. Das hat mir schon sehr wehgetan. Das haben Menschen gesagt, die noch nie so etwas durchgemacht haben. Ich wünsche keinem eine Verletzung, aber wenn man nur mal reinschnuppern könnte, wie so ein Alltag aussieht, dann würde man nicht so reden.“

Schritt nach Elversberg

Auch, um mit solchen Reaktionen umgehen zu können, geht sie zu Muller. Sie setzt sich aber nicht in sein Büro im „Sportlycée“, lieber geht sie mit ihm auf dem weitläufigen Gelände spazieren. Große Sorgen bereitet Olafsson in dieser Zeit die Fusion ihres Klubs mit der SG Eintracht Frankfurt. Sie wird zwischenzeitlich zum Training mit der dritten Mannschaft verdonnert, was an ihrem Ego kratzt. „In dem Moment war es sehr wichtig, bei Frank zu sein“, sagt sie. „Ich war wirklich unzufrieden und er hat mich auf den richtigen Weg gebracht. Ich hatte Angst, nicht auf meinem Niveau spielen zu können. Ich wollte weg und befürchtete, keinen Verein zu finden.“

Kim Olafsson musste ihre Karriere nach drei Operationen beenden
Kim Olafsson musste ihre Karriere nach drei Operationen beenden Foto: Editpress/Alain Rischard

Lösungen hat Muller nicht parat – das hat kein Psychologe. Doch – und das ist sein Job – hilft er ihr auf dem Weg zur Lösung. „Ich weiß nicht, wie er es macht. Aber nach Konversationen mit ihm ist in meinem Kopf alles geordnet, aufgeräumt“, sagt Olafsson. Sie findet Kontakt zum SV Elversberg, schließt sich dem Zweitligisten an. Mittlerweile, es ist Sommer 2021, hat sie ein Sportwissenschafts-Studium an der Lunex begonnen, weswegen sie von Luxemburg ins Saarland pendelt.

Morgens um 8 Uhr beginnen die Vorlesungen, nachmittags fährt sie eineinhalb Stunden zum Training. Und abends wieder zurück. Es wird eine mentale, aber auch körperliche Herausforderung. Weil es ihr zu viel wird, wechselt sie bereits im Winter nach Wormeldingen, um vor allem den Spaß am Fußball wiederzufinden. Ein halbes Jahr später schließt sie sich dem RFCUL an.

Verpasste Highlights

Im Freundschaftsspiel gegen eine französische Auswahl geht Olafsson zu Boden – sie hat große Schmerzen, hält sich das rechte Knie. Irgendwie schüttelt sie den Schmerz raus, spielt noch eine halbe Stunde weiter. Der nächste Tag: Geschwollenes Knie, Panik, MRT. Das Ergebnis: ein Knochenmarködem, auch bekannt als „Bone bruise“. Wieder steht eine lange Pause an, wieder viel Reha – doch ihre Kräfte sind langsam aufgezehrt.

Alle Verletzungen, die sie bisher hatte, waren am linken Bein – nun folgt das rechte. „Ich habe direkt gedacht: Das ist mein gesundes Knie, da war noch nie was dran. Ich höre mit dem Fußball auf.“ Es ist eine Kurzschlussentscheidung, doch Olafssons vierte Verletzung macht etwas mit ihr. Als sie ihre Diagnose in ihrer Mannschaftsgruppe auf WhatsApp teilt, folgen die üblichen Reaktionen: „Gute Besserung“ oder vor allem aber „Come back stronger“.

„Solche Sprüche konnte ich nicht mehr hören. Ich habe mir gedacht, wenn mir noch eine Person so etwas schreibt, dann lösche ich alle Profile auf Social Media.“ Die damals 24-Jährige schottet sich ab. Sie geht nicht zu den Trainingseinheiten ihres Teams, nicht zu den Spielen. Sie löscht auf Social Media alles, was mit Fußball zu tun hat. Noch frustrierender wird es, als sie realisiert, dass sie nicht nur das Champions-League-Qualifikationsspiel gegen Juventus Turin, sondern auch das WM-Qualifikationsspiel gegen die frisch gekürten Europameisterinnen aus England vor 30.000 Zuschauern verpasst.

Identitätskrise

Sportpsychologe Muller wird in dieser Phase wichtiger denn je. „Körperlich ist eine solche Verletzung anstrengend, keine Frage“, erzählt Olafsson. „Aber mental ist der Schmerz viel größer. Am Körper siehst du die Besserungen. Aber innen drin, das sieht keiner. Und das ist mindestens genauso wichtig.“ Durch Muller hat Olafsson das „Journaling“ entdeckt. Sie schreibt ihre Gedanken in ein Buch und reflektiert sie. „Es ist nicht so, wie viele es sich vorstellen. Es fängt nicht mit ‚Liebes Tagebuch …‘ an. Ich ordne meine Gedanken und teile Negatives, aber auch Positives.“

Kurz nach ihrer vierten Verletzung fährt ihre Familie nach Südfrankreich in den Urlaub. Es ist August, Olafsson hat sich spontan entschieden, mitzufahren. In Saint-Rémy-de-Provence hat die Familie ein Haus gemietet. Es ist ruhig, Olafsson ist fern von den ganzen Fragen, fern vom Fußball, fern von all dem, was sie verrückt macht.

Ich musste etwas Neues finden, worin ich gut bin. Mein Studium ist interessant, aber ganz ehrlich: Studium und sonst nichts? Das kann ich nicht.

An Sport ist im Urlaub sowieso nicht zu denken – zu groß sind die Schmerzen im Knie. Olafsson hat Zeit, viel Zeit, um über sich und ihre Zukunft nachzudenken. Nach dem Aufenthalt steht für sie fest: Mit dem Fußball sollte es das für sie gewesen sein. Schluss mit dem, was den größten Teil ihres bisherigen Lebens ausmachte.

Der Entschluss ist gefasst, doch Olafsson rutscht in eine wahre Identitätskrise. Ihr Karriereende spricht sich in Luxemburg rum. Bekannt als die Kim, die immer am Ball ist, spielt sie plötzlich keinen Fußball mehr. „Wer bist du? Das habe ich mich gefragt. Ich musste etwas Neues finden, worin ich gut bin. Mein Studium ist interessant, aber ganz ehrlich: Studium und sonst nichts? Das kann ich nicht.“ Mit dem Fußball fällt Olafssons Lebensinhalt weg. Die Entscheidung, aufzuhören, nimmt auch auf ihre Charaktereigenschaften Einfluss. „Ich wusste nicht mehr, wohin mit mir. Überall, wo ich war, habe ich mich fehl am Platz gefühlt. In der Uni war ich immer selbstbewusst, habe viel geredet. Das war nicht mehr so. Das ist mir alles erst später aufgefallen.“

„Macht mich müde“

Sie meidet den Fußball weiter. Die Männer-WM im Dezember kann sie sich anschauen, weil das eben nicht das Niveau sei, auf dem sie spiele. Viel mehr schmerze es, Teamkolleginnen zuzuschauen. So ganz kann sie dem Fußball aber nicht entfliehen. In einer WhatsApp-Gruppe mit ihren besten Freundinnen Laura Miller, Marta Estevez und Emma Kremer, alles luxemburgische Nationalspielerinnen, dreht sich praktisch alles um das Spiel mit dem Ball. „Es gab eine Zeit“, erinnert sich Olafsson, „da haben die drei eine eigene Gruppe aufgemacht. Sie haben gemerkt, dass es mich belastet, dass sie ständig über Fußball reden. Das haben sie mir mitgeteilt. Ich fand das gut, sehr empathisch. Es tut einfach weh, wenn man die Fortschritte einer Mannschaft sieht und nicht dabei sein kann.“

Ich mag sowieso schon kein Smalltalk. Und dann ist es immer dasselbe. Man müsste mal mit einem Aufnahmegerät aufnehmen, wie oft man das Gleiche gefragt wird.

Mehr als ein Jahr vergeht. Die Schmerzen im Knie kommen immer wieder, das Studium an der Lunex läuft weiter und auch die Gespräche mit Muller werden nach ihrer Karriere weitergeführt. Ein Damen-Fußballspiel hat sie seit ihrer letzten Verletzung nicht besucht. Bis zum September 2023. Die Luxemburgerinnen treffen in der Nations League auf Georgien. „Ich wollte wirklich nicht dort hin“, erinnert sich Olafsson. „Nicht, weil ich nicht will. Aber die Mannschaft spielen zu sehen, sich den Fragen von allen Personen zu stellen … das hat mir ein ungutes Gefühl gegeben.“ Olafsson wird von Miller, der zu diesem Zeitpunkt verletzten Kapitänin der Auswahl, mit ins Stadion genommen. Sie kommen erst zum Anpfiff an – als bereits alle Zuschauer Platz genommen haben. „Ich musste an der ganzen Tribüne vorbei. So viele bekannte Gesichter …“ Olafsson beeilt sich, will den Fragen aus dem Weg gehen.

Während des Spiels fiebert sie mit, jubelt beim 1:1-Ausgleichstreffer von Joana Lourenco. Doch schon in der Halbzeitpause, aber vor allem nach dem Spiel muss sich Olafsson den Fragen stellen. „Ich mag sowieso schon kein Smalltalk“, sagt sie. „Und dann ist es immer dasselbe. Man müsste mal mit einem Aufnahmegerät aufnehmen, wie oft man das Gleiche gefragt wird. Es fragen mich Leute wirklich, ob ich nicht wieder anfangen will. Sie sagen: ‚Überleg es dir doch noch mal.‘ Nein, ich habe aufgehört. Hör auf. Das ist, was ich dann denke. Es ist für mich sehr schwer, mit all dem umzugehen, und dann kommen noch solche Konversationen. Das macht mich nicht traurig, aber es ist anstrengend. Es macht mich müde.“

Respekt vor der Zukunft

Um 23 Uhr ist Olafsson nach dem Spiel zu Hause, gegen 3 Uhr, so erinnert sie sich, soll sie eingeschlafen sein. „Ich habe einfach darüber nachgedacht, wie gerne ich geholfen hätte. Nicht, dass ich es auf dem Platz besser gemacht hätte. Aber ich wäre gerne dabei.“

Olafsson hat Respekt vor der Zukunft. Auch, weil die Probleme mit dem Knie noch nicht ganz verschwunden sind. Im Juli 2023 erkundet sie einen Tag lang Barcelona, am Abend ist der Kühlakku am Knie ihr bester Freund. Auch an die Hyaluronspritzen, die sie alle sechs Monate bekommt, muss sie sich gewöhnen. Gerne würde sie Sportlehrerin werden, doch wie soll sie bis ins hohe Alter Übungen vormachen, wenn jetzt schon das Knie vom Spazierengehen schmerzt? Sie stellt sich Fragen, auf die sie jetzt noch keine Antworten findet.

Während des Trainings mit der U11 macht sich Olafsson über all diese Probleme keine Gedanken. Auf dem Platz fühlt sie sich von den Problemen losgelöst – auch, wenn sie ihr Wissen und ihre Erfahrung an die jüngere Generation nur weitergeben kann und nie mehr selbst eingreifen wird. Als Trainerin ist sie einfühlsam, das hat auch „Neymar“ an diesem Abend geholfen. Und das ist, wo sich Olafsson aktuell sieht.

Die Tageblatt-Serie „Kopfsache“

Mentale Probleme sind zwar in der allgemeinen Gesellschaft mittlerweile etwas enttabuisiert – doch gerade im Profisport sieht das oft noch anders aus: Mit etwas nicht klarzukommen, wird oft als Schwäche gewertet – in einem Business, in dem man keine Schwächen zeigen darf. Problematisch sind vor allem mangelnde Aufklärung oder die fehlende Sensibilisierung von Funktionären, Sponsoren oder den Medien. In der Tageblatt-Serie „Kopfsache“ sprechen nicht nur Sportler über das sonst so sensible Thema. Auch andere Experten sprechen über verschiedene Aspekte des Mentalen im Sport – vom Umgang mit Depressionen bis hin zu Methoden zur Leistungsoptimierung.

26. Oktober: Ehemalige Fußball-Nationalspielerin Kim Olafsson
2. November: Sportpsychologe Frank Muller
9. November: Ehemalige Tennisspielerin Anett Kontaveit
16. November: Basketball-Nationalspielerin Joy Baum
23. November: Judoka Claudio Dos Santos
30. November: LIHPS-Direktor Alwin de Prins 
7. Dezember: Psychologen des LIHPS in der Diskussion