Gegenpressing – die EM-KolumneSchmerz, lass nach

Gegenpressing – die EM-Kolumne / Schmerz, lass nach
Kalt und warm gewohnt: Radfahren ist im Vergleich zu Fußball ein Sport, kein Spiel   Foto: AP/dpa/Daniel Cole

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Das Leiden der Männer steuert seinem Höhepunkt entgegen. Der zweite EM-Finalist wird ermittelt, wobei die Engländer höllisch aufpassen müssen, den Willen und die Leidensfähigkeit der Dänen nicht zu unterschätzen. Denn Wikipedia weiß: „Sie betreiben den ufernahen Raub zeitweise und in einem frühen Lebensabschnitt. Es sind junge Männer, die aus der heimatlichen Gebundenheit ausbrachen und Ruhm, Reichtum und Abenteuer in der Ferne suchten.“

Immerhin können sich die heutigen Gegner zumindest in der Trinkfestigkeit das Wasser reichen. Eine Verlängerung würde der gebeutelten Bierindustrie, die in ihrer Not immer mehr auf isotonische Mischgetränke setzt, vermutlich Rekordumsätze bescheren. Diese Radlergetränke sind, wie es der Name schon verrät, bei Radlern sehr beliebt, um den Mineralhaushalt ins Gleichgewicht zu kriegen. Das ist beim zweiten sportlichen Superspreader-Event zurzeit nicht anders. Wie bei der EM fallen auch bei der Tour de France die Masken. Wenn es heute gleich doppelt den Mont Ventoux hinauf geht, dann erinnern die Fernsehbilder an Zeiten, in denen Corona noch ein harmloses Bier war, dem man eine Zitrone in den Hals stecken muss, damit es zumindest ein wenig Geschmack hat.

Hunderttausende stehen bei der Tour am Straßenrand, als ob es die Pandemie nie gegeben hätte. Sie wollen die Fahrer leiden sehen, womit sich der Radsport- fundamental vom Fußballfan unterscheidet. Letzterer will niemanden leiden sehen. Weil er sich nicht sicher sein kann, dass ein Kicker wirklich Schmerzen hat. Kollegin Diederich schrieb an dieser Stelle von der Wunderheilung des italienischen Stürmers Immobile. Sie weiß im Gegensatz zu Immobile, was Leiden ist, denn sie kommt aus dem Ösling, arbeitet in der Sportredaktion, hat zwei Töchter geboren und schafft 80 kg im Kreuzheben.    

Im Vergleich zu Radprofis sind alle Fußballer Immobiles, also Weicheier. Schauspielerei ist auf dem Rad nicht möglich und ein Sturz auf Asphalt tut verdammt weh. Der Radprofi aber wälzt sich nicht auf dem Boden herum. Er schüttelt sich und versucht, weiterzufahren. Bis zu 8.000 Kilokalorien Energie braucht er, um das Ziel zu erreichen. Bei einem Fußballprofi sind es ca. 1.500 in 90 Minuten. Fazit des früheren Sportlichen Leiters Jean de Gribaldy: „Radfahren ist kein Spiel, Radfahren ist ein Sport. Hart, unnachgiebig und unerbittlich und man muss auf vieles verzichten. Man spielt Fußball oder Tennis oder Hockey. Aber man spielt nicht Radfahren.“ Glücklicherweise gehören Engländer und Dänen zur etwas härteren, unnachgiebigeren Art Fußballer.