Sébastien Thill„Ich bin froh, wenn ich endlich im Flugzeug sitze“

Sébastien Thill / „Ich bin froh, wenn ich endlich im Flugzeug sitze“
Morgen wird Sébastien Thill nicht mehr für Niederkorn gegen den F91 Düdelingen auflaufen Foto: Editpress/Gerry Schmit

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Seit Tagen sitzt Sébastien Thill auf gepackten Koffern. Der ehemalige Niederkorner wartet auf sein Visum, um nach Russland einzureisen und seinen neuen Job als Profifußballer beim FK Tambow antreten zu können. In den kommenden Tagen soll das neue Abenteuer jedoch beginn. Der Progrès wird seinen Kapitän im Duell gegen den F91 (morgen, 18.30 Uhr) bereits schmerzlich vermissen.

Zwischen Tambow und Luxemburg besteht seit dem Zweiten Weltkrieg eine historische, aber auch grausame Verbindung. Fast 1.900 Luxemburger gerieten 1943 in der russischen Stadt in Gefangenschaft. Viele Soldaten überlebten die Haft nicht. 1.005 von ihnen kehrten heil nach Luxemburg zurück. In diesem Jahr jährte sich die Freilassung der „Tambower Jongen“ zum 75. Mal. Ein Gedenkstein wurde kürzlich eingeweiht.

Als Fremdenführer für Reisende aus der Heimat wird Sébastien Thill demnächst jedoch nicht im Einsatz sein. Der 26-Jährige wird nämlich, wie alle seine Teamkollegen, im 400 Kilometer entfernten Saransk leben. Der PFK Tambow trägt all seine Heimspiele in der Mordwinien-Arena aus, bis das Spartak-Stadion in Tambow renoviert ist. Auch der ehemalige Progrès-Teamkollege Aleksandre Karapetian hat nach einer Saison bei FK Sotschi seine Zelte in der WM-Stadt von 2018 aufgeschlagen. Immerhin gehört Saransk, laut einer Erhebung aus dem Jahr 2010, zu den lebenswertesten Städten Russlands.

Dass Thill überhaupt noch einmal in den Profizirkus einsteigen kann, hat Karapetian mitzuverantworten. Tambow war auf der Suche nach einem Mittelfeldspieler und der Deutsch-Armenier schlug seinen ehemaligen Mitspieler aus Niederkorn vor: „Er kümmert sich um alles. Da ich momentan noch keinen Berater habe, ist ’Kara’ so etwas wie mein Manager“, sagt Sébastien Thill. Derzeit sitzt der Kreativspieler noch auf gepackten Koffern. „Ich warte bereits sei einer Woche auf mein Visum. Aber bei Oli (Thill) hat das auch so lange gedauert. Normalerweise wird das Ticket nach Russland sofort gebucht, sobald ich die nötigen Papiere bekommen habe. Ich bin froh, wenn ich endlich im Flugzeug sitze“, sagt Thill. Für das Duell mit seinem Bruder Olivier wird es jedoch nicht reichen. Der FK Tambow empfängt bereits morgen Mittag (12.45 Uhr) den FK Ufa. Das nächste Duell zwischen beiden Vereinen wird am 29. November stattfinden.

Nach Olivier und Vincent (Nacional Madeira/POR) ist Sébastien also der dritte Sohn der ehemaligen Fuballer Serge Thill und Nathalie Hoeltgen, der den Sprung ins Profigeschäft schafft. Nesthäkchen Marek (9 Jahre) muss noch ein paar Jahre Geduld haben. Dabei hatte der ehemalige Kapitän des Progrès Niederkorn diesen Traum nicht mehr unbedingt auf dem Schirm: „Es gab immer mal wieder Gerüchte über Vereine, die Interesse hatten. Eine Offerte habe ich allerdings nie erhalten. Komplett abgeschrieben hatte ich eine Karriere als Profi nicht, aber ich habe auch nicht mehr andauernd daran gedacht. Als das Angebot kam, habe ich jedoch nicht sehr lange überlegt.“

Und das obwohl Sébastien Thill in Luxemburg sehr stark verankert ist. Er arbeitet bei der Differdinger Gemeinde und Freundin Billie Schulté spielt Basketball in Esch. „Sie hat kürzlich ein Studium begonnen und wird mich besuchen, sobald sie ein paar Tage frei hat.“ Bruder Olivier, der kürzlich Vater geworden ist, lebt seit zwei Jahren mit seiner Ehefrau in Russland. In gewisser Hinsicht ist der jüngere Bruder jetzt Vorbild für Sébastien. „Er hat Russisch gelernt und sich im Land sehr gut zurechtgefunden. Da ich der einzige Spieler beim FK Tambow bin, der kein Russisch kann, bin ich auch gezwungen, diese neue Sprache zu lernen. Das ist wie mit den Franzosen in Niederkorn. Die verstehen auch mittlerweile die wichtigsten Fußballbegriffe auf Luxemburgisch oder Deutsch. Ich hoffe aber trotzdem, dass es dort ein paar Leute geben wird, die Englisch beherrschen“, so der Mittelfeldspieler.

Ein weiterer Traum soll sich durch den Wechsel in die russische Premjer Liga erfüllen. Der 26-Jährige will den Sprung zurück in die Nationalmannschaft schaffen. Für die „Roten Löwen“ kam er bisher neunmal zum Einsatz und erzielte u.a. den Siegtreffer am 4. Juni 2017 beim 2:1-Erfolg gegen Albanien. Seit drei Jahren wurde er von Nationaltrainer Luc Holtz jedoch nicht mehr nominiert. „Ich habe meine Leistung immer gebracht und bleibe auch der gleiche Spieler in Russland. Aber ich will unbedingt wieder für Luxemburg spielen.“

Grober J-P.
10. September 2020 - 21.59

Viel Glück braucht der junge Mann. Tambow, musste das unbedingt sein?