EU-GipfelVon schwierigen Nachbarn und Fortschritten bei Corona

EU-Gipfel / Von schwierigen Nachbarn und Fortschritten bei Corona
Luxemburgs Premierminister Xavier Bettel trifft im EU-Ratsgebäude ein Foto: AFP/Philip Reynaers

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Die Außenpolitik hatte sich mit der Umleitung eines Passagierflugzeugs nach Minsk und der dortigen Inhaftierung eines Regimegegners mit Wucht auf die Tagesordnung des EU-Gipfels gedrängt. Daneben beschäftigten sich die 27 EU-Staats- und Regierungschefs mit dem EU-Covid-Zertifikat und dem Klimawandel.

Eigentlich wollten sich die Gipfelteilnehmer hauptsächlich mit den Beziehungen der EU zu Russland beschäftigen. Doch dann funkte der kleinere, jedoch ebenso problematische Nachbar Belarus dazwischen. Dort wurde am Sonntag eine Maschine der Fluggesellschaft Ryanair zu einer Landung in Minsk gezwungen. Dahinter steckte eine offenbar von den belarussischen Behörden orchestrierte Aktion, die zum Ziel hatte, den belarussischen Regimegegner und Journalisten Roman Protassewitsch sowie seine Freundin Sofi Sapega festzunehmen. Die 27 verurteilten am späten Montagabend den „beispiellosen und inakzeptablen Vorfall“ und forderten die sofortige Freilassung der beiden. Und sie verschärften den Druck auf den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko mit neuen Sanktionen.

So soll Fluggesellschaften aus Belarus der Überflug des EU-Luftraums und der Zugang zu EU-Flughäfen untersagt werden. Zudem sollten „alle Fluggesellschaften mit Sitz in der EU Flüge über Belarus vermeiden“, heißt es in der Schlusserklärung des Gipfeltreffens. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sowie die Kommission wurden aufgefordert, unverzüglich neue wirtschaftliche Sanktionen gegen das Regime vorzuschlagen. Die Runde habe sich „schnell“ auf „starke Sanktionen“ einigen können, sagte der luxemburgische Premierminister Xavier Bettel. Er warnte allerdings davor, die weißrussische Zivilgesellschaft von Europa abzukapseln, indem eine Verbindung zwischen beiden nur über Moskau möglich wäre.

Strategische Debatte zu Russland

Über Russland wurde dennoch eine „strategische Debatte“ geführt. Die EU wolle ihre Beziehungen zu Moskau einen neuen Rahmen geben, sagte der französische Präsident Emmanuel Macron, indem sie sich eine kurz-, mittel- und langfristige Strategie gebe, um nicht mehr bloß auf russisches Vorgehen reagieren zu müssen. Etwa mit Sanktionen, mit denen die EU mittlerweile an ihre Grenzen stoße. Diese Politik sei nicht mehr „effektiv“, meinte Macron. Bei den Diskussionen sei auch die Frage aufgeworfen worden, ob die EU-Europäer den Ausgang der geplanten Gespräche zwischen dem US-Präsidenten Joe Biden und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin abwarten oder selbst den Dialog mit dem Kreml suchen sollten, sagte Xavier Bettel. Wobei vermutlich Ersteres zutreffen wird, denn Biden und Putin werden sich am 16. Juni in Genf treffen. Eine Woche vor dem nächsten Gipfeltreffen der 27, bei dem diese sich mit ihren politischen Optionen gegenüber Moskau befassen wollen.

„Vorsichtiger Optimismus“ sei hingegen in der Corona-Krise angebracht, meinte der EU-Ratsvorsitzende Charles Michel. Die EU mache Fortschritte bei den Impfungen, allerdings müsse noch auf die Entwicklung von Varianten aufgepasst werden. Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen lenkte die Aufmerksamkeit vor allem auf das sogenannte EU-Covid-Zertifikat, das den EU-Bürgern im Sommer das Reisen innerhalb der Union erleichtern soll. Mit den „3Gs“ erklärte der luxemburgische Premier, worüber dieses Zertifikat Auskunft geben soll, nämlich darüber, dass der Träger „geimpft, genesen oder negativ getestet“ sei. Das Zertifikat sei ein „bedeutender Meilenstein“ für die EU und basiere auf der gegenseitigen Anerkennung der enthaltenen Daten, sagte die Kommissionspräsidentin. Am 1. Juni werde die Infrastruktur für das Zertifikat, das entweder übers Handy oder per Ausdruck bereitgestellt werden kann, fertiggestellt sein. Ab Mitte Juni dann könnten sich die EU-Staaten an das gemeinsame System anschließen. Allerdings gibt es noch eine Reihe von Fragen zu klären. Etwa ob auch Geimpfte anerkannt werden, die ein Vakzin erhielten, das (noch) nicht in der EU zugelassen ist, wie etwa Sputnik V, das in Ungarn verimpft wird. Erhält man das Zertifikat bereits nach der ersten oder zweiten Impfung oder möglicherweise erst zwei Wochen später? Und ab wann und bis wann gilt ein Corona-Erkrankter als genesen? Auch diese Fragen sollten bis Mitte Juni geklärt sein, hieß es gestern in Brüssel.

Neue Maßnahmen gegen Klimawandel

Darüber hinaus wollen die EU-27 sich weiter solidarisch mit den ärmsten Ländern der Welt zeigen, die keinen so leichten Zugang zu Impfstoffen haben. So werden eine Milliarde Euro bereitgestellt, um die Impfstoffproduktion in Afrika aufzubauen. Dabei sollte der Kontinent auch Zugang zur neuartigen mRNA-Technologie erhalten. Daneben werden bis Ende des Jahres 100 Millionen Impfdosen von den EU-Staaten für die ärmsten Länder bereitgestellt. Luxemburg werde sich finanziell an dieser Aktion beteiligen, sagte Xavier Bettel, die über die internationale Initiative Covax abgewickelt wird, an der die EU maßgeblich beteiligt ist.

Diskutiert wurde zudem über neue Maßnahmen gegen den Klimawandel. Die EU-Kommission wird Mitte Juli ein neues Gesetzespaket vorlegen, das darauf ausgerichtet ist, das gesteckte Ziel einer 55-prozentigen Reduktion der Treibhausgase bis zum Jahr 2030 zu erreichen. Kein EU-Staat stelle diese Vorgabe mehr infrage, sagte Ursula von der Leyen. Allerdings dürfte es noch Divergenzen darüber geben, wie dieses Ziel erreicht werden soll. Xavier Bettel schloss wiederholt die nukleare Option aus. Dies sei keine Alternative, da diese Energie „weder sicher noch grün, noch ein Zukunftsprojekt“ sei. Länder wie Frankreich und Tschechien etwa, sehen das anders. Zudem dürfte auch für den Verkehr – dessen Anteil an den Treibhausgasemissionen in der EU in letzter Zeit gestiegen ist – zunehmend ein System für den Emissionshandel eingeführt werden. Hier sollten jedoch Möglichkeiten der „sozialen Kompensation“ eingesetzt werden, erklärte Ursula von der Leyen. Soll heißen: Um eine Situation wie in Frankreich mit den „Gilets jaunes“, die gewaltsam gegen eine Erhöhung der Treibstoffpreise demonstrierten, zu vermeiden, soll der verkehrsgebundene Emissionshandel sozial abgefedert werden. Damit diese Politik erfolgreich sei, müsse ihre Verträglichkeit für alle berücksichtigt werden. „Wir müssen die Menschen mitnehmen“, meinte dazu Xavier Bettel.