AustralienEhemaliger chinesischer Spion spricht über Operationen gegen Dissidenten im Ausland

Australien / Ehemaliger chinesischer Spion spricht über Operationen gegen Dissidenten im Ausland
Die Geschichte ist auf der Webseite des australischen Fernsehsenders abrufbar Foto: Screenshot/ABC – News

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Die chinesische Geheimpolizei ist berüchtigt, doch ihre Operationen bleiben meist im Verborgenen. An die Öffentlichkeit gerät nur wenig. Ein ehemaliger Spion, der inzwischen in Australien lebt, hat nun erstmals ein Interview gegeben und dabei verraten, wie geschickt die Geheimpolizei vorgeht, um Dissidenten im Ausland zu jagen.

Der Mann nennt sich „Eric“ – einen vollen Namen gibt der australische Sender ABC nicht bekannt – vermutlich, um seine Sicherheit nicht zu gefährden. Gefährdet ist sie trotzdem, darüber macht sich Eric keine Illusionen. Indem er in die Medien geht, macht er sich automatisch zur Zielscheibe. Er weiß, dass nun vermutlich Geheimagenten geschickt werden, um ihm Schaden zuzufügen. „Wenn sie es mit einem Ziel wie mir zu tun haben, sind sie möglicherweise geduldiger … und warten auf den richtigen Zeitpunkt zum Handeln“, sagte der 39-Jährige im Interview mit der investigativen Sendung „Four Courners“, ein Gespräch, das der australische Sender in mehreren Beiträgen verarbeitete. Eric weiß, von was er spricht, er selbst hat 15 Jahre Undercover-Arbeit geleistet – eine Zeit, die ihn „zu einer misstrauischen und konfrontativen Person gemacht hat“, wie er meinte. „Ich bin immer noch sentimental, aber ich kann in gewisser Weise auch grausam sein.“

Es sei das erste Mal, dass jemand von der Geheimpolizei – einem der gefürchtetsten und mächtigsten Arme des chinesischen Geheimdienstapparats – öffentlich spricht, heißt es vonseiten der ABC, die in ihrem Bericht auch Spionageoperationen auf australischem Boden bekannt macht.

Wie der KGB, die Stasi und die Gestapo

Insgesamt arbeitete Eric zwischen 2008 und Anfang 2023 als verdeckter Ermittler für eine Einheit des Ministeriums für öffentliche Sicherheit (MPS). Die Einheit, die auch als sogenanntes erstes Büro bekannt war, ist eines der wichtigsten Unterdrückungsinstrumente der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) und wird weltweit eingesetzt, um Kritiker der Partei, insbesondere von Präsident Xi Jinping, zu überwachen, zu entführen und zum Schweigen zu bringen.

„Es ist die dunkelste Abteilung der chinesischen Regierung“, sagte Eric. „Im Umgang mit Menschen, die sich der KPCh widersetzen, können sie sich so verhalten, als ob diese Menschen nicht durch das Gesetz geschützt wären. Sie können mit ihnen machen, was sie wollen.“ Das Büro sei ein bisschen wie der KGB, die Stasi und die Gestapo. Die KPCh habe ihn zu einem Feind geformt, der sich dem Kampf gegen sie verschrieben habe, erklärte er dem Sender seine Motivation für das Interview. „Ohne sie bin ich nur ein junger Mann, der gerne Bücher liest, Spiele spielt, Tiere liebt und gelegentlich Gedichte schreibt.“

Ausgefeilte Geschichten

Eric teilte Hunderte von geheimen Dokumenten, Text- und Sprachnachrichten sowie Bankunterlagen mit dem australischen Sender, um zu beweisen, dass seine Geschichte wahr ist. Erics Aufgabe war über 15 Jahre hinweg, demokratiefreundliche Organisationen zu infiltrieren und Dissidenten zu jagen. Im Jahr 2016 wurde er beispielsweise zu einem Aktivistentreffen im indischen Dharamshala, dem Sitz der tibetischen Exilregierung, eingeladen, wo er den Dalai Lama traf. Eric spionierte die vertrauliche künftige China-Politik der Exilregierung aus und leitete einen Bericht an seine Vorgesetzten. Diese reagierten mit Lob und erlaubten ihm von da an, international zu arbeiten. Er erhielt anspruchsvollere Missionen, bei denen er dabei half, hochkarätige Dissidenten im Ausland in eine Falle zu locken.

Eric berichtete von ausgefeilten Geschichten, die dabei ersponnen wurden – einmal gab er sich als Immobilienverwalter, ein anderes Mal als Anti-KPCh-Freiheitskämpfer aus. Jedes Mal ging es darum, das Vertrauen seiner Zielobjekte zu gewinnen und sie in Länder zu locken, in denen sie entführt und nach China zurückgebracht werden konnten. Erics Aufträge führten ihn nach Indien, Kambodscha, Thailand, Kanada und Australien. In Australien wurde er beispielsweise auf einen politischen Aktivisten angesetzt, dessen Online-Videos Präsident Xi und seine Tochter ins Visier nehmen. Letzterer lebt nach wie vor in Australien, wurde dort 2021 jedoch Opfer eines körperlichen Angriffs, bei dem er sich die Nase brach. Ob Eric in diesen Angriff verwickelt war, wurde im Interview nicht offengelegt.

„Ich hatte keine Wahl“

Eric selbst war einst auch von der westlichen Demokratie besessen gewesen. 2007 – als 22-jähriger Universitätsstudent – sei er der von den USA gegründeten China Social Democratic Party beigetreten, berichtete er der ABC. Doch nachdem er Informationen über das Jahrestreffen der Partei in den sozialen Medien verbreitet hatte, klopfte die Polizei an seine Tür. „Sie sagten zu mir: ‚Zieh dich an und folge uns. Du weißt, was du getan hast‘“, sagte Eric. Mehrere Tage lang wurde er in einem kleinen Raum einer örtlichen Polizeistation verhört und gezwungen, ein Dokument zu unterschreiben, in dem er sein „Verbrechen“ gestand, sich der chinesischen Regierung widersetzt zu haben.

Ihm drohte eine Gefängnisstrafe, doch dann bot man ihm „eine zweite Chance“ – ein Doppelleben als Spion für Chinas Geheimpolizei. „Sie haben mich gezwungen, für sie zu arbeiten … Ich hatte keine Wahl“, sagte er der ABC. Immer wieder versuchte er auszubrechen – nach 15 Jahren gelang ihm nun der Absprung nach Australien. Spätestens seine Entscheidung, die Machenschaften Pekings öffentlich zu machen, dürfte ihn nun vom Jäger zum Gejagten werden lassen.