Regierungskrise in ItalienRenzi spielt Salvini in die Hände

Regierungskrise in Italien / Renzi spielt Salvini in die Hände
Italiens früherer Premier hat eine schwere Regierungskrise ausgelöst Foto: AFP/Alberto Pizzoli

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Der Chef der Kleinstpartei Italia Viva, Matteo Renzi, hat mit dem Rückzug seiner Ministerinnen eine schwere Regierungskrise in Rom ausgelöst. Sollte es Ministerpräsident Giuseppe Conte nicht gelingen, neue Mehrheiten im Parlament hinter sich zu bringen, könnten Neuwahlen ausgerufen werden. Nach derzeitigen Umfragen bedeuteten diese einen Sieg der Mitte-rechts-Kräfte unter Lega-Chef Matteo Salvini.

Nach dem spektakulären Rücktritt der Ministerinnen Teresa Bellanova und Elena Bonetti sowie des Staatssekretärs Ivan Scalfarotto steht die Regierung von Giuseppe Conte vor einer ernsthaften Krise. Um seine Politik durchsetzen zu können, brauchte Conte die Unterstützung der Kleinstpartei Italia Viva (IV), einer Abspaltung von der Demokratischen Partei (PD). Die kleine Parlamentariergruppe unter Führung des einstigen „Verschrotters“ Matteo Renzi ist in beiden Kammern des Parlaments Zünglein an der Waage. Mit dem Rücktritt von IV aus der Regierung verlieren diese die parlamentarische Mehrheit. Im Abgeordnetenhaus stehen Conte derzeit nur noch 306 Mandatsträger zur Verfügung (Mehrheit 316). Im Senat, in dem die Conte-Regierung ohnehin nur über eine Mehrheit von einem Mandat verfügte, verliert die Koalition 18 Sitze. Mit jedem Gesetzesvorschlag müsste der Premier nun um Mehrheiten ringen, flüssig regieren lässt sich so jedoch nicht.

Explosive Gratwanderung

Renzis Entscheidung ist in erster Linie eine Provokation. Seit Wochen schwelt ein persönlicher Dissens zwischen dem Ex-Regierungschef der Demokraten und dem Vorsteher der jetzigen Koalition. Vor allem der Führungsstil Giuseppe Contes – der sich mit der Entwicklung der Corona-Krise inzwischen zum beliebtesten Politiker Italiens etabliert hat – ist Renzi ein Dorn im Auge. Der IV-Chef kritisiert, dass die Regierung vieles per Dekret, sozusagen am Parlament vorbei, entscheidet. Insbesondere bei der Verteilung der nun angekommenen EU-Hilfsmittel möchte Renzi gern ein Wort mitreden.

Doch eigentlich hat sich der einst als Reformer angetretene florentinische Politiker zunehmend selbst diskreditiert. Politiker der Fünf-Sterne-Bewegung wie auch der PD bezeichnen die politische Attacke vom Mittwoch als „unverantwortlich“. PD-Sekretär Nicola Zingaretti erklärte, „angesichts von täglich 500 Corona-Toten sei es völlig unethisch, jetzt eine Regierungskrise vom Zaun zu brechen“. Die PD, aber auch die anderen an der Regierung beteiligten Parteien befürchten Neuwahlen im Juni, nach denen jedoch nicht so bald eine neue Administration auf die Beine gestellt werden könne, die die gesundheitlichen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme der Covid-Pandemie lösen dürfte.

Selbst die zurückgetretenen Ministerinnen der Renzi-Partei drängen nicht auf Neuwahlen. Es hat eher den Eindruck, als wolle IV pokern, um in einem gewandelten Kabinett mehr Einfluss zu erlangen.

Mitte-rechts im Trend vorn

Ein solches Machtspiel könnte jedoch für das „lebende Italien“ Renzis das politische Aus bedeuten. Denn politische Umfragen zufolge, die gerade erst zu Beginn dieser Woche abgehalten wurden, könnte die derzeitige Regierungskoalition keine parlamentarische Mehrheit erlangen. Vorne läge immer noch die zwar geschwächte Lega mit 23,2 Prozent, gefolgt von der PD mit 19,4 Prozent. Als drittstärkste Kraft werden die neofaschistischen Fratelli d’Italia (FdI) mit 172 Prozent der Wählerstimmen gehandelt. M5S kann mit 14,7 Prozent nur noch mit der Hälfte des Wählerzuspruchs der letzten regulären Parlamentswahlen rechnen. Und schon abgeschlagen liegt Silvio Berlusconis Forza Italia (FI) bei 9,7 Prozent.

Der Urheber der jetzigen Krise, Renzis IV, käme mit nur drei Prozent der Wählergunst noch nicht einmal im Parlament vor. Angesichts dieser Prognosen fordert Lega-Chef Matteo Salvini schon jetzt frohlockend den sofortigen Rücktritt Contes.

Conte sucht Mehrheiten

Die Lage im politischen Rom könnte in den folgenden Stunden und Tagen noch unübersichtlicher werden. Giuseppe Conte zeigt indes bislang noch keine Absichten, zurückzutreten. Eher will der Premier neue Mehrheiten im Parlament suchen, um seine Regierung fortsetzen zu können. Dafür annoncierte er schon die Bereitschaft, mit moderaten Mitte-rechts-Politikern zusammenzuarbeiten. Dies stößt jedoch bislang auf harte Ablehnung aus den Reihen der Demokraten: „Nachdem in Washington Joe Biden gewonnen hat, werden wir hier nicht mit den Verbündeten von Trump zusammenarbeiten“, erklärte Zingaretti.

Sollte sich die Krise zuspitzen, könnte Staatspräsident Sergio Mattarella im Interesse Italiens jedoch auch eine Technische Regierung einsetzen. Dies geschah zuletzt 2011, als Mario Monti sein Kabinett gegen die expandierende Finanzkrise führte.