GroßbritannienPubs und Museen machen wieder auf

Großbritannien / Pubs und Museen machen wieder auf
Eine Anzeige im Nordwesten Englands gelegenen Bolton warnt vor der Verbreitung der indischen Corona-Variante in der Region Foto: AFP/Oli Scarff

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Zwar warnen manche Wissenschaftler vor der Verbreitung der neuen indischen Variante des Coronavirus. Doch bleibt die britische Regierung unter Premier Boris Johnson auf Kurs: An diesem Montag tritt wie geplant die bisher größte Lockdown-Lockerung in Kraft.

In England dürfen sich Freunde und Verwandte erstmals wieder in Privatwohnungen treffen, Pubs und Restaurant öffnen ihre Innenräume ebenso wie Kinos, Theater und Museen. Man wolle am vorsichtigen Öffnungskurs festhalten, sagte Gesundheitsminister Matthew Hancock am Sonntag: „Aber wir behalten die Datenlage genau im Auge.“

Mit kleineren Abweichungen gelten die neuen Freiheiten auch in den Regionen Nordirland, Schottland und Wales. Sechs Menschen aus sechs unterschiedlichen Haushalten oder alle Mitglieder zweier Haushalte können privat zusammenkommen „und sich umarmen“, wie es in den britischen Medien keusch heißt. In Park und Privatgärten dürfen sich Gruppen von bis zu 30 Menschen versammeln. Die Londoner Museen und Galerien feiern ihre Wiederöffnung nach knapp fünf Monaten Lockdown mit faszinierenden neuen Events. Erstes Highlight bildet die Ausstellung neuer Lockdown-Gemälde des derzeit in der Normandie lebenden Engländers David Hockney.

Die neuen Regeln entsprechen dem schrittweisen Plan „vorsichtiger, aber unumkehrbarer“ Lockerungen, den Premier Johnson Ende Februar verkündete. Noch zu Beginn vergangener Woche gab sich der Regierungschef „sehr positiv“ zu der Aussicht, am 21. Juni sämtliche Beschränkungen aufheben zu können, einschließlich der Maskenpflicht in Geschäften und öffentlichen Gebäuden. Am Wochenende hingegen klangen Regierungsvertreter deutlich vorsichtiger. So sprach Minister Hancock davon, man werde notfalls nicht vor Verschärfungen zurückscheuen.

Begründet wird dies in der Öffentlichkeit mit dem verstärkten Auftreten der Variante B1.617.2 von Sars-CoV-2. Diese erstmals in Indien aufgetretene Mutation wird seit Mitte April auch auf der Insel nachgewiesen. Ihre Übertragbarkeit scheint nochmals deutlich höher zu sein als die der Kent-Variante, die im Spätherbst und Winter zur katastrophalen Zuspitzung der Lage in britischen Spitälern gesorgt hatte. Hingegen scheint die Mortalität ähnlich zu sein wie bei bösartigen Spielarten von Covid-19. Bis Mitte vergangener Woche waren erst vier Menschen in Großbritannien nachweisbar nach einer Infektion mit der indischen Variante gestorben.

Hohe Inzidenz bei Kindern und Jugendlichen

Unter dem Eindruck des neuen Feindes hat die Regierung ihre Impfkampagne leicht verändert. Betrug der Abstand zwischen erster und zweiter Dosis bisher zwölf Wochen, so sollen in Zukunft die über 50-Jährigen sowie medizinisch Vorbelastete den zweiten Piks bereits nach zwei Monaten erhalten. Bisher haben 36,3 Millionen Menschen (53,5 Prozent der Bevölkerung) eine Dosis erhalten, 29 Prozent sind vollständig immunisiert.

Dass die verfügbaren Impfstoffe auch der indischen Variante standhalten, legen Daten aus dem nordenglischen Bolton im Großraum Manchester nahe, einem Hotspot von Infektionen mit einer Inzidenz von 193 pro 100.000 Einwohnern (landesweit 21). Bei den zu mehr als 95 Prozent geimpften über 60-Jährigen war die Inzidenz zuletzt nur unwesentlich von 29 auf 37 gestiegen; hingegen lag sie bei jüngeren Erwachsenen bei 238, unter Kindern zwischen 10 und 14 Jahren sogar bei 394. Freilich bleiben die Zahlen insofern unvollständig, weil die Gesamtzahl der nachgewiesenen Infektionen mit B1.617.2 lediglich 1.300 beträgt.

Mit Bangen schaut vor allem die Tourismusbranche auf die neuen Entwicklungen. Von Montag an sind Urlaubsreisen ins Ausland wieder offiziell erlaubt. Allerdings gilt bei der Wiedereinreise aus den meisten Ländern der Erde die gleiche Regelung wie für ausländische Besucher: Ins Land gelassen werden nur kurz vor der Abreise Covid-negativ Getestete, sie müssen anschließend in eine zehntägige Quarantäne, die durch einen zweiten kostenpflichtigen Test nach fünf Tagen verkürzt werden kann.

Steigende Anzahl an Infektionen zu erwarten

Ausnahmen gibt es bisher nur für zwölf Staaten und britische Territorien; die kürzlich vorgestellte Liste enthält nicht nur die für den Massentourismus eher ungeeigneten Inseln St. Helena und die Falklandinseln (Malwinen) im Südatlantik, sondern auch Länder wie Australien und Neuseeland, die ohnehin keine Ausländer ins Land lassen. Einzig Portugal zählt zu den klassischen Urlaubsländern der Briten. 18-Millionen-mal reisten sie 2019 allein nach Spanien, auch Frankreich und Italien stehen hoch im Kurs. Doch das Trio bleibt wie Mitteleuropa auf der „gelben“ Liste, zieht also Quarantäne nach sich.

Wie es in England weitergeht, dürfte entscheidend vom Verhalten der Bevölkerung in den nächsten Tagen abhängen. Dass Infektionen sowie Krankenhauseinweisungen deutlich ansteigen werden, gilt unter Experten als ausgemacht. Je nachdem, als wie viel ansteckender sich die indische Variante herausstellt, erläutert der höchste Gesundheitsbeamte Christopher Whitty, werde die Welle „ziemlich erheblich“ ausfallen – oder eben nicht.